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Frauen mit Kerzen und EU-Flagge bei einer Soldaritätskundgebung für polnische Richter vor dem Justizministerium, 1. Dezember 2019, Warschau, Polen.  © 2019 Omar Marques/Getty Images
(Brüssel) - Die Europäische Union war im letzten Jahr bereit, die Herausforderungen beim Menschenrechtsschutz innerhalb der EU anzugehen. Zudem verteidigte die EU die Menschenrechte auch weltweit, in einem Jahr, in dem die EU-Institutionen neu besetzt wurden, so Human Rights Watch heute in seinem World Report 2020.

Allerdings haben sich die EU-Mitgliedstaaten nicht immer für die Menschenrechte eingesetzt, insbesondere in der Migrationspolitik. Darunter haben Migranten und Flüchtlinge gelitten. Einige Mitgliedstaaten versuchten zudem, eine prinzipientreue Haltung in der EU-Außenpolitik zu blockieren. Auch bei der Bekämpfung von Diskriminierung und Intoleranz sind stärkere Maßnahmen erforderlich.

„Wir haben 2019 positive Anzeichen dafür gesehen, dass die EU die Menschenrechte, die das Fundament der Union bilden, in die Praxis umsetzt“, sagte Benjamin Ward, stellvertretender Direktor für Europa und Zentralasien bei Human Rights Watch. „Doch das Engagement der EU für universelle Werte wird immer fadenscheinig wirken, solange sich ihre Regierungen und Institutionen vom Leid der Migranten und Asylbewerber abwenden.“

In dem 652-seitigen World Report 2020, der 30. Ausgabe, dokumentiert Human Rights Watch die Menschenrechtslage in fast 100 Ländern. In seiner Einleitung blickt Executive Director Kenneth Roth auf die Politik der chinesischen Regierung, die sich durch Repressionen an der Macht hält und für die schwersten Angriffe gegen globale Menschenrechtsstandards seit Jahrzehnten verantwortlich ist. Diese Politik Pekings ermutigt autokratische Populisten in der ganzen Welt; zugleich wird die chinesische Regierung von diesen unterstützt. Mit wirtschaftlichem Druck schreckt China andere Regierungen davon, an ihr Kritik zu üben. Gegen diese Politik muss Widerstand geleistet werden. Andernfalls stehen jahrzehntelanger Fortschritt bei den Menschenrechten und unsere Zukunft auf dem Spiel.

Im Kapitel zur Europäischen Union dokumentiert Human Rights Watch die Entwicklungen in zehn Mitgliedstaaten und der gesamten EU in den Bereichen Migration und Asyl, Diskriminierung und Intoleranz, Rechtsstaatlichkeit, Terrorismus und Terrorismusbekämpfung sowie Entwicklungen in der EU-Außenpolitik.

Die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten haben 2019 verstärkt die Rechtsstaatlichkeit in den Fokus gerückt. Die Europäische Kommission hat vor dem Europäischen Gerichtshof Verfahren gegen Polen und Ungarn eingeleitet; die EU-Minister haben Anhörungen durchgeführt, um einen politischen Sanktionsprozess gegen beide Regierungen zu prüfen. Die Mitgliedstaaten erörterten Vorschläge, um Schutzmaßnahmen und die Rechenschaftspflicht zu stärken. Ein Vorschlag besteht darin, den Zugang der Mitgliedstaaten zu EU-Mitteln in der nächsten Haushaltsrunde an die Achtung der Rechtsstaatlichkeit im jeweiligen Land zu knüpfen.  

Trotz interner Spaltungen und des Widerstands einiger Mitgliedstaaten spielten die EU und andere Staaten eine wichtige Rolle dabei, Resolutionen im UN-Menschenrechtsrat zu fördern und zu stärken, durch die eine unabhängigen Überwachung von Menschenrechtskrisen in zahlreichen Ländern gewährleistet werden soll. Die Europäische Kommission zeigte sich bereit, in Handelsabkommen eine Verbesserung der Menschenrechtslage einzufordern, und die EU-Außenminister hielten an gezielten Sanktionen fest, um die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen in einer Vielzahl von Ländern zur Rechenschaft zu ziehen. Sowohl vor als auch nach den Wahlen im Mai 2019 forderte das Europäische Parlament entschiedene Reaktionen auf Menschenrechtsverletzungen weltweit.

