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Aserbaidschan: Bekannte Journalistin in fehlerhaftem Prozess verurteilt

Europa soll auf Bakus Repressionen gegen Dissidenten reagieren

Khadija Ismayilova © Jahangir Yusif

(New York) – Die aserbaidschanische Investigativjournalistin Khadija Ismayilova ist am 1. September 2015 von einem Gericht in der Hauptstadt Baku wegen angeblicher Steuerhinterziehung und anderer Wirtschaftsdelikte schuldig gesprochen worden.

Ismayilova wurde nach einer politisch motivierten Anklage in einem von Unregelmäßigkeiten geprägten Prozess und einer zuvor gegen sie initiierten Verleumdungskampagne zu sieben Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Von einem weiteren Vorwurf, der Anstiftung zum Selbstmord, sprach das Gericht sie frei. Die aserbaidschanischen Behörden sollen unverzüglich Schritte zur Aufhebung des Urteils ergreifen und Ismayilova aus der Haft entlassen.

„Das empörende Urteil gegen Khadija Ismayilova zeigt, dass die aserbaidschanischen Behörden bereit sind, das Recht zu unterminimieren, um sich an Kritikern zu rächen“, so Kenneth Roth, Executive Director von Human Rights Watch. „Ismayilovas Verurteilung und das gegen sie verhängte Strafmaß sollen unverzüglich aufgehoben werden.“

Ismayilova ist Preisträgerin des Alison-Des-Forges-Award für außergewöhnliches Engagement 2015, mit dem Human Rights Watch sie für ihren bewundernswerten Mut als Journalistin und Menschenrechtsaktivistin auszeichnet, den sie ungeachtet der beispiellosen Unterdrückung der freien Meinungsäußerung in Aserbaidschan beweist.

Das Gerichtsverfahren gegen Ismayilova entsprach nicht im Entferntesten den internationalen Standards für einen fairen Prozess. Die Behörden wollten offensichtlich das Verfahren schnell beenden und wiesen so gut wie alle Anträge der Verteidigung ab, etwa den Antrag zur Aufnahme der zu Ismayilovas Entlastung dienenden Beweise oder zur Anfechtung der seitens der Anklage gegen sie erhobenen Behauptungen. Laut Staatsanwaltschaft seien diese Anträge ein Versuch gewesen, um den Prozess zu verschleppen. Darüber hinaus lehnten die Behörden Ismayilovas Anfragen für eine zusätzliche Frist ab, um mit ihren Anwälten über die Möglichkeiten ihrer Verteidigung zu sprechen, und gestanden ihr während des Prozesses nur wenige Stunden mit ihren Anwälten zu.

Ismayilova bezeichnete das Verfahren, das erst am 24. Juli eingeleitet wurde, als „Eilprozess“. Bei der Anhörung am 18. August las Ismayilova einen Brief an das Gericht vor, in dem es hieß: „Ich möchte erneut mein Missfallen darüber zum Ausdruck bringen, dass das Gericht so hastig vorgeht“. Darüber hinaus sagte sie, die Behörden hätten ihre Rechte über Bord geworfen, um rasch zu einem Urteilsspruch zu kommen.

Die Behörden hinderten die meisten unabhängigen Beobachter und Unterstützer von Ismayilova daran, an den Verhandlungen teilzunehmen, und ließen, zahlreichen Medienberichten zufolge, den Gerichtssaal mit „Schein“-Beobachtern füllen, sodass Angehörige und Unterstützer von Ismayilova die Verhandlungen nicht verfolgen konnten. Ihre Mutter und ihre Schwester sowie Vertreter ausländischer Botschaften hatten zu manchen Sitzungen keinen Zugang, zu anderen wiederum schon. Ein Mitarbeiter von Human Rights Watch durfte an dem Verfahren am 13. August teilnehmen, am 14. August hingegen wurde er nicht zugelassen.

Khadija Ismayilova with her mother Elmira Ismayilova in July 2014. © 2014 Meydan TV/Jahangir Yusif

Während des Prozesses beschuldigte Ismayilova die Regierung, sie wolle ihre investigative Berichterstattung, vor allem über die Geschäfte von Präsident Ilham Aliyevs Familie, unterbinden.

