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Afghanistan: USA sollten Rechte und Schutz der Zivilbevölkerung priorisieren

Mehr Hilfen für Zivilgesellschaft, Bildung, Gesundheit und Medien nötig

Präsident Joe Biden spricht am 14. April 2021 im Treaty Room im Weißen Haus über den Abzug der restlichen US-Truppen aus Afghanistan. © 2021 AP Photo/Andrew Harnik, Pool

(New York) - Die US-Regierung sollte auf die zunehmenden Ängste und die Unsicherheit durch den angekündigten Abzug aller Militärkräfte aus Afghanistan reagieren. Hierfür sollte sie sich zu einer verstärkten Unterstützung der Menschenrechte, einschließlich der Rechte der Frauen, verpflichten, so Human Rights Watch. Die USA sollten die Unterstützung für Bildung und Gesundheit, insbesondere für Mädchen und Frauen, sowie für unabhängige Medien stärken, da die Gefahr einer Ausweitung des Konflikts besteht. In diesem Fall könnten die Errungenschaften im Bereich Menschenrechte zunichte gemacht werden und die humanitäre Krise des Landes könnte sich verschärfen.

Die US-Unterstützung für die Rechtsreform in Afghanistan war entscheidend, um den Zugang zur Justiz für Frauen zu verbessern und Hunderte von Anwält*innen, Staatsanwält*innen und Richter*innen auszubilden. Die Unterstützung wird auch benötigt, um die Durchsetzung von Gesetzen zum Schutz von Frauen zu verbessern und um sicherzustellen, dass weiblichen Gefangenen und minderjährigen Häftlingen ein Rechtsbeistand zur Verfügung steht. Zudem ist Unterstützung nötig, um afghanische Menschenrechtsgruppen zu stärken, insbesondere die Unabhängige Menschenrechtskommission Afghanistans, damit diese weiterhin die Menschenrechtslage überwachen können, insbesondere während eines unsicheren Friedensprozesses.

„Die Ankündigung von US-Präsident Joe Biden, alle Truppen abzuziehen, lässt viele befürchten, dass wichtige Errungenschaften im Bereich der Menschenrechte zunichtegemacht werden könnten, die es den Menschen im Land, insbesondere Frauen und Mädchen, ermöglicht haben, in den Genuss größerer Freiheiten und einer besseren Bildung und Gesundheitsversorgung zu kommen“, sagte Patricia Gossman, stellvertretende Asien-Direktorin bei Human Rights Watch. „Die US-Regierung sollte sich verpflichten, lebenswichtige finanzielle Mittel und diplomatische Unterstützung bereitzustellen, um diese Errungenschaften zu bewahren und auszubauen und auf ein Ende der Übergriffe gegen Zivilisten zu drängen.“

Die Biden-Regierung erklärte am 13. April 2021, sie werde „ihr gesamtes diplomatisches, humanitäres und wirtschaftliches Instrumentarium einsetzen, um ... die Errungenschaften zu schützen, die Frauen und Mädchen in den letzten 20 Jahren erreicht haben ... [und] die Unterstützung für zivile, wirtschaftliche und humanitäre Hilfsprogramme zu verstärken.“ Die vergangenen US-Regierungen haben den Menschenrechten in Afghanistan jedoch keine ausreichende Priorität eingeräumt, so Human Rights Watch. Weitere Ausbreitungen der Taliban, die diese Rechte bedrohen, erfordern eine prompte Reaktion der USA, einschließlich der Zurückhaltung finanzieller Unterstützung für Regierungsbehörden und gezielter Sanktionen. Die Unterstützung für Gruppen, die direkte Dienste am Menschen leisten, sollte währenddessen fortgesetzt werden.
 
Die Taliban haben keine verbindlichen Zusagen gemacht, die Grundrechte in einer Übergangsregierung oder nach einem Friedensabkommen zu schützen. Zudem haben sie haben das Recht von Frauen und Mädchen auf Bildung in den von ihnen kontrollierten Gebieten weiter eingeschränkt. Außerdem haben sie eine Reihe von Drohungen und Angriffen gegen afghanische Medien ausgesprochen bzw, verübt. Sollte der Konflikt nach dem Abzug der USA anhalten, dann sollten die USA alle diplomatischen und weiteren Formen der Einflussnahme nutzen, um die Parteien zur Einhaltung der internationalen Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts zu drängen, insbesondere zum Schutz der Zivilbevölkerung.

Die Biden-Regierung sollte zudem ihre Unterstützung für Programme ausweiten, die den Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung, insbesondere für Frauen und Mädchen, verbessern. Die US-Unterstützung für lebenswichtige Hilfsprogramme in Afghanistan wurde bereits zurückgefahren. Seit 2016 haben ausländische Geber, darunter auch die USA, die Mittel für Afghanistan in wichtigen Bereichen reduziert, und die Covid-19-Pandemie hat die Zusagen der Geber weiter eingeschränkt. In einigen Fällen haben Auflagen zur Eindämmung der Korruption den Zugang zu Mitteln für legitime Projekte erschwert.

Die wichtigsten Errungenschaften Afghanistans im Bereich des Schutzes der Zivilbevölkerung und der Menschenrechte haben von der Unterstützung der Geber profitiert. Seit 2002 hat diese Unterstützung den Zugang zu Bildung für Millionen afghanischer Kinder verbessert und dazu beigetragen, dass in vielen Teilen des Landes die Akzeptanz dafür wächst, dass Mädchen ein Recht auf Bildung haben. Einige Organisationen unterstützen Schulen, die in den Gemeinden der Schüler, oft in Wohnhäusern, untergebracht sind. Sie waren besonders erfolgreich darin, Kindern das Lernen zu ermöglichen in Gegenden, wo sie aufgrund von Unsicherheit, Entfernung, familiärem Widerstand oder gemeinschaftlichem Druck nicht in der Lage waren, staatliche Schulen zu besuchen.