In starkem Widerspruch hierzu steht die Behandlung von Migranten und Asylbewerbern durch die EU und die Mitgliedstaaten innerhalb der EU-Grenzen sowie der starke außenpolitische Fokus auf die Eindämmung der Migration. Dadurch wird die Glaubwürdigkeit der EU als Verteidigerin der Menschenrechte beeinträchtigt. Einige Mitgliedsländer haben an den EU-Außengrenzen rechtswidrige und manchmal gewalttätige Push-Backs vorgenommen und mit Ländern wie Libyen zusammengearbeitet, um potenzielle Asylbewerber davon abzuhalten, nach Europa zu gelangen. Dies geschah trotz überwältigender Belege für die Brutalität gegenüber Migranten in den betroffenen Ländern sowie deren mangelnden Kapazitäten, Flüchtlinge zu schützen oder Asylanträge zu bearbeiten.

Die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten haben es versäumt, Such- und Rettungsaktionen im Mittelmeerraum durchzuführen oder einem soliden Plan für das Ausschiffen und das Umsiedeln zuzustimmen, der von Deutschland, Frankreich, Italien und Malta gefördert wurde. Einige Mitgliedstaaten haben Organisationen und Einzelpersonen, die Migranten u.a. auf See unterstützen, strafrechtlich verfolgt und verunglimpft. Mehrere Staaten, darunter Deutschland, Frankreich, Italien und Griechenland, verabschiedeten restriktivere Maßnahmen im Asylbereich und signalisierten die Absicht, die Abschiebehaft auszuweiten, um die Rückführung von Personen zu erleichtern, deren Asylantrag abgelehnt wurde.

Radikale rechtspopulistische Parteien haben bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai Stimmen hinzugewonnen, was die Sorgen über Fremdenfeindlichkeit gegen Migranten und Flüchtlinge verstärkt. Juden, Muslime, Roma und Mitglieder anderer Minderheiten sehen sich in einigen EU-Staaten Intoleranz, Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt. Es gibt Belege für zunehmenden Antisemitismus. Weitere Opfer von Diskriminierung sind Frauen, Menschen mit Behinderungen sowie Transgender und andere LGBT-Personen in vielen Teilen der EU. Rückschläge gab es zudem für die Gleichstellung der Geschlechter und die Rechte der Frauen in mehreren Staaten, u.a. weil ihre reproduktiven Rechte und die Bemühungen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen bedroht werden.

Zu den länderspezifischen Entwicklungen in der EU im Jahr 2019 gehören gewalttätige Push-Backs der kroatischen Polizei nach Bosnien und Herzegowina, unverhältnismäßige Einschränkungen der Versammlungsfreiheit und der übermäßige Einsatz von Gewalt durch die Polizei gegen Demonstranten in Frankreich, Angriffe auf Flüchtlinge und Asylbewerber in Deutschland sowie unmenschliche und erniedrigende Bedingungen in Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln sowie die Inhaftierung von unbegleiteten Migrantenkindern in Griechenland.

Anlass zur Sorge geben zudem: ein Verbot von gesichtsbedeckender Kleidung an öffentlichen Orten in den Niederlanden, von dem muslimische Frauen betroffen sind, die ihr Gesicht verschleiern; rückwärtsgewandte Maßnahmen gegen die Rechte von Frauen und von der Regierung geförderte Angriffe auf LGBT-Personen in Polen; das regressive Strafrecht in Spanien, das es Vergewaltigern ermöglicht, mit dem weniger schwer wiegenden Vorwurf des sexuellen Missbrauchs davonzukommen, sofern keine Gewalt oder Einschüchterung angewendet wird; und Bedenken hinsichtlich der negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte und der Risiken für die Rechtsstaatlichkeit, die sich aus dem Brexit-Verfahren ergeben.

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