„Aserbaidschan kann der Gerechtigkeit Hohn sprechen, weil die Regierung bisher ungestraft davongekommen ist“, so Roth. „Es ist höchste Zeit, dass die internationale Gemeinschaft mehr tut, als nur seine Besorgnis über die unrechtmäßige Inhaftierung von Khadija Ismayilova und vielen anderen zum Ausdruck zu bringen. Es müssen jetzt dringend deutliche Konsequenzen gezogen werden.“

Insbesondere die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten sollen entschlossen und mit einer Stimme auf die verheerende Menschenrechtslage in Aserbaidschan reagieren, so Human Rights Watch. Die Verhandlungen über ein neues Abkommen für eine strategische Partnerschaft mit Baku sollen eingefroren und Maßnahmen in anderen multilateralen Gremien, etwa dem UN-Menschenrechtsrat, ergriffen werden, um Aserbaidschan für seine katastrophale Menschenrechtsbilanz eine Rüge zu erteilen. Eine gemeinsame Haltung aller Mitgliedstaaten und EU-Institutionen gegenüber Aserbaidschan ist dringend erforderlich, um der Regierung deutlich zu machen, dass diese empörenden Praktiken nicht ungestraft bleiben, so Human Rights Watch.

Zudem sollen die Stimmrechte der aserbaidschanischen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates suspendiert werden.

Die Behörden verhafteten Ismayilova am 5. Dezember 2014.

Ismayilova hat ausführlich über Korruption in Regierungskreisen berichtet und unter anderem die wirtschaftlichen Interessen von Angehörigen der Herrscherfamilie offengelegt. Die Regierung hat konsequent darauf hingearbeitet, sie mundtot zu machen. Im Februar 2014 wurde Ismayilova als Zeugin im Zuge von Ermittlungen über die angebliche Verbreitung von Staatsgeheimnissen verhört. Nur wenige Tage zuvor hatten regierungsnahe Medien berichtet, sie hätte Unterlagen über aserbaidschanische Oppositionspolitiker an US-Regierungsbeamte, die für den Geheimdienst arbeiteten, weitergegeben. Die US-Botschaft wies diese Behauptung zurück.

Am 12. Oktober 2014 ließen Zollbeamte Ismayilova, die an einer internationalen Konferenz teilnehmen wollte, nicht aus Aserbaidschan ausreisen. Den Grund für die Ausreisesperre wollte man ihr nicht nennen. Kurz zuvor war sie bei ihrer Rückkehr von einem Treffen mit Vertretern des Europarates, denen sie von den Repressionen gegen Aktivisten in Aserbaidschan berichtet hatte, mehrere Stunden lang auf dem Flughafen festgehalten worden. 2012 war sie zum Ziel einer Schmutzkampagne geworden, in der intime und illegal beschaffte Bilder von ihr ins Netz gestellt wurden. Dabei handelte es sich offensichtlich um einen Versuch, sie von der Veröffentlichung weiterer Berichte abzuhalten.

Ismayilova hatte mit ihrer Verhaftung gerechnet. Obwohl sie Drohungen erhielt und massiv unter Druck gesetzt wurde, hat sie sich bewusst dafür entschieden, in Aserbaidschan zu bleiben und ihre Arbeit fortzusetzen.

Ihre Verurteilung ist der jüngste Fall in einem unerbittlichen und brutalen Feldzug der Regierung, um Kritiker zum Schweigen zu bringen und unabhängige Stimmen in die Schranken zu weisen. Die Behörden in Aserbaidschan haben in den letzten beiden Jahren Dutzende von unabhängigen Journalisten, Menschenrechtsaktivisten, politischen Oppositionellen und Bloggern eingeschüchtert, schikaniert und verhaftet. Viele von ihnen sind in offensichtlich unfairen Prozessen schuldig gesprochen und zu Haftstrafen verurteilt worden. Andere sind aus Angst vor Verfolgung aus dem Land geflohen oder untergetaucht.

Am 13. August 2015 sind die prominenten Menschenrechts- und Friedensaktivisten Leyla und Arif Yunus nach einer politisch motivierten Anklage und in einem unter Verstoß gegen die geltenden Verfahrensvorschriften geführten Prozess wegen angeblicher Wirtschaftsdelikte von einem Gericht in Baku zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Beide leiden an schweren chronischen Erkrankungen. So musste Arif Yunus während der Verhandlungen starke Schmerzmittel einnehmen und hatte Mühe, aufrecht zu sitzen und dem Prozess zu folgen. Die beiden Menschenrechtsverteidiger Rasul Jafarov und Intigam Aliyev sind im April aufgrund ähnlicher Anschuldigungen verurteilt worden. Sie verbüßen jeweils Freiheitsstrafen von sechs Jahren und drei Monaten beziehungsweise von siebeneinhalb Jahren.

„Ismayilovas unerschütterliches Engagement für Transparenz und Gerechtigkeit in ihrem Land sollte Aserbaidschan mit Stolz erfüllen und nicht die Ursache für Bestrafung, Verfolgung und Gefängnis sein“, so Roth

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