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Ein Flur mit Zellen in der Zentralen Polizeistation von Izium, in der russische Streitkräfte Menschen festhielten, 23. September 2022 © 2022 Belkis Wille/Human Rights Watch

(Kiew, 19. Oktober 2022) – Russische Streitkräfte und andere Truppen unter ihrem Kommando haben während ihrer sechsmonatigen Besatzung von Isjum, einer ukrainischen Stadt in der nordöstlichen Region Charkiw, regelmäßig Gefangene gefoltert, so Human Rights Watch heute.

Betroffene berichteten von Elektroschocks, Waterboarding, brutalen Schlägen und Drohungen bei vorgehaltener Waffe und dass sie dazu gezwungen wurden, über lange Zeit in einer unangenehmen Position zu verharren. Sie berichteten von mindestens sieben Orten in der Stadt, inklusive zweier Schulen, wo sie ihren Aussagen zufolge von Militärangehörigen festgehalten und misshandelt wurden.

„Die brutale Gewalt und die Misshandlungen in Isjum geschahen nicht zufällig.“, sagte Belkis Wille, leitende Researcherin der Abteilung Krisen und Konflikte bei Human Rights Watch. „Mehrere Überlebende teilten übereinstimmende Erlebnisse mit uns von Folter in Verhören, die in Gebäuden unter Kontrolle russischer Streitkräfte oder ihnen unterstehenden Truppen stattfanden, was auf eine geplante und zielgerichtete Vorgehensweise hindeutet.“

Ende September und Anfang Oktober sprach Human Rights Watch mit mehr als 100 Menschen in Isjum, die während der russischen Besatzung vom März bis Anfang September 2022 in der Stadt waren. Beinahe alle gaben an, von einem Familienmitglied oder Bekannten zu wissen, die gefoltert wurden. Fünfzehn von ihnen, vierzehn Männer und eine Frau, berichteten zudem, selbst gefoltert worden zu sein. Einer der Männer hatte Verbindungen zur Armee, die übrigen waren Zivilist*innen. Familienangehörige und Freund*innen von zwei weiteren Männern, die festgenommen und gefoltert worden waren, sagten, dass diese sich wenige Tage nach ihrer Freilassung das Leben genommen hätten.

Die Festnahmen fanden zu Hause, auf der Straße oder auf einem Markt statt. Die Betroffenen wurden bis zu 14 Tage lang festgehalten. Alle Männer gaben an, mittels Elektroschocks oder Schlägen mit den Händen, mit Gewehrkolben, mit Metall- oder Kunststoffrohren, einem Schlauch und in einem Fall mit einem Sandsack am Ende eines Stocks misshandelt worden zu sein. Ein Mann wurde fünf Mal festgenommen und dabei jedes Mal mehrfach gefoltert.

Die Frau gab an, einen ganzen Tag lang festgehalten und dabei von Soldaten geohrfeigt und in den Bauch geschlagen worden zu sein. Zudem habe man ihr angedroht, sie zu vergewaltigen. Die Washington Post berichtete vom Fall einer anderen Frau, die offenbar zu einem anderen Zeitpunkt in denselben Räumlichkeiten festgehalten worden war und die angab, mehrmals vergewaltigt worden zu sein. Ein Mann, der zur selben Zeit dort festgehalten wurde, berichtete davon, Schreie von Frauen sowie Gespräche von Soldaten gehört zu haben, die von sexueller Gewalt gegen mindestens eine gefangene Person erzählten.

Ein 21-jähriger Mann sagte, dass er am 5. oder 6. Juli von Soldaten auf einem Markt verhaftet worden sei, weil diese ein Tattoo auf seinem Ellbogen erkannt hätten, das häufig bei rechtsgerichteten Personen zu finden sei. Er sagte, dass er das Tattoo hätte, weil es auch bei ukrainischen Fußballfans beliebt sei.

Ein Mann wurde Anfang April an seinem Arbeitsplatz bei der örtlichen Wasserpumpstation festgenommen. Ihm zufolge hätten Soldaten ihn zu einer Videoaufnahme gezwungen, in der er beschuldigt wurde, ein Banderovets zu sein. Das ist eine abwertende Bezeichnung, mit der russische Menschen Ukrainer*innen beschimpfen, die ihre Regierung unterstützen. Der Begriff verweist auf die damalige anti-sowjetische Partisanenbewegung im Zweiten Weltkrieg. Als er zwei Tage später freigelassen wurde, erzählten ihm Bekannte, dass sie das Video gesehen hätten. Human Rights Watch konnte das Video sichten, das auf Youtube erneut hochgeladen worden war.

Alle Festgenommenen berichten, dass ihnen befohlen wurde, die Namen von Einwohner*innen von Isjum preiszugeben, die bei der Polizei arbeiteten, bei den Territorialen Verteidigungseinheiten aktiv waren oder die Veteranen der Operationender als ATO bekannten ukrainischen Militär- und Sicherheitskräfte im Donbas waren. Manchen wurde vorgeworfen, Waffen oder Drogen zu besitzen. Zwei sagten, dass sie direkt gefragt worden seien, ob sie Russland unterstützten. Russische Truppen versuchten, einen Mann, der zu Hause einen Generator besaß, ein Dokument unterzeichnen zu lassen, in dem er den Besitz an seinem Haus auf sie übertrug. Ein weiterer berichtete, dass Mitglieder der russischen Kräfte zu seinem Haus gekommen seien, Marihuana auf sein Küchentisch gelegt und von ihm verlangt hätten, ein Geständnis zu unterschreiben, wonach er im Besitz von Drogen sei.

Alle Interviewten gaben an, dass russische Soldaten ihnen Dinge aus ihrem Besitz gestohlen hätten, wie etwa Geld, Juwelen, elektronische Geräte und Autos.

Human Rights Watch dokumentierte bereits in früheren Fällen, wie russische Streitkräfte Menschen in anderen Regionender Ukraine folterten, die sie besetzt hielten.

Nationale und internationale Gesundheitsorganisationen und ‑institutionen sollten in der Charkiw-Region sowie in anderen nicht länger besetzt gehaltenen Gebieten dringend Unterstützung für Folteropfer anbieten. Dazu gehören sowohl psychosoziale und psychische Unterstützung als auch spezielle Hilfe für Betroffene sexueller Gewalt.

„Wir sind noch dabei, das Ausmaß der Verbrechen und anderer Übergriffe auf Menschen in Isjum während der russischen Besatzung in Erfahrung zu bringen. Klar ist, dass Überlebende jetzt entsprechende Unterstützung benötigen“, sagte Wille. „Unsere Erkenntnisse weisen darauf hin, dass russische Truppen in vielen der von ihnen besetzten Gebiete schreckliche Übergriffe begangen haben. Und es steht zu befürchten, dass ähnliche Übergriffe in anderen Gebieten stattfinden, die sie weiter kontrollieren.“

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