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Deutschland sollte Technologietransfer für Covid-19-Impfstoffe ermöglichen

Human Rights Watch und ECCHR schreiben Brief an Bundesregierung

Die Korrespondenz von Human Rights Watch mit den Herstellern von COVID-19-Impfstoffen finden Sie hier.

Den neuen Bericht von Impfstoff-Experten, in dem mehr als 100 Produktionsstätten identifiziert werden, die mRNA-Impfstoff herstellen können, finden Sie hier

An
Bundeskanzler Olaf Scholz
Bundeskanzleramt
Willy-Brandt-Straße 1
10557 Berlin

Cc: Karl Lauterbach, Bundesminister für Gesundheit; Annalena Baerbock, Bundesauβenministerin; Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz; und Svenja Schulze, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Re:  Technologietransfer durch BioNTech

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

Human Rights Watch und das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) bitten Sie, den Technologietransfer deutscher Entwickler von mRNA-Impfstoffen, angefangen mit BioNTech, ins Ausland zu veranlassen und damit die breitere Herstellung von Corona-Impfstoffen zu ermöglichen. Dies ist dringend erforderlich, um Leben zu retten und den Schutz der Menschenrechte weltweit zu sichern. Die neue besorgniserregende Corona-Variante Omikron und die neuen Pandemiewellen machen ein Handeln der Bundesregierung noch dringlicher.

Wir fordern die Bundesregierung zudem dazu auf, die Forderung Indiens und Südafrikas an die Welthandelsorganisation (WTO), bestimmte Regeln zum Schutz geistigen Eigentums für COVID-19-bezogene Technologien zeitweise auszusetzen oder aufzuheben, nicht länger zu blockieren. Diese Maßnahme würde den Zugang zu lebensrettenden Impfstoffen und anderen Gesundheitsprodukten verbessern.

Deutschland und andere Länder mit hohem Einkommen verabreichen bereits Auffrischungsimpfungen und dritte Dosen im eigenen Land, obwohl viele Menschen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, bei denen ein hohes Risiko für schwere Krankheiten und Tod besteht, noch immer auf ihre erste Dosis warten. Der extrem ungleiche Zugang zu Corona-Impfstoffen und die weltweiten Versorgungsengpässe bedrohen weiterhin die Gesundheit, das Leben und die Lebensgrundlagen der Menschen, während gleichzeitig das Auftreten neuer Virusvarianten droht.

Die Bundesregierung hat BioNTech Mittel für die weitere Erforschung und Entwicklung seines mRNA-Impfstoffs gegen COVID-19 zur Verfügung gestellt.[1] Sie trägt daher eine besondere Verantwortung, das Unternehmen dazu zu bewegen, seine Impfstofftechnologie und sein Know-how Herstellern in Afrika, Asien und Lateinamerika mit entsprechenden Produktionskapazitäten zugänglich zu machen, die Produktion zu diversifizieren und zu erweitern sowie den Vertrieb zu beschleunigen.

Der Koordinator des AccessIBSA-Projekts und ein Impfstoffexperte der Kampagne für Zugang zu essentiellen Arzneimitteln von Ärzte ohne Grenzen haben gemeinsam über 100 Hersteller aus Afrika, Asien und Lateinamerika ermittelt, die über mögliche Kapazitäten zur Herstellung von mRNA-Impfstoffen verfügen.[2] Wir haben diesem Schreiben eine Kopie ihres Berichts beigefügt. Ende Oktober hat die New York Times „10 geeignete Kandidaten für die Produktion von mRNA-Impfstoffen in sechs Ländern auf drei Kontinenten“ identifiziert.[3]

Die Bundesregierung sollte dringend alle verfügbaren Maßnahmen ergreifen, wie zum Beispiel mit der Welthandelsorganisation über die schnelle Verabschiedung einer TRIPS-Ausnahmeregelung verhandeln, um die deutschen Entwickler von mRNA-Corona-Impfstoffen, wie zum Beispiel BioNTech, dazu zu bewegen, ihre Technologie zugänglich zu machen. Sie sollte diesen Prozess überwachen, damit so viele Hersteller wie möglich rechtzeitig Zugang zu geistigem Eigentum, Impfstofftechnologie und Materialien erhalten, die für die Herstellung benötigt werden.

Auf diese Weise könnte die Impfstoffproduktion schneller ausgeweitet und diversifiziert werden. Dies würde die Bemühungen von BioNTech ergänzen, Anlagen für einen vollständigen Produktionsprozess im Senegal und in Ruanda aufzubauen.[4