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Wahlplakate in Berlin, Deutschland, 12. September, 2017.  © 2017 Reuters
Flüchtlinge sind eines der meist debattierten Themen im deutschen Wahlkampf. Die Parteiprogramme der sieben Parteien, die es wahrscheinlich in den Bundestag schaffen werden, spiegeln das wider. So will die rechtspopulistische AfD die Grenzen schließen und den im Grundgesetz verankerten Asylschutz extrem zurückbauen. Die CSU möchte die Uneingeschränktheit des Rechts auf Asyl abschaffen, indem die Obergrenze der jährlichen Asylberechtigten auf 200.000 Flüchtlinge begrenzt wird. Das würde Flüchtlingen, die nach dem Erreichen des Limits ankommen, das Recht verweigern, Asyl zu beantragen. Beide Parteien widersprechen somit eklatant dem Völkerrecht, das eine Begrenzung des Rechts auf ein faires Asylverfahren nicht vorsieht.

Die fünf anderen Parteien bekennen sich zu dem in den Genfer Konventionen verankerten uneingeschränkten Asylrecht. Allerdings gibt es auch im Programm CDU restriktive Tendenzen, die an den wiederholten Beteuerungen der Kanzlerin, sich strikt an das Völkerrecht zu halten, zweifeln lassen.

Hauptziel der Mitte-Rechts-Partei ist es offensichtlich, die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, dauerhaft niedrig zu halten. Das soll unter anderem dadurch geschehen, dass die nordafrikanischen Staaten Marokko, Algerien und Tunesien zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden. Schaut man sich aber die menschrechtliche Situation in den Maghreb-Staaten an, dann ist schnell klar, dass diese Staaten mitnichten für alle als sicher bezeichnet werden können. Den Flüchtlingen aus diesen Ländern pauschal das Recht auf ein faires Asylverfahren zu verwehren und durch möglicherweise juristisch fragwürdige Schnellverfahren zu ersetzen, wäre ein Unrecht und könnte dazu führen, dass jemandem Hilfe verweigert wird, der diese dringend braucht.

In ihrem Parteiprogramm baut die CDU auch darauf, dass abgelehnte Asylbewerber schnell abgeschoben werden, auch nach Afghanistan. Rechtlich gesehen ist das vielleicht sogar möglich. Afghanistan wird jedoch seit Jahrzehnten von bewaffneten Konflikten und allgemeiner Gewalt zerrissen. Die hohe Anzahl von Abgeschobenen trägt zur Destabiliseriung des Landes bei, das keine Kapazitäten hat, diese zu reintegrieren. Zwar mag es durchaus einzelne Menschen geben, die nicht um Leib und Leben fürchten, wenn sie in bestimmte Gegenden des Landes ziehen. Es hat aber nichts mit einer vernünftigen und nachhaltigen Politik zu tun, wenn man Asylsuchende zu Binnenvertriebenen macht.

Deutschland sollte es vermeiden, die große Instabilität in dem Land noch weiter anzufachen, und die Abschiebung abgelehnter afghanischer Asylsuchender vertagen, bis klar ist, wie Kabul mit den vielen Rückkehrern umgehen wird.  In der Zwischenzeit sollte Deutschland Afghanen den für sie bestmöglichen Schutz gewähren.

Seit Pakistan 2016 Hunderttausende Afghanen, die sich dort seit vielen Jahren aufgehalten haben, auf legal fragwürdige Weise abgeschoben hat, sind  die Kapazitäten Afghanistans beinahe erschöpft und eine potentielle humanitäre Katastrophe in einigen Teilen des Landes nur noch eine Frage der Zeit. Ein vorübergehender Stopp der Abschiebungen nach Afghanistan, zumindest bis die Sicherheitslage sich dort grundsätzlich und dauerhaft verbessert hat, ist also sowohl moralisch als auch geopolitisch geboten.

Problematisch ist auch der Plan der CDU, nach dem Vorbild des EU-Türkei-Deals entsprechende Abkommen mit afrikanischen Ländern abzuschließen. Die Menschenrechtslage ist in einigen dieser Länder noch weit prekärer als in der in dieser Hinsicht ohnehin schon höchstproblematischen Türkei. Das EU-Türkei-Abkommen hat zu inakzeptablen Lebensbedingungen und seelischer Notlage für Hundertausende Flüchtlinge geführt. Sie sind ohne greifbare Perspektive auf ein würdevolles Leben auf den griechischen Inseln oder an der geschlossenen Grenze zur Türkei auf gefährlichem syrischem Boden gestrandet.

Für Flüchtlinge sollte es sichere und legale Reisewege geben. Dies kann unter anderem durch Familiennachzug erreicht werden. Die Zusammenführung der Familie kann helfen, gefährliche Reisen zu vermeiden, Schmugglern das Handwerk zu legen und Integration zu fördern. Dennoch wollen Politiker innerhalb der CDU mit großer Energie den geordneten Nachzug auf einem Minimum halten. Das schlägt sich auch im CDU-Parteiprogramm nieder, in dem steht, dass Familiennachzug nur für die gemäß der Genfer Konvention anerkannten Flüchtlingen möglich ist. Unter der Führung des CDU-Innenministers Thomas de Maizière stufte die Große Koalition zunächst den rechtlichen Status der allermeisten syrischen Flüchtlinge herab und setzte dann den Familiennachzug für diese Menschen für zwei Jahre aus. Im März 2018 soll diese Maßnahme neu verhandelt werden. Es wird sich dann zeigen, inwieweit der liberalere Flügel der CDU sich innerhalb der eigenen Partei durchsetzen kann und welche Unterstützung er dann von dem entsprechenden Koalitionspartner bekommt, um diese harsche Regelung rückgängig zu machen.

Auf dem Papier der Parteiprogramme ist die Flüchtlingspolitik der SPD, der Grünen und der Linken und teilweise auch der FDP weitaus großzügiger ausgelegt und entspricht völkerrechtlichen Standards, übertrifft sie teilweise sogar. In der Praxis aber sind aus den Reihen dieser Parteien durchaus restriktive Aussagen einzelner Politiker (Oppermann/SPD, Wagenknecht/Linke, Palmer/Grüne, Lindner/FDP) zu hören, die wohl darauf ausgerichtet sind, AfD-Wähler anzulocken.

Human Rights Watch fordert deswegen von den potenziellen Koalitionspartnern in der Zeit nach den Wahlen, wenn der für die Marschrichtung der künftigen Regierung so wichtige Koalitionsvertrag verhandelt wird, eine klare Positionierung und ein unmissverständliches Bekenntnis zu dem im Völkerrecht verankerten Flüchtlings- und Asylrecht sowie zu legalen und sicheren Fluchtwegen. Nur so kann eine geordnete Zuwanderung bei gleichzeitiger Beachtung der Menschenrechte und der Wahrung der daraus entstehenden Verpflichtungen gelingen.

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