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Aserbaidschan: Berlin soll Freilassung weiterer Gefangener fordern

Anhaltendes Drängen auf Einhaltung der Menschenrechte wichtig

(Berlin) – Deutsche Politiker sollen den aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew während seines Besuchs in Berlin weiter drängen, willkürlich inhaftierte Regierungskritiker und Aktivisten frei zu lassen, so Human Rights Watch heute. Ebenso sollen sie darauf bestehen, dass Alijew die Restriktionen gegen kürzlich freigelassene Aktivisten aufhebt und Gesetze reformiert, die grundlegende Freiheitsrechte massiv einschränken.

Alijew wird vom 7. bis zum 8. Juni 2016 für einen offiziellen Besuch in Deutschland sein, Politiker treffen und das Deutsch-Aserbaidschanische Wirtschaftsforum eröffnen, das die Deutsch-Aserbaidschanische Auslandshandelskammer und das deutsche Wirtschaftsministerium gemeinsam ausrichten.

„Alijews Besuch bietet der deutschen Politik eine wichtige Gelegenheit, sich für Gerechtigkeit auszusprechen“, so Hugh Williamson, Leiter der Abteilung Europa und Zentralasien von Human Rights Watch. „Die deutschen Entscheidungsträger sollen vom dem Präsidenten einfordern, die Menschenrechtsverletzungen in Aserbaidschan zu beenden und Oppositionelle nicht länger mundtot zu machen.“

Nachdem Aserbaidschans bi- und multilaterale Partner, darunter auch Deutschland, Druck auf die Regierung ausgeübt hatten, haben die aserbaidschanischen Behörden seit März dieses Jahres 17 Menschenrechtsverteidiger, Journalisten und Aktivisten aus dem Gefängnis entlassen, die aus politischen Gründen verfolgt und zu langen Haftstrafen verurteilt worden waren. Zuletzt hat das oberste Gericht des Landes am 25. Mai die mehrfach ausgezeichnete Investigativjournalistin Khadija Ismayilova entlassen, ihre siebeneinhalbjährige Gefängnisstrafe wandelte es in dreieinhalb Jahre Bewährung um.

Die Personen, die in den vergangenen Monaten freigelassen wurden, gerieten im Zuge der anhaltenden und umfangreichen Unterdrückung der Opposition erneut ins Visier der Behörden und wurden zum Teil erneut inhaftiert. Seit dem Jahr 2013 wurden Dutzende Menschenrechtsverteidiger, politische und zivilgesellschaftliche Aktivisten, Journalisten und Blogger aus politischen Gründen verhaftet und inhaftiert. Andere flohen deswegen aus dem Land oder tauchten unter. Im Juni 2015 nahm der Bundestag eine Resolution über die Menschenrechtslage in Aserbaidschan an, in dem er das brutale Vorgehen kritisierte und die Behörden dazu aufrief, widerrechtlich inhaftierte Personen unverzüglich und ohne Auflagen aus dem Gefängnis zu entlassen.

Aber die Verurteilungen der freigelassenen Aktivisten bleiben in Kraft. Darüber hinaus wurden fünf nur auf Bewährung entlassen. Drei von ihnen droht, erneut inhaftiert zu werden, und ihre Bewegungsfreiheit und Möglichkeiten, das Land zu verlassen, sind massiv eingeschränkt. Im April genehmigten die Behörden der bekannten Menschenrechtsverteidigerin Leyla Yunus und ihrem Ehemann Arif Yunus, ins Ausland zu reisen, um sich dort medizinisch behandeln zu lassen. Ihr ohnehin labiler Gesundheitszustand hatte sich im Zuge ihrer Haft deutlich verschlechtert.

