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Was muss geschehen, damit die EU ihrem ausdrücklichen Bekenntnis zu Menschenrechten gerecht wird? Offenbar mehr als das Massaker an Hunderten unbewaffneter Menschen in Usbekistan. Nachdem usbekische Regierungskräfte am 13. Mai dieses Jahres in Andidschan mehrere hundert Demonstranten umgebracht hatten, wurde von der EU, den Vereinten Nationen sowie den USA wiederholt eine unabhängige internationale Untersuchung des Massakers gefordert. Doch sie haben es bis jetzt versäumt, irgendeine Art von wirksamem Druck auf die usbekische Regierung auszuüben.

In diesen Tagen findet ein Treffen der EU-Außenminister in Newport, England, statt. Dort sollten sie darüber entscheiden, wie sie die Glaubwürdigkeit der EU wiederherstellen und endlich angemessen auf die Gräueltaten von Andidschan reagieren wollen.

Am 13. Juni haben die EU-Außenminister der usbekischen Regierung eine klare Frist gesetzt, eine unabhängige Untersuchung »bis Ende Juni 2005« zuzulassen. Sollte dies nicht geschehen, drohten sie, ihr Partnerschafts- und Kooperationsabkommen auszusetzen. Die Frist ist verstrichen, ohne dass etwas passierte. Am 18. Juli rangen sich die Minister lediglich dazu durch, einen Sondergesandten zu ernennen und nach Usbekistan zu schicken. Es war vorherzusehen, dass Präsident Karimow sich weigern würde, den EU-Gesandten zu empfangen oder seine Haltung im Geringsten zu ändern.

Nun hat sich die EU anscheinend entschieden, sogar noch die Ergebnisse einer Untersuchung durch die Usbeken selbst abzuwarten. Als sei nicht klar, dass sich ein Wolf nicht einfach so in ein Lamm verwandelt. Eine akribische Vertuschungsaktion wird inszeniert, um genügend Beweise zur Unterstützung der absurden Version der Regierung heranzuschaffen: Am 13. Mai habe es einen Aufstand von Terroristen gegeben, sie seien für fast alle Morde verantwortlich. - Zugleich werden sämtliche Zeugen, die auch nur entfernt mit den Ereignissen vom 13. Mai zu tun hatten, verschleppt und müssen endlose Verhöre und sogar Folter über sich ergehen lassen. Dutzende von usbekischen Ermittlern scheinen unermüdlich daran zu arbeiten, Geständnisse von diesen Menschen zu erpressen - über angebliche Kontakte zu islamistischen Extremisten und dem Besitz von Waffen. Human Rights Watch hat zahlreiche Zeugen befragt, und alle haben unabhängig voneinander von den gleichen Horrorszenarien erzählt. Ihren Aussagen zufolge sind bereits Hunderte der Einwohner Andidschans von den usbekischen Sicherheitskräften festgenommen, gefoltert und schikaniert worden.

Rund um die Uhr werden also falsche Zeugenaussagen erprügelt, während die EU auf die Ergebnisse wartet. Viele Diplomaten zeigen mit dem Finger auf Deutschland, weil es in ihren Augen das Haupthindernis für ein hartes Vorgehen der Union ist. Es ist also von entscheidender Bedeutung, dass Berlin ganz klar für eine Aussetzung des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens der EU mit Usbekistan Stellung bezieht - auch wenn die Bundeswehr in Usbekistan einen wichtigen Stützpunkt für die Versorgung der Isaf-Soldaten in Afghanistan unterhält.

Außerdem sollte die EU Präsident Karimow klar machen, dass eine Verschleppung einer unabhängigen Untersuchung des Massakers Strafmaßnahmen der EU nach sich zieht, wie ein Waffenembargo, Visabeschränkungen oder das Einfrieren von Vermögen der usbekischen Regierungsmitglieder.

Lotte Leicht ist Leiterin des Brüsseler Büros der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch

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