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FIFA: Immer noch keine Unterstützung für Entschädigungsfond

Der Weltfußballverband sollte sich vor der Weltmeisterschaft zur Entschädigung verpflichten

Arbeiter vor dem Al-Janoub-Stadion, einem der Stadien der Fußballweltmeisterschaft 2022, in Doha, Katar, Montag, 16. Dezember 2019. © 2019 AP Photo/Hassan Ammar

(New York) - Die FIFA hat sich bislang nicht offiziell zu einem Fonds zur Entschädigung von Arbeitsmigranten für Schäden und Todesfälle in Katar verpflichtet, obwohl mindestens sieben nationale Fußballverbände, vier WM-Sponsoren, ehemalige Spieler*innen, führende Politiker*innen und laut einer Meinungsumfrage auch ein Großteil der Öffentlichkeit in 15 Ländern dies unterstützen, so Human Rights Watch, Amnesty International und FairSquare heute.

Vor fünf Monaten, am 17. Mai., starteten Human Rights Watch, Amnesty International und FairSquare zusammen mit einer weltweiten Koalition von Menschenrechtsgruppen, Gewerkschaften und Fan-Organisationen die Kampagne #PayUpFIFA. Darin fordern sie die FIFA auf, für schwere Missstände wie Todesfälle, Verletzungen, unbezahlte Löhne und exorbitante Rekrutierungskosten Wiedergutmachung zu leisten, auch durch finanzielle Entschädigungen. Knapp einen Monat vor dem Turnier hat die FIFA noch nicht angekündigt, dieser Forderung nachkommen zu wollen, sondern lediglich gesagt, sie prüfe den Vorschlag noch.

„Es ist beschämend, dass die FIFA trotz prominenter Fußballspieler*innen, Fußballverbände und Sponsoren, die die #PayUpFIFA-Kampagne unterstützen, und trotz der breiten Unterstützung in der Bevölkerung, immer noch nicht der Forderung nach einem Fonds zur Entschädigung vieler tausend Arbeitsmigranten nachgekommen ist, die während der WM gestorben sind, verletzt wurden oder deren Löhne gestohlen wurden“, sagte Michael Page, stellvertretender Direktor für den Nahen Osten und Nordafrika bei Human Rights Watch. „Die FIFA versagt bei ihrer menschenrechtlichen Verantwortung und zeigt ihren Mangel an Wertschätzung für die Arbeitsmigranten, die die Infrastruktur für genau das Turnier in Katar gebaut haben, mit der sie enorme Gewinne erzielen wird.“

Am 13. Oktober berichtete die Associated Press, dass der stellvertretende FIFA-Generalsekretär Alasdair Bell bei einer Sitzung des Europarats sagte, dass Entschädigungen „sicherlich etwas sind, das wir vorantreiben wollen“.  Wenige Wochen vor dem Eröffnungsspiel der Weltmeisterschaft haben sich jedoch weder die FIFA noch Katar formell verpflichtet, einen Wiedergutmachungs-Fonds für eine Reihe von Schäden einzurichten, die durch die Weltmeisterschaft entstanden sind, unter anderem für den Tod von Arbeitsmigranten.
Als der Weltfußballverband FIFA Katar 2010 den Zuschlag für die Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft erteilte, wusste er oder hätte zumindest wissen müssen, dass die Millionen von Arbeitsmigranten, die eine Infrastruktur im Wert von 220 Milliarden US-Dollar errichten, schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sein würden. Dennoch hat die FIFA weder arbeitsrechtliche Auflagen gemacht noch eine wirksame menschenrechtliche Sorgfaltsprüfung durchgeführt. Die Organisation hat sich nun, wenige Wochen vor Beginn des Turniers, immer noch nicht öffentlich dazu verpflichtet, diese schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen zu beheben.

