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EU-Regierungen untergraben Folterverbot

„Diplomatische Zusicherungen“ gegen Folter bieten keinen Schutz vor Missbrauch

In einem heute veröffentlichten Bericht des Europäischen Parlaments wird nur teilweise offen gelegt, inwieweit Europa für Folter verantwortlich ist. Das Parlament untersuchte die Rolle von EU-Staaten bei Überstellungen durch die CIA. Human Rights Watch dokumentiert dazu in einem Hintergrundpapier, wie einige EU-Regierungen das weltweite Verbot von Folter direkt untergraben haben.

Das Hintergrundpapier erläutert, wie sich EU-Staaten auf leere Versprechen über menschenwürdige Behandlung - auch unter dem Begriff „diplomatische Zusicherungen“ bekannt - verlassen haben, um die Rücksendung mutmaßlicher Terroristen in Länder rechtfertigen zu können, in denen Folter droht. Der Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments über illegale CIA-Aktivitäten in Europa arbeitete insbesondere über CIA-Flüge und die von den USA durchgeführten Überstellungen mutmaßlicher Terroristen. Auch werden EU-Mitgliedsstaaten aufgefordert, „diplomatische Zusicherungen“ bezüglich Folter bei der Abschiebung mutmaßlicher Terroristen abzulehnen. Diese Versprechen gegen Folter wurden in Europa erstmals in den 1990er Jahren verwendet und somit lange vor den am 11. September 2001 in den USA verübten Anschlägen.

„Das Europäische Parlament bemüht sich mit Recht darum, der Beteiligung Europas an den rechtswidrigen Handlungen der CIA ein Ende zu setzen“, so Holly Cartner, Leiterin der Abteilung für Europa und Zentralasien von Human Rights Watch. „Will Europa tatsächlich seine Beteiligung an der Anwendung von Folter beenden, so sollten auch in Europa selbst entstandene Praktiken gestoppt werden, durch die das weltweite Folterverbot untergraben wird.“

EU-Staaten wie Großbritannien und Schweden haben die Anwendung diplomatischer Zusicherungen am stärksten unterstützt, wenn es um die Abschiebung und Auslieferung mutmaßlicher Terroristen geht. Großbritannien versucht derzeit, mutmaßliche Terroristen auf der Grundlage pauschaler Versprechen gegen Folter von Ländern wie Jordanien und Syrien abzuschieben. Auch Österreich, die Niederlande und Deutschland haben sich auf diplomatische Zusicherungen berufen, um mutmaßliche Terroristen an Länder ausliefern zu können, in denen Folter droht. Diese EU-Regierungen haben argumentiert, dass sie durch diplomatische Zusicherungen mutmaßliche Terroristen abschieben oder ausliefern können, ohne dass ihnen Gefahr drohe.

Das Human Rights Watch Hintergrundpapier beruht auf Untersuchungen der vergangenen drei Jahre und zeigt, dass Versprechen von Regierungen unzuverlässig, nicht durchsetzbar und unwirksam sind, wenn sie von Ländern kommen, in denen gefoltert wird und spezifische Gruppen verfolgt werden. Das bekannteste Beispiel ist Schweden, das zwei mutmaßliche Terroristen aus Ägypten im Dezember 2001 durch die CIA basierend auf Versprechen über menschenwürdige Behandlung nach Kairo bringen ließ. Beide wurden nach ihrer Rückkehr gefoltert, obwohl ihnen schwedische Diplomaten Besuche abstatteten. Zwei UN-Gremien - der Ausschuss gegen Folter und der Menschenrechtsausschuss - haben in der Zwischenzeit entschieden, dass das Vorgehen Schwedens in diesem Fall gegen das internationale Verbot verstieß, Menschen in Länder auszuliefern, in denen ihnen Folter droht.

„Diplomatische Zusicherungen bieten nun einmal keinen Schutz vor Folter“, so Cartner. „Europäische Regierungen haben diese leeren Versprechungen als Feigenblatt verwendet, um Menschen in Länder zurückzuschicken, in denen sie unter Umständen gefoltert werden.“

Dass diplomatische Zusicherungen wertlos sind, ist in der Praxis der Folter an sich begründet. Folter ist eine verbrecherische Tätigkeit, die im Geheimen und unter Anwendung von Techniken ausgeübt wird, die schwer nachweisbar sind. Beispiele dafür sind vorgetäuschtes Ertränken, sexueller Missbrauch und dem Körper zugefügte Elektroschocks. In einigen Ländern sorgt die jeweilige Regierung dafür, dass in Gefangenenlagern medizinisch geschultes Personal den Missbrauch mit dem Ziel überwacht, dass Foltermaßnahmen nur schwer nachgewiesen werden können. Werden Gefangene gefoltert, haben sie oft Angst davor, sich über diesen Missbrauch zu beschweren. Sie fürchten Repressalien gegen sich oder Familienangehörige. Besuche von Diplomaten oder anderen Personen bei mutmaßlichen Straftätern nach deren Rückkehr können daher kein wirksamer Schutz vor Misshandlung sein.

Im Juli hat das Europäische Parlament die Mitgliedsstaaten aufgefordert, „diplomatische Zusicherungen gegen Folter überhaupt nicht mehr einzusetzen“.

„Während der EU-Präsidentschaft Deutschlands sollte die Regierung von Angela Merkel jetzt alle EU-Staaten dazu drängen, dem Aufruf des Parlaments nachzukommen“, so Cartner. „Die Mitschuld europäischer Regierungen an Folter muss ein Ende finden.“

Das Hintergrundpapier enthält auch Informationen über aktualisierte und neue Fälle, in denen Zusicherungen gegen Folter von anderen Ländern wie den USA, Kanada und Russland genutzt wurden. In Kürze wird Human Rights Watch in einem weiteren Hintergrundpapier die Überstellungen von Guantánamo-Häftlingen nach Russland dokumentieren sowie Folter und andere Formen des Missbrauchs, die sie nach ihrer Rückkehr erlitten haben – trotz russischer Zusicherungen auf menschenwürdige Behandlung.

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