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Ein polnischer Soldat patrouilliert am 29. Mai 2024 an der Metallbarriere zur Grenze mit Belarus im Bialowieza-Wald, während Migrant*innen auf der belarussischen Seite festsitzen. © 2024 AP Photo/Czarek Sokolowski
  • Die polnischen Grenzbehörden drängen Menschen, die versuchen, in das Land einzureisen, unrechtmäßig und bisweilen gewaltsam zurück nach Belarus, ohne ihre Schutzbedürfnisse zu berücksichtigen.
  • Polens unmenschliche und illegale Pushbacks von Schutzsuchenden verstoßen gegen seine Verpflichtungen gemäß nationalem und EU-Recht sowie gegen grundlegende Menschenrechte.
  • Die polnischen Behörden sollten den Zugang zu Asylverfahren gewährleisten und humanitären Helfer*innen sowie unabhängigen Beobachter*innen den Zugang zu dem derzeit gesperrten Grenzgebiet ermöglichen.

(Budapest, 10. Dezember 2024) - Die polnischen Grenzbehörden drängen Menschen, die versuchen, in das Land einzureisen, rechtswidrig und bisweilen gewaltsam zurück nach Belarus, ohne ihre Schutzbedürfnisse zu berücksichtigen, so Human Rights Watch heute. Die Betroffenen laufen Gefahr, von belarussischen Beamt*innen schwer misshandelt zu werden oder unter widrigsten Bedingungen unter freiem Himmel ausharren zu müssen. Diese Bedingungen können zu schweren Verletzungen oder sogar zum Tod der Betroffenen führen.

„Mit seinen unmenschlichen und illegalen Pushbacks von Schutzsuchenden verstößt Polen gegen seine Pflichten nach nationalem und EU-Recht sowie gegen grundlegende Menschenrechte“, sagte Lydia Gall, leitende Forscherin für Europa und Zentralasien bei Human Rights Watch. „Als nächster Inhaber der EU-Ratspräsidentschaft sollte Polen mit gutem Beispiel vorangehen und das Recht auf Asyl an seinen Grenzen schützen und sicherstellen, dass Schutzsuchende human behandelt und ihre Rechte gewahrt werden.“

Im November 2024 führte Human Rights Watch ausführliche Interviews mit 22 Asylsuchenden, die sich derzeit in Polen aufhalten. Siebzehn von ihnen - Männer, Frauen und ein 17-jähriges Mädchen - hatten im Jahr 2024 mindestens einen Pushback durch polnische Grenzbeamt*innen erlebt, bevor sie nach Polen einreisen und einen Asylantrag stellen konnten. Human Rights Watch befragte auch Organisationen, die  humanitäre, medizinische und juristische Unterstützung für Asylsuchende bieten, die im Białowieża-Wald an der Grenze zwischen Polen und Belarus festsitzen.

Die befragten Asylsuchenden schilderten ein durchgängiges Muster von Menschenrechtsverletzungen durch polnische Grenz- und Polizeibeamt*innen, darunter illegale Pushbacks, Schläge mit Schlagstöcken, Einsatz von Pfefferspray und Zerstörung oder Beschlagnahmung von Mobiltelefonen. Einige sagten, sie seien von polnischen Grenzbeamt*innen, als sie sich bereits kilometerweit weit weg von der Grenze auf polnischem Gebiet befanden, festgenommen und kurzerhand ohne ein ordentliches Verfahren nach Belarus zurückgeschickt worden. Hierbei wurde nicht berücksichtigt, dass viele von ihnen ausdrücklich darum gebeten hatten, Asyl zu beantragen.

