Viele unter den Tausenden junger Klimaaktivist*innen, die wenige Tage vor der Bundestagswahl in Deutschland auf die Straßen gezogen sind, haben nie jemand anderen an der Spitze der Bundesregierung erlebt als Kanzlerin Angela Merkel, die seit 2005 im Amt war. Ihre Augen sind nun auf ihren Nachfolger Olaf Scholz gerichtet.
Die Klimakrise droht katastrophale Auswirkungen auf die Menschenrechte zu haben. Entschlossenes Handeln der Bundesregierung, um Treibhausgasemissionen zu verringern, ist entscheidend, wenn Deutschland – der größte Treibhausgasverursacher der Europäischen Union – dazu beitragen soll, die schlimmsten dieser Auswirkungen noch zu verhindern. Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung, ein unverbindlicher Fahrplan für den Gesetzgeber, fordert den Ausstieg aus der Kohleenergie „idealerweise“ bis 2030, verspricht einen Abbau der Subventionen für fossile Brennstoffe und ein Gesetz zur Klimaanpassung. Das sind Schritte in die richtige Richtung. Sie reichen aber nicht aus, um Deutschlands Beitrag zum globalen Ziel des Pariser Abkommens zu erfüllen, die Erderwärmung auf 1,5°C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.
Neben der Klimakrise muss die neue Koalition aus SPD, Grünen und FDP auch die Herausforderungen für die Rechtsstaatlichkeit in der EU angehen, sich gegenüber Autokraten in China und Russland für Menschenrechte einsetzen und die vielen Herausforderungen in der Pandemie bewältigen.
Der Koalitionsvertrag enthält vielversprechende Zusagen zur Förderung der Rechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen und trans*-Personen (LGBT), einschließlich der Änderung des „Transsexuellengesetzes“ zur rechtlichen Geschlechtsanerkennung für Transgender-Personen. Die soll zukünftig auf dem Prinzip der Selbstbestimmung beruhen. Die Koalition will außerdem Menschenrechte in den Lieferketten schützen, im Einklang mit den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, die auch das Recht von Betroffenen auf Wiedergutmachung vorsehen. Sie plant zudem, die Kapazitäten zur Strafverfolgung nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu erhöhen, wodurch Verfahren wie der Koblenzer Prozess zu staatlicher Folter in Syrien möglich sind.
In Europa will die neue Bundesegierung den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte stärken und „die Umsetzung seiner Urteile in allen Mitgliedsländern mit Nachdruck einfordern“. Sie unterstützt den Einsatz von Mechanismen und Sanktionen zur Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die Koalition fordert außerdem eine gemeinsame Verantwortung der Mitgliedstaaten für Migrant*innen und Geflüchtete, ein Ende der Push-Backs an den EU-Außengrenzen und die Einhaltung der Menschenrechte durch die Grenzschutzagentur Frontex.
Die neue Bundesregierung sollte sich nun ans Werk machen, um die menschenrechtlichen Erwartungen zu erfüllen. Sie wird erst noch beweisen müssen, dass was die Koalition als „Deutschlands Verantwortung für Europa und die Welt“ bezeichnet, nicht nur in Worten zum Ausdruck kommt, sondern auch in Taten.