Human Rights Watch hat die Geber und die afghanische Regierung dringend aufgefordert, derartige Programme auszuweiten. In vielen von den Taliban kontrollierten Gebieten konnten Nichtregierungsorganisationen, die gemeindebasierte Bildungsprogramme betreiben, besonders Mädchen Bildung anbieten, wo es keine anderweitigen Schulen gab. Solche Programme wären ein Rettungsanker für Mädchen, sollte sich die Kontrolle der Taliban ausweiten.

Laut Human Rights Watch ist es auch wichtig, die Errungenschaften im Bereich der Medienfreiheit zu schützen. Afghanistans unabhängige Medien spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, Beamte zur Rechenschaft zu ziehen und der Öffentlichkeit Informationen bereitzustellen. Die Geber haben die Bedeutung des Schutzes und der Stärkung unabhängiger Medien im Land schon vor langer Zeit erkannt. In den letzten Jahren hat die Unterstützung jedoch nachgelassen, obwohl die Medien, einschließlich Journalistinnen, zunehmend Angriffen von Aufständischen und lokalen Machthabern ausgesetzt sind und die Regierung versucht, die Berichterstattung einzuschränken.

Die USA sollten langfristige institutionelle Unterstützung leisten, um unabhängigen Medieneinrichtungen zu helfen, sich selbst zu tragen. Die USA sollten auch die Taliban - die im Rahmen eines künftigen Friedensabkommens zum Empfänger von Hilfsgeldern werden könnten - dazu drängen, alle Drohungen und Angriffe auf die Medien einzustellen und sich zur Wahrung der Medienfreiheit zu verpflichten.

Seit 2002 haben die Gebermittel auch zu entscheidenden Verbesserungen beim Zugang zur Gesundheitsversorgung geführt. Allerdings gibt es nach wie vor ernsthafte Probleme, vor allem bei der Versorgung in ländlichen Gebieten und dem Zugang für Menschen mit Behinderungen und anderen marginalisierten Bevölkerungsgruppen. Die Gesundheitsversorgung für Frauen hat sich verbessert, obwohl hier noch viel Handlungsbedarf besteht. Nichtregierungsorganisationen haben auch in den von den Taliban kontrollierten Gebieten Gesundheitsdienste bereitgestellt, auch in ländlichen und unsicheren Gebieten, die lange Zeit vernachlässigt wurden. Die Geber sollten ihre Unterstützung für Programme fortsetzen, die den Zugang zur medizinischen Grundversorgung, insbesondere für Frauen, verbessern. Bereits erfolgte Kürzungen der Gebermittel haben diese Bemühungen schon untergraben, weitere Kürzungen würden noch mehr Menschenleben gefährden.

Nach dem Abzug der US-Truppen wird der Status der afghanischen paramilitärischen Kräfte, die mit US-Unterstützung außerhalb der Kontrolle der afghanischen Regierung operieren, höchstwahrscheinlich unklar sein. Die fortgesetzten Aktivitäten paramilitärischer Kräfte, die in schwerwiegende Übergriffe verwickelt sind - bisweilen angeheizt durch ethnische oder politische Loyalitäten - wird eine Bedrohung für die Gemeinden darstellen. Die USA sollten die Befehlsverantwortung für Operationen der afghanischen paramilitärischen Kräfte klären, auf die Rechenschaftspflicht derjenigen drängen, die für schwere Übergriffe verantwortlich sind, und die Unterstützung für alle einstellen, die mit schweren Verstößen gegen die Kriegsgesetze in Verbindung gebracht werden.

Auch nach dem Abzug aller Truppen bleiben die USA eine Partei des bewaffneten Konflikts innerhalb Afghanistans. Die Kriegsgesetze werden die US-Streitkräfte so lange binden, bis ein dauerhafter Rückzug von der militärischen Unterstützung der afghanischen Regierung erfolgt ist. Die Biden-Regierung sollte sich zu Transparenz hinsichtlich jeder weiteren Gewaltanwendung mit Beteiligung der USA verpflichten, einschließlich sogenannter Anti-Terror-Einsätze, die sich nur unter den Rahmenbedingungen des Völkerrechts stattfinden sollten.

Die US-Regierung sollte sich zudem verpflichten, die Rechenschaftspflicht für vergangene Menschenrechtsverletzungen zu stärken, auch durch Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof bei der Untersuchung von Kriegsverbrechen und anderen schweren Verbrechen. Zudem sollten vergangene Vorfälle mit zivilen Opfern überprüft werden, um den Opfern eine angemessene Wiedergutmachung zukommen zu lassen.

„Menschen in Afghanistan, die jahrzehntelang Menschenrechtsverletzungen erduldet haben, sind verständlicherweise besorgt, dass Errungenschaften in den Bereichen Medienfreiheit, Bildung, Gesundheitsversorgung und Frauenrechte bald zunichte gemacht werden könnten und dass es keine Rechenschaftspflicht für die Ungerechtigkeiten gibt, die sie erlitten haben“, sagte Gossman. „Die USA sollten diesen Moment nutzen, um ihr Engagement und ihre Unterstützung für die Menschenrechte in Afghanistan zu stärken.“

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