Andere Betroffene berichteten, sie seien zurückgedrängt worden, nachdem sie zu einem Grenzposten gebracht und gezwungen worden waren, Dokumente zu unterschreiben, von denen sie wussten oder erst später erfuhren, dass sie damit erklärten, sie würden kein Asyl beantragen wollen. Auf der belarussischen Seite der Grenze sind die Menschen oft ohne Obdach und müssen unter harten Bedingungen im Freien ausharren oder werden von belarussischen Beamt*innen misshandelt. Diese zwingen sie oft dazu, die Grenze nach Polen erneut zu überqueren. Human Rights Watch dokumentierte ähnliche Misshandlungen durch polnische und belarussische Behörden im November 2021 und Juni 2022.

Nach Angaben von We Are Monitoring, einer zivilgesellschaftlichen Organisation, starben zwischen September 2021 und Oktober 2024 auf beiden Seiten 87 Menschen in der Nähe der Grenze, wobei allein im Jahr 2024 14 Todesfälle verzeichnet wurden. Die Umstände der Todesfälle sind nicht dokumentiert. Ein Mann aus dem Jemen berichtete Human Rights Watch, dass ein 24-jähriger Landsmann, mit dem er zusammen gereist war, Anfang Oktober von polnischen Behörden zurückgedrängt und Ende Oktober von einer Gruppe, die auf dem Weg zur Grenze war, tot in einem Sumpf auf der belarussischen Seite aufgefunden wurde. Human Rights Watch konnte diese Angaben nicht unabhängig überprüfen.

Humanitäre Organisationen, die gestrandeten Migrant*innen und Asylsuchenden in Polen helfen, sagten, sie würden den Grenzschutz rufen, wenn Menschen den Wunsch äußern, Asyl zu beantragen. Zwar ist es nicht die Regel, dass die Menschen dann kurzerhand und mitunter gewaltsam nach Belarus zurückgedrängt werden, Human Rights Watch dokumentierte jedoch Fälle, in denen genau dies passierte.

Eine 28-jährige Frau aus Somalia berichtete, sie und 11 weitere Personen seien, nachdem sie einen Verein um Hilfe gebeten hatten, zu einer Grenzstation gebracht wurden, wo sie um Asyl baten. Dort mussten sie Dokumente unterschreiben, deren Inhalt sie nicht verstanden. Anschließend seien sie zur Grenze gebracht und über den Grenzübergang gedrängt worden.

Die befragten Personen gaben an, belarussische Grenzsoldaten hätten ihnen Gewalt angetan, sie unmenschlich behandelt und erniedrigt. Sie sagten, die Grenzbeamt*innen hätten sie geschlagen, ihr Hab und Gut gestohlen oder zerstört, ihre Lebensmittel und Vorräte verbrannt und sie in Gebiete an der Grenze gezwungen, die weit von dem Ort entfernt waren, an dem sie aufgegriffen worden waren. Eine Frau aus Äthiopien sagte, belarussische Grenzwachen hätten sie gezwungen, sich nackt auszuziehen und ihr gedroht, sie zu vergewaltigen.

Acht Befragte gaben an, belarussische Grenzwachen hätten sie zusammen mit Dutzenden anderer Personen in „Lagern“ oder Sammelstellen im Grenzgebiet versammelt und in einigen Fällen in kleinen Gruppen zu verschiedenen Punkten an der Grenze zu Polen gebracht. Vier gaben an, belarussische Grenzbeamt*innen hätten sie an die Grenze zu Litauen gebracht. In mindestens einem Fall forderten Grenzwachen einen Jemeniten auf, das Grenzgebiet zu verlassen.

Menschenrechtsverletzungen durch belarussische Beamt*innen, einschließlich der erzwungenen Überquerung der Grenze nach Polen, entbinden Polen nicht von seiner Verpflichtung, die Rechte von Menschen zu schützen, welche die Landesgrenze überqueren. Ebenso dürfen polnische Kräfte deshalb auch niemanden zwangsweise zurückschicken, wenn ein reales Risiko besteht, dass dies zu Menschenrechtsverletzungen für die Betroffenen führt, so Human Rights Watch.