Andere Journalisten und Aktivisten sind noch immer hinter Gittern, nach vergleichbaren, politisch motivierten Verurteilungen wegen Vandalismus oder Steuerhinterziehung. Unter ihnen ist Ilgar Mammadow, ein bekannter Politikwissenschaftler, der seit dem Jahr 2013 widerrechtlich in Haft ist, obwohl der Ministerrat des Europarates mehrfach seine Freilassung angeordnet hat. Im Mai 2014 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein entsprechendes Urteil gefällt, das Aserbaidschan bis heute nicht umgesetzt hat. Der Europarat ist die wichtigste menschenrechtliche Regierungsorganisation Europas, und auch Aserbaidschan gehört ihr an.

In Aserbaidschan ist es seit langer Zeit an der Tagesordnung, Regierungskritiker mit fingierten Anschuldigungen wegen Drogen- oder anderen Delikten einzuschüchtern. Werden die Betroffenen in Haft misshandelt, bleiben die Täter straffrei.

Seymur Hezi, führender Kolumnist der Oppositionszeitung Azadlig (Freiheit) und Moderator beim in der Türkei ansässigen, oppositionsfreundlichen Fernsehsender Azerbaijan Saati (Aserbaidschanische Stunde), wurde im August 2014 verhaftet, nachdem er angegriffen worden war. Seitdem ist er im Gefängnis, er wurde auf Grund fingierter Vandalismus-Vorwürfe zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Ilkin Rustemzade, Blogger und Mitglied der Jugendorganisation NIDA, wurde im Mai 2014 zu acht Jahren Haft verurteilt, weil er zu Massenunruhen und Vandalismus angestiftet haben soll. Zuvor hatte er über soziale Medien auf Todesfälle unter Soldaten aufmerksam gemacht, die in keinem Zusammenhang mit Kampfhandlungen stehen.

Mindestens 14 Mitglieder der oppositionellen Volksfront-Partei befinden sich ebenfalls im Gefängnis.

Offensichtlich halten die aserbaidschanischen Behörden an einer Drehtür-Politik fest, indem sie ein paar Regierungskritiker freilassen und gleichzeitig andere inhaftieren.

Am 10. Mai verhaftete die Polizei zwei jugendliche Aktivisten, den 22-jährigen Giyas Ibrahimow und den 21-jährigen Bayram Mammadow, weil sie ein Graffiti auf eine Statue gesprüht haben sollen. Schließlich wurden ihnen Drogendelikte vorgeworfen und sie müssen bis zu ihrem Verfahren vier Monaten lang in Haft bleiben. Beide warfen der Polizei glaubhaft vor, sie in Gewahrsam misshandelt zu haben, was nicht weiter untersucht wurde.

„In den vergangenen Monaten haben die aserbaidschanischen Behörden ein paar Maßnahmen ergriffen, um die Folgen der massiven Unterdrückung der Opposition zu mildern“, so Williamson. „Aber sie sollen alle Personen entlassen, die aus politischen Gründen im Gefängnis sind, und zulassen, dass diese ihre Arbeit fortsetzen können, ohne dass sie weiter eingeschüchtert und belästigt werden.“

Aserbaidschan hat auch restriktive Gesetze über Nichtregierungeorganisationen erlassen und geht straf- und verwaltungsrechtlich gegen viele unabhängige Gruppen vor. Diese Gesetze sowie strafrechtliche Untersuchungen gegen viele Gruppen und ihre ausländischen Geldgeber machen viele unabhängige Organisationen in Aserbaidschan handlungsunfähig.

Während die Behörden im März einige dieser Untersuchungen eingestellt haben, hindern die bestehenden gesetzlichen Einschränkungen viele Gruppen weiterhin an der Arbeit.

„Die deutsche Politik soll Präsident Alijew zu verstehen geben, dass die Qualität der bilateralen Beziehungen davon abhängt, wie Aserbaidschan seine internationalen Verpflichtungen erfüllt“, sagt Williamson. „Der erste Schritt auf diesem Weg ist, widerrechtlich inhaftierte Aktivisten freizulassen und restriktive Gesetze zu ändern.“

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