Seit Mai dieses Jahres haben Human Rights Watch, Amnesty International und FairSquare die 32 Fußballverbände, die sich für die Weltmeisterschaft 2022 qualifiziert haben, angeschrieben und sie aufgefordert, den Entschädigungsfonds öffentlich zu unterstützen. Dieser Aufforderung sind bisher mindestens sieben der qualifizierten Fußballverbände öffentlich nachgekommen, darunter:

  • Königlicher Belgischer Fußballverband (RBFA)
  • Französischer Fußballverband (FFF)
  • Englischer Fußballverband
  • Deutscher Fußball-Bund (DFB)
  • Königlicher Niederländischer Fußballverband (KNVB)
  • Fußballverband von Wales (FAW)
  • Fußballverband der Vereinigten Staaten von Amerika (U.S. Soccer)

Darüber hinaus wird die Forderung vom norwegischen Fußballverband unterstützt. Die Arbeitsgruppe für Arbeiterrechte in Katar der Union of European Football Associations (UEFA), dem Dachverband von 55 nationalen Fußballverbänden, drängt die FIFA, sich zu einem Entschädigungsprogramm zu verpflichten. Am 14. Oktober erklärte die UEFA-Arbeitsgruppe, sie habe die FIFA aufgefordert, bis Ende Oktober zu reagieren und sich zu den offenen Fragen in Bezug auf Arbeitsmigranten verbindlich zu äußern. In ihrem Bericht vom Juni nach einer Reise nach Katar heißt es, dass die Frage der Entschädigung ausführlich erörtert wurde und die Arbeitsgruppe „dem Grundsatz zustimmte, dass jede Verletzung und jeder Tod an jedem Arbeitsplatz in jedem Land entschädigt werden sollte“. 

Von den 32 qualifizierten Mannschaften haben Human Rights Watch, Amnesty International und/oder FairSquare persönliche oder Online-Briefings mit den jeweiligen Fußballverbänden abgehalten, darunter mit dem DFB, dem niederländischen Fußballverband, dem englischen Fußballverband, dem belgischen Fußballverband, dem Schweizer Fußballverband, dem französischen Fußballverband, dem US-amerikanischen Fußballverband (U.S. Soccer), dem dänischen Fußballverband sowie mit der UEFA-Arbeitsgruppe. Drei Verbände, der japanische Fußballverband, der walisische Fußballverband und der australische Fußballverband, übermittelten schriftliche Antworten, die keine substanziellen Informationen enthielten und nicht auf die Empfehlung eingingen, sich bei der FIFA für die Wiedergutmachung der Schäden einzusetzen, die den Arbeitsmigranten entstanden sind. Der walisische Fußballverband gab jedoch später eine Erklärung ab, in der er mitteilte, dass er sich mit der UEFA-Arbeitsgruppe auf den Grundsatz geeinigt habe, dass jede Verletzung und jeder Tod entschädigt werden sollte.

Auf der Menschenrechtskonferenz des DFB am 19. September brachte Präsident Bernd Neuendorf seine „bedingungslose Unterstützung“ für den Entschädigungsfonds zum Ausdruck. Auch der niederländische Fußballverband hat die Forderung nach Entschädigung unterstützt und erklärt, dass die Opfer oder ihre Angehörigen entschädigt werden sollten. Der niederländische Cheftrainer Louis Van Gaal unterstützte die Forderung nach Entschädigung nachdrücklich. Der englische Fußballverband erklärte, er setze sich weiterhin für das „Prinzip der Entschädigung“ für die Familien von Arbeitsmigranten ein, die bei Bauprojekten ums Leben gekommen oder verletzt worden seien. Der Französische Fußballverband erklärte, dass er mit einem Dutzend anderer Verbände an der Einrichtung eines „Entschädigungsfonds für all diejenigen arbeitet, die Opfer von Arbeitsunfällen während des Baus der Weltmeisterschaft geworden sind.“ Der Trainer des brasilianischen Fußballverbands hat sich auf Medienanfrage ebenfalls für den Entschädigungsfonds ausgesprochen. Zu den Ländern, die sich noch nicht öffentlich geäußert haben, gehören Mexiko und Kanada, die die Fußballweltmeisterschaft 2026 ausrichten.
Eine kürzlich von Amnesty International in Auftrag gegebene weltweite Meinungsumfrage zeigt, dass 67 Prozent der 17.477 Befragten in 15 Ländern ebenfalls der Meinung sind, dass sich ihre nationalen Fußballverbände öffentlich zu den Menschenrechtsproblemen im Zusammenhang mit der Weltmeisterschaft in Katar äußern und unter anderem eine Entschädigung für Arbeitsmigranten fordern sollten. Vier Sponsoren, AB InBev/Budweiser, Coca-Cola, Adidas und McDonald's, haben ihre Unterstützung für die Forderung nach Entschädigung erklärt. Kürzlich haben sich auch 15 US-Kongressabgeordnete und mehr als 120 französische Parlamentarier*innen schriftlich an die FIFA gewandt und die Forderung unterstützt.