Die aktuelle polnische Regierung, die seit Dezember 2023 an der Macht ist, hat im Juni eine „Sperrzone“ über 60 Kilometer entlang der Grenze zu Belarus wieder eingeführt und die Militärpräsenz an der Seite der Grenzschutztruppen verstärkt. Diese Sperrzone, die in einigen Gebieten zwei Kilometer in polnisches Hoheitsgebiet hineinreicht, hindert unabhängige Beobachter*innen und humanitäre Helfer*innen daran, den in dem dichten, sumpfigen Wald gestrandeten Menschen zu helfen. Im Februar erklärte die polnische Regierung, sie habe zwischen Anfang Juli 2023, als sie mit der Dokumentation dieser Aktionen begann, und Mitte Januar 2024 mehr als 6.000 Menschen zurückgedrängt.

Im Juli verabschiedete die Regierung zudem ein Gesetz, das uniformierten Grenzbeamt*innen einen weitgehenden Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung im Falle des Einsatzes von Schusswaffen gewährt. Dies birgt das Risiko der Straffreiheit bei übermäßiger Anwendung tödlicher Gewalt. Im Oktober kündigte die Regierung eine Migrationsstrategie an, die noch nicht in Kraft getreten ist. Sie sieht eine „vorübergehende Aussetzung des Asylrechts“ aus Gründen der nationalen Sicherheit vor, da die Migration von Belarus instrumentalisiert werde.   

Polens Pushbacks ohne ordnungsgemäße Verfahren Kollektivausweisungen“ – verstoßen gegen EU-Recht, einschließlich der Charta der Grundrechte. Sammelabschiebungen stellen eine verbotene Menschenrechtsverletzung dar, ebenso wie die Gewalt, der die Menschen im Rahmen dieser Abschiebungen ausgesetzt sind. Dies wurde in Urteilen des nationalen und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bekräftigt.

Der neue Asyl- und Migrationspakt der EU bestätigt das Grundrecht, Asyl zu beantragen. Polen sollte in Screening- und Grenzverfahren investieren, die sicherstellen, dass der Pakt in einer humanen und die Rechte achtenden Weise umgesetzt wird.

Die polnischen Behörden sollten den Zugang zu Asylverfahren sicherstellen und Mitarbeitenden von Hilfsorganisationen und unabhängigen Beobachter*innen den Zugang zu dem derzeit gesperrten Grenzgebiet ermöglichen, so Human Rights Watch. Polen und Belarus sollten Pushbacks sofort stoppen, Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen durch ihre Beamt*innen untersuchen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen.

Die Europäische Kommission sollte unverzüglich ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen wegen Verstoßes gegen das EU-Asylrecht einleiten und alle Bemühungen Polens, das Recht auf Asyl im Rahmen des Migrationspakts oder anderweitig auszusetzen, öffentlich verurteilen und zurückweisen sowie gegebenenfalls weitere rechtliche Schritte gegen Warschau einleiten.

„Die Kommission sollte aufhören, Polens Missstände an der Grenze zu Belarus zu ignorieren und sicherstellen, dass der Schutz von Menschen und ihren Rechten im Mittelpunkt der polnischen Politik steht“, sagte Gall. „Wenn man Mitgliedstaaten erlaubt, das Recht auf Asyl unverhohlen zu missachten, untergräbt man das EU-Recht, die Rechtsstaatlichkeit und natürlich auch das moralische Ansehen der Europäischen Union.“

Ausführliche Berichte finden Sie weiter unten.

Im November 2024 sprach Human Rights Watch mit 22 Asylsuchenden in Polen: 12 Männer, 9 Frauen und ein 17-jähriges Mädchen. Sie stammten aus Kamerun, den Komoren, der Demokratischen Republik Kongo, Äthiopien, Somalia und dem Jemen. Um ihre Identität zu schützen, wurden Pseudonyme verwendet. Human Rights Watch sprach auch mit fünf polnischen Aktivist*innen und einer Ärztin, die im Grenzgebiet arbeitet.

Die polnischen Behörden lehnten eine Anfrage von Human Rights Watch ab, zwei Grenzposten zu besuchen und mit befehlshabenden Grenzbeamt*innen zu sprechen. Sie gewährten zwar die Erlaubnis, die Sperrzone zu betreten, um den Grenzzaun und das Aufnahmezentrum in Biała Podlaska zu besichtigen, verweigerten jedoch den Zugang zu den Haftanstalten in Białystok und Biała Podlaska.

Die polnischen Behörden haben nicht auf eine Zusammenfassung der Rechercheergebnisse und Fragen von Human Rights Watch geantwortet. Die belarussischen Behörden reagierten zwar, beantworteten aber keine Fragen zu ihrer Praxis oder dazu, ob sie mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen durch Grenzbeamt*innen nachgegangen sind. Die belarussischen Behörden gaben an, dass sie seit 2021 insgesamt 70 Todesfälle an den Grenzen zu EU-Ländern verzeichnet haben (23 im Jahr 2024), die sie auf Pushbacks zurückführten. Für diese Behauptungen legten die Behörden jedoch keine Beweise vor.

Von den 22 befragten Personen gaben 17 an, im Jahr 2024 von polnischen Grenzbeamt*innen – bisweilen gewaltsam – nach Belarus zurückgedrängt geworden zu sein, bevor sie erfolgreich in das Land einreisen und Asyl beantragen konnten. Dreizehn sagten, sie seien mehrfach zurückgedrängt worden. Einige identifizierten die nummerierte Grenzmarkierung, an der sie nach Belarus zurückgedrängt worden waren.

Die humanitäre Krise im unwirtlichen Grenzgebiet zwischen Polen und Belarus begann im Jahr 2021, als Belarus begann, Angehörigen von Drittstaaten den Erhalt eines Visums zu erleichtern und sie zur Weiterreise nach Polen zu ermutigen oder sogar zu zwingen. Interviews von Human Rights Watch im November deuten darauf hin, dass sich die Dynamik verschoben haben könnte und Drittstaatsangehörige nun meist zuerst mit einem russischen Touristen- oder Studierendenvisum nach Moskau reisen.

Die vorherige polnische Regierung hatte 2021 den Notstand ausgerufen, entlang Teilen der Grenze zu Belarus Zäune mit Stacheldraht errichtet und gesetzliche Maßnahmen zur Ermöglichung summarischer Pushbacks, sogenannter beschleunigter Rückführungsverfahren, erlassen.

Summarische Rückführungsverfahren

Seit Jahren ist es äußerst schwierig, in Terespol, dem einzigen offiziellen Grenzübergang an der polnisch-belarussischen Grenze, einen Asylantrag zu stellen. Summarische Rückführungen sind seit geraumer Zeit ein Problem. Das Rule of Law Institute, eine Organisation, die Asylsuchenden Rechtsbeistand bietet, erklärte gegenüber Human Rights Watch, dass die Chancen, einen Antrag zu stellen, ohne die Hilfe polnischer Anwält*innen gering sind. Eine schwangere Frau von den Komoren sagte, dass sie erst dann in Terespol Asyl beantragen konnte, nachdem eine polnische Nichtregierungsorganisation ihr bei den notwendigen Formalitäten geholfen hatte.

Humanitäre Akteure sind an der Grenze Einschüchterungen und Behinderungen ausgesetzt, so Human Rights Watch. Freiwillige Helfer*innen der Grupa Granica, eines Netzwerks von Organisationen, die die Rechte von Menschen auf der Flucht verteidigen, berichteten, dass polnische Grenzbeamt*innen sie oft willkürlich und an ständig wechselnden Kontrollpunkten aufhalten. Eine Ärztin sagte, es sei „sehr üblich“, dass Grenzbeamt*innen ihre Arbeit durch langwierige, wiederholte Personen- und Fahrzeugkontrollen behinderten.

