Diese Woche begingen Palästinenser*innen und ihre Unterstützer*innen auf der ganzen Welt den Nakba-Tag. Sie erinnern damit an die mehr als 700.000 Palästinenser*innen, die aus ihren Häusern fliehen mussten oder vertrieben wurden, und an die mehr als 400 palästinensischen Dörfer, die bei den Ereignissen im Zusammenhang mit der Gründung Israels im Jahr 1948 zerstört wurden.
In Berlin verbot die Polizei jedoch mehrere für den 13. und 15. Mai geplante Demonstrationen zum Nakba-Tag. Als die Menschen dennoch auf die Straße gingen, reagierte die Polizei mit Gewalt: Demonstrant*innen wurden geschubst und weggezerrt. Zudem hielt die Polizei zahlreiche von ihnen bis zu zwei Stunden lang fest, wie Zeug*innen und Anwält*innen berichteten und von Human Rights Watch ausgewertetes Videomaterial belegt. In einem Clip sagt ein Beamter zu einer Frau, sie werde festgehalten, weil sie „Freiheit für Palästina“ gerufen habe.
In einem von mehreren Entschlüssen, die Proteste zu verbieten, erklärte die Polizei, sie sehe eine „unmittelbare Gefahr“ aufgrund von „volksverhetzenden, antisemitischen Ausrufen“, Aufwiegelung und Gewalt. Eine Kopie der vollständigen polizeilichen Bewertung, die Human Rights Watch vorliegt, bezieht sich hierbei auf frühere Proteste. In dieser Bewertung wird behauptet, Demonstrant*innen hätten Flaschen und Steine geworfen, Pyrotechnik mit sich geführt, Journalist*innen belästigt, hasserfüllte Reden gehalten, „Israels Existenzrecht“ geleugnet und die Organisatoren der Proteste hätten es versäumt, die Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Polizei verwies auf die hohe „Emotionalität“ und das beträchtliche „Mobilisierungspotenzial“ am Nakba-Tag und im Kontext der eskalierenden Ereignisse in Israel und Palästina. Sie wies auch auf angebliche Verbindungen zwischen den Demonstrationen und Gruppen hin, die Verbindungen zur Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) und zur Hamas haben sollen, palästinensischen politischen Bewegungen, die auf der EU-Liste terroristischer Gruppen stehen.
Die Organisatoren fochten das Verbot an, aber das Berliner Verwaltungsgericht sowie das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg bestätigten es. Die Gerichte bestätigten auch die Entscheidung der Berliner Polizei, pro-palästinensische Demonstrationen zu verbieten, die zwischen dem 29. April und dem 1. Mai geplant waren. Die polizeilichen Entscheidungen folgen auf eine Entschließung des Bundestags aus dem Jahr 2019, in der der Boykott Israels fälschlicherweise als grundsätzlich antisemitisch eingestuft wurde. Unterdessen schweigt die deutsche Regierung allzu oft zu den schweren Menschenrechtsverletzungen Israels gegenüber Palästinenser*innen.
Nach den internationalen Menschenrechtsvorschriften sind Einschränkungen des Rechts auf Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsfreiheit zulässig, doch sollten diese Einschränkungen zwingend notwendig und verhältnismäßig sein. Ein präventives Verbot des Gedenkens an ein Ereignis ist eine extreme Einschränkung, die faktisch eine kollektive Bestrafung derjenigen ist, die sich friedlich versammeln wollen, und die auf Spekulationen über potentielle rechtswidrige Handlungen einer Minderheit beruht.
Die Strafverfolgungsbehörden sollen zwar auf Gewalttaten, einschließlich der Aufstachelung zu Gewalt und antisemitischen Handlungen, reagieren und diese bestrafen. Die Polizei sollte jedoch versuchen, Demonstrationen zu regulieren anstatt sie zu verbieten. Die Tatsache, dass Menschen bei Demonstrationen ihre Empörung und Emotionen zum Ausdruck bringen, sollte bei der Begründung von Verboten keine Rolle spielen.