„Die Botschaft von Fans, Fußballverbänden, Politikern und Sponsoren ist eindeutig: Es ist an der Zeit, dass die FIFA handelt und für die Arbeitsmigranten, die ihr Vorzeigeturnier erst möglich gemacht haben, Abhilfe schafft“, sagte Steve Cockburn, Leiter der Abteilung für wirtschaftliche Gerechtigkeit bei Amnesty International. „Die FIFA hat eine klare Wahl: Entweder sie setzt einen kleinen Teil der WM-Einnahmen ein, um Tausenden von Arbeitern zu helfen, oder sie tut nichts und nimmt in Kauf, dass dieses Turnier auf ewig mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht wird.“

Auch prominente Fußballspieler*innen, Trainer*innen und Sportkommentator*innen unterstützen den Aufruf #PayUpFIFA, darunter Tim Sparv, ehemaliger Kapitän der finnischen Fußballmannschaft, und Lise Klaveness, Präsidentin des norwegischen Fußballverbands, die seit langem auf die Notwendigkeit hinweist, Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dieser Weltmeisterschaft anzugehen. Während einer gemeinsamen Pressekonferenz von Human Rights Watch, Amnesty International und FairSquare kündigte der ehemalige Kapitän der australischen Fußballnationalmannschaft der Männer, Craig Foster, an, dass er sein Gehalt als Moderator bei der Fußballweltmeisterschaft unter anderem an die Familien verstorbener Arbeiter spenden werde. Solche Initiativen sollten die globale Fußballindustrie, insbesondere die Fußballverbände, dazu ermutigen, über vage formulierte Erklärungen hinauszugehen. Zu den anderen prominenten Fußballern, die den Aufruf unterstützen, gehören die ehemaligen Starkicker Gary Lineker und Alan Shearer.

Als FIFA-Mitgliedsverbände sind die Fußballverbände verpflichtet, der Menschenrechtspolitik der FIFA zu folgen. Als Organisationen, die durch ihre Geschäftsbeziehungen mit der FIFA finanziell von den Einnahmen aus der Weltmeisterschaft profitieren, sind die Fußballverbände gemäß den Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte verpflichtet, tatsächliche und mögliche nachteilige Auswirkungen auf die Menschenrechte, die sie verursachen, zu denen sie beitragen oder mit denen sie in Verbindung stehen, zu verhindern und abzumildern. Das gilt auch in Katar.

Seit 2018 haben die katarischen Behörden einige vielversprechende Maßnahmen ergriffen, um Arbeitnehmer*innen vor Lohndiebstahl zu schützen und den Zugang zu Rechtsmitteln zu verbessern sowie Reformen des Bürgschaftssystems Kafala einzuführen. Es besteht jedoch weiterhin erheblicher Handlungsbedarf. Der Nutzen dieser Maßnahmen ist aufgrund ihrer späten Einführung und ihres engen Geltungsbereichs begrenzt, da sie nicht alle Arbeitnehmer*innen umfassen. Dies gilt insbesondere für die vom Supreme Committee for Delivery and Legacy geleiteten Initiativen, die einer begrenzten Zahl von Arbeitnehmer*innen einen besseren Schutz bieten oder Menschenrechtsverletzungen in den Jahren vor der Einführung der Systeme angehen. Entscheidend ist, dass es nach wie vor erhebliche Defizite bei der Umsetzung und Durchsetzung gibt. So haben beispielsweise Arbeiter, die Katar bereits verlassen haben, keinen Zugang zu den Arbeitsausschüssen oder zu einem Fonds, der eingerichtet wurde, um sie zu bezahlen, wenn ihre Arbeitgeber dies nicht tun.

Die Fußballverbände, die sich zu Wort gemeldet haben, sollten über vorsichtig formulierte Worte und symbolische Akte hinaus tätig werden. Sie sollten ihre Plattform nutzen, um auf konkrete Maßnahmen zu drängen, die Arbeitsmigranten und ihren Familien spürbar zugutekommen.

„Entschädigungen können weitreichende Folgen für Familien haben, die auf den Fonds angewiesen sind, um Kredite zurückzuzahlen, die Ausbildung der Kinder zu finanzieren oder Lebensmittel zu kaufen. Wenn die Fußballverbände ihre Stimme erheben, tragen sie dazu bei, dass Tausende von Familien, die ihren einzigen Ernährer verloren haben, ausstehende Kredite oder Rechnungen bezahlen können“, sagte Nick McGeehan von FairSquare.

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