Eli, ein 25-jähriger Mann aus Somalia, sagte, er sei zwischen April und Juni fünfmal von polnischen Sicherheitskräften zurückgedrängt worden. Die Grenzbeamt*innen zerstörten seine Telefone, besprühten ihn mit Pfefferspray, schlugen seine Freunde und ignorierten seine Asylanträge. Er sagte:

Das erste Mal ... kamen wir über die Grenze und liefen einen Kilometer nach Polen hinein, als uns die Grenzbeamten erwischten. Sie legten uns Plastikhandschellen an. Sie nahmen unsere Handys und zerschlugen sie mit ihren Schlagstöcken.... Sie brachten uns in einem Militärfahrzeug zur Grenzlinie, öffneten ein Tor im Metallzaun und sagten uns, wir sollten zurück nach Belarus gehen.... [Beim zweiten Mal] wurden fünf von uns erwischt, und sie sprühten uns [Pfefferspray] direkt ins Gesicht. Sie legten uns Plastikhandschellen an, setzten uns in ein Auto und fuhren uns zur Grenze. Sie öffneten ein Tor im Zaun und sagten uns, wir sollten zurück nach Minsk fahren. Ich sagte ihnen immer wieder auf Englisch, dass ich Schutz und Asyl in Polen wollte, aber sie sagten nur, wir sollten zurück nach Minsk fahren. Ich war immer noch mit Handschellen gefesselt, als ich abgeschoben wurde.

Tariq, ein 24-jähriger Mann aus dem Jemen, sagte, er sei zwischen August und Oktober 2024 dreimal zurückgedrängt worden. Er sagte, die ersten beiden Male sei er kurz nach dem Überqueren des Zauns von Grenzbeamt*innen aufgegriffen worden. Beim ersten Mal hätten sie Pfefferspray eingesetzt: „Es war wie Rauch in meinen Augen, ich hatte tagelang Schmerzen.“ Beim zweiten Mal wurde er verprügelt:

Ein Grenzbeamter schlug mich so mit einem Schlagstock, dass ich nicht mehr laufen konnte, vor allem auf meine Beine.... Sie schlugen mich und einen Freund etwa eine Stunde lang.... Ich habe nicht um Asyl gebeten, denn selbst, wenn ich darum bitte, werden sie mir nicht helfen. Ich habe nur gesagt: „Ich will nach Polen.“ Die Grenzbeamten sagten: „Du willst nach Deutschland oder Frankreich.“ Ich sagte: „Nein, ich will nach Polen.“ Dann setzten sie uns einfach in ein Auto, fuhren uns zur Grenze und schoben uns hinüber. Sie brachten uns direkt zur Grenze, kein Grenzposten. Als sie uns einfingen, hatten sie mir Plastikhandschellen angelegt, und als sie mich durch den Zaun schoben, hatte ich sie noch an.

Beim dritten Mal sagte er, jemand, den er für einen Polizeibeamten hielt, habe ihn gefunden, ihn bis auf die Unterwäsche ausgezogen und ihn geschlagen:

Dann kam ein anderer Beamter und die Schläge hörten auf. Sie brachten mich zur Grenze. Es waren noch andere im Auto, Afrikaner, Syrer, und wir wurden alle abgeschoben. Es waren drei Frauen in der Gruppe, und eine konnte kaum noch stehen. Die Beamtin war freundlich zu der verletzten Frau. Wir wurden zur Grenze gebracht und durch das Tor zurückgedrängt. Auch dieses Mal wurden meine Hände mit Kabelbindern gefesselt.

Abshir, ein 25-jähriger Mann aus Somalia, sagte, er sei im September 2024 viermal zurückgedrängt worden. Beim vierten Mal, am 23. September, zwangen Grenzbeamt*innen ihn und zwei Frauen in einem sumpfigen Gebiet über die Grenze nach Belarus:

Wir hörten das Geräusch eines Motorrads.... Sie [die Uniformierten] haben mich mit Kabelbindern gefesselt. Sie brachten uns zu einem kleinen Auto an der Grenzmarkierung 437 und warfen uns an der Grenzmarkierung 415 raus. Das war ein Sumpf. Sie setzten mich dort mit den Mädchen ab. Wir mussten durch den Sumpf gehen. Sie schossen mit Gummigeschossen durch den Zaun auf uns, um uns zum Gehen zu bewegen. Wir sind bis zur Grenzmarkierung 418 durch den Sumpf gewatet. Wir flehten die Grenzbeamten an, auf dem Betonvorsprung am Zaun gehen zu dürfen, aber sie erlaubten es uns nicht. 

Anzal, eine 23-jährige Somalierin, sagte, sie habe sich bei ihrem ersten Versuch Mitte April das Bein gebrochen. Grenzbeamt*innen haben sie und eine andere Frau aufgegriffen:

Ich war auf der polnischen Seite im Wald. Ich rief: „Ich habe mir das Bein gebrochen“, und die polnische Armee kam. Sie setzten einen Elektroschocker gegen mich ein. Ich sprach mit einem Grenzbeamten und sagte ihm, dass ich ein besseres Leben wollte. Sie brachten mich zur Grenze und warfen mich zurück.... Sie zerstörten den Ladeanschluss meines Telefons und meine Powerbank. Die andere Frau hat nicht geschrien, also wurde sie nicht getasert. Die polnische Armee sagte: „Steh auf“, aber ich konnte nicht. Sie sagten mir immer wieder, dass ich mir das Bein nicht gebrochen hätte und ... sie zogen uns hoch und ich fiel wieder hin. Sie legten uns Kabelbinder an. Danach setzten sie uns in ein Auto und brachten uns acht Kilometer von der Stelle weg, an der wir gesprungen waren. Sie schoben uns durch eine Tür im Zaun.

Eine Researcherin von Human Rights Watch sichtete Krankenhausunterlagen und eine Narbe an Anzals Unterschenkel. Beides stimmt mit ihren Angaben überein.

Shada, ein 17-jähriges Mädchen aus Somalia, sagte, sie sei im April zweimal zurückgedrängt worden und beschrieb, wie sie bei dem Versuch, eine Leiter zu benutzen, um einen Stacheldrahtzaun zu überwinden und herunterzuspringen, hängenblieb:

Ich war 40 Tage lang im Wald. Ich habe dreimal versucht, die Grenze zu überqueren und wurde zweimal von den Polen erwischt. Beim ersten Mal hatte ich kein Telefon. Sie beleidigten mich, sie sprühten mir Pfefferspray in die Augen. Wir waren zu fünft, drei haben es geschafft. Sie öffneten das Tor und drängten uns zurück. Mir war heiß im Gesicht und ich hatte Schmerzen von dem Spray. Ich ruhte mich zwei Tage lang aus und versuchte es dann erneut. Ich blieb wieder hängen und konnte nicht springen. Von uns sechs sind vier gesprungen und zwei von uns hängen geblieben. Ein freundlicher Grenzschützer kam, er gab mir Wasser, er war nett. Er fragte, wie alt ich sei und woher ich käme. Er brachte uns zu einem Auto und fuhr ein kurzes Stück. Ich sagte, dass ich internationalen Schutz brauche, aber er sagte nur: „Nein, nein, das geht nicht.“ Ich sagte, ich sei 17. Aber er öffnete die Tür und schob uns zurück durch das Tor.

Als Shada im Mai den dritten Versuch unternahm, sagte sie, sie habe sich einen offenen Bruch am Bein zugezogen. Eine Mitarbeiterin von Human Rights Watch sichtete die Narben und Fotos der frischen Wunde. Polnische Grenzschutzbeamt*innen riefen einen Krankenwagen. Nach einer Woche im Krankenhaus durfte sie einen Asylantrag stellen, berichtete sie. Sie wurde als Erwachsene behandelt, weil sie auf der Grundlage einer Röntgenaufnahme des Handgelenks, einer unzuverlässigen Methode zur Altersbestimmung, als Erwachsene eingestuft wurde. Sie sagte, sie habe das Foto ihrer Geburtsurkunde verloren, als ihr Telefon kaputt ging, und belarussische Beamt*innen hätten ihr den Reisepass abgenommen.

Djoum, ein 24-jähriger Mann aus Kamerun, sagte, er habe im Mai fünfmal versucht, die Grenze zu überqueren, und sei jedes Mal zurückgedrängt worden.

Einmal legten sie mir Handschellen an und schlugen dann [mit einem Schlagstock] auf meinen Fuß. Wir waren 10 Leute, zwei Mädchen. Es waren vielleicht vier Soldaten, sie haben uns alle geschlagen, auch die Mädchen. Sie nahmen unsere Handys, setzten uns ins Auto, legten uns Handschellen an und schoben uns dann durch verschiedene Türen im großen Zaun zurück. Sie entscheiden, wohin sie dich abschieben. Sie schlugen uns wie Tiere.

Human Rights Watch sprach mit zwei schwangeren Frauen, die von Grenzbeamt*innen nach Polen durchgelassen wurden. Eine dritte schwangere Frau, Amina von den Komoren, wurde jedoch im Oktober zusammen mit ihrem Begleiter zurückgedrängt.

Ich war zu schwach, wir kamen rüber und gingen zur Polizei, wir bettelten, bleiben zu dürfen. Ich denke, sie haben nicht geglaubt, dass ich schwanger war - sie haben uns zurückgeschickt. Sie halfen meinem Mann, mich in den Wagen zu setzen, brachten uns zu einer Tür im Zaun und sagten uns, wir sollten gehen. Wir flehten sie von der anderen Seite an. Mein Begleiter trug mich in ein Militärlager [in Belarus] und die Soldaten dort riefen einen Krankenwagen.

Sie sagte, dass sie schließlich über den offiziellen Grenzübergang in Terespol nach Polen einreisen konnte; ihr Begleiter befand sich noch in Belarus, als wir mit ihr sprachen.

Menschenrechtswidrige Behandlung an den Grenzübergängen

Sieben Personen, darunter der 26-jährige Somalier Eli, gaben an, dass sie zurückgedrängt wurden, nachdem ihre Asylanträge an einem Grenzposten bearbeitet worden waren.

Ali, 21, aus dem Jemen, sagte, er sei Teil einer Gruppe von 10 Personen gewesen, die im August von polnischen Grenzbeamt*innen aufgegriffen wurde. Seinen Angaben zufolge waren sie da 12 Kilometer vom Grenzzaun entfernt unterwegs:

Dann kamen Grenzsoldaten mit Hunden. Ein Hund hat mich gebissen. Sie nahmen unsere Telefone und durchsuchten uns und unsere Taschen. Sie machten unsere Telefone kaputt. Dann brachten sie uns zu einem Grenzposten. Es war Nacht. Wir blieben dort bis zum Morgen und sie nahmen meine Fingerabdrücke.... Sie ließen mich Papiere unterschreiben. Die anderen auch. Ich weiß nicht, was das für ein Papier war. Es war auf Polnisch. Nachdem wir unterschrieben hatten, zeigten sie mir ein arabisches Papier und zwangen mich zu unterschreiben. Ich habe es erst gelesen, nachdem ich unterschrieben hatte. Darin stand, dass wir nach Belarus gehen und nicht wieder nach Polen einreisen sollen.... Danach brachten sie uns mit dem Auto zu einem Punkt, der sehr weit von unserem Ausgangspunkt entfernt war. Sie setzten uns ab, öffneten das Tor und sagten uns, wir sollten gehen.

Saynab, eine 33-jährige Somalierin, die allein reiste, sagte, sie und neun andere seien im August zurückgedrängt worden. Nachdem sie stundenlang durch Polen gelaufen waren, erhielten sie Hilfe von einer humanitären Organisation, als polnische Grenzbeamt*innen eintrafen.

Sie schnappten uns und sagten zu den Freiwilligen: „Das wird nichts mit Polen.“ Dann setzten sie uns alle in ein Auto und fuhren uns zu einem Grenzposten. Als wir dort ankamen, unterschrieben wir die Papiere, sie machten Fotos und nahmen unsere Fingerabdrücke. Auf dem Papier stand auf Polnisch „Sie sind nicht nach Polen gekommen“. Sie zwangen mich zu unterschreiben. Einige unterschrieben, andere nicht.... Dann fuhren sie uns mit dem Auto zum Zaun und schoben uns durch eine Tür.

Bei ihrem nächsten Versuch im September brach sich Saynab nach eigenen Angaben beide Füße, als sie von der Leiter fiel, mit der sie den Stacheldraht am Grenzzaun überwinden wollte. Polnische Grenzsoldat*innen riefen einen Krankenwagen. Nach einem Krankenhausaufenthalt konnte sie einen Asylantrag stellen. Bei unseren Gespräch saß sie immer noch im Rollstuhl und zeigte Papiere über ihren Krankenhausaufenthalt vor.

Maklit, eine 18-jährige Äthiopierin, sagte, dass sie im Oktober fünfmal von Wachleuten zurückgedrängt wurde. Viermal wurde sie aufgegriffen und kurzerhand nach Belarus zurückgeschickt. Einmal wurde sie jedoch zu einem Grenzposten gebracht, nachdem ihr eine Hilfsorganisation im Wald geholfen hatte:

Sie ließen mich Papiere auf Polnisch unterschreiben, ich weiß nicht, was drinstand. Es gab eines in Amharisch über mich, das habe ich unterschrieben. Sie legten mir die Handschellen sehr eng an.... Dann schoben sie mich ab.... Ich habe mich verlaufen, ich hatte kein Telefon. Ich kam zurück zum polnischen Zaun und bat darum, mich durchzulassen, aber der Wachmann lachte nur und zeigte mir den Weg zum belarussischen Zaun.

Dawit, ein 24-jähriger Äthiopier, wurde im April zurückgedrängt. Er und zwei weitere Personen waren nach ihrer Einreise nach Polen „die ganze Nacht und den nächsten Tag über gelaufen“, bevor sie von der Polizei aufgegriffen wurden:

Sie schlugen uns, sie schlugen mir ins Gesicht und in die Seite. Sie schlugen einen Mann so massiv, dass er sich erbrach, und sie brachten ihn ins Krankenhaus. Sie [die Polizei] riefen die Grenzbeamten, sie legten mir Handschellen an und brachten mich mit dem Auto 10-15 Minuten zu einem Grenzposten. Sie sagten mir, ich solle ein Papier auf Englisch unterschreiben. Darin stand, dass ich kein Asyl in Polen wollte.

Dawit sagte, er und der andere Mann seien dann nach Belarus zurückgedrängt worden.

Sumaya, eine 28-jährige Somalierin, sagte, dass sie und 11 andere Menschen im Juni aus Polen zurückgedrängt wurden, obwohl sie sich an einer offiziellen Grenzstation befanden:

Wir waren eine Stunde lang am Grenzposten. Ich bat um Asyl in Polen, aber sie hörten mir nicht zu. Die Grenzbeamten haben uns nur gesagt, wir sollen ein Papier unterschreiben. Sie legten mir einfach ein Papier vor die Nase ... [und] sagten mir nur, ich solle unterschreiben. Also habe ich unterschrieben. Es gab keinen Dolmetscher, und sie haben nicht erklärt, was das für ein Papier war. Danach brachten sie uns zur Grenze und drängten uns durch ein Tor im Zaun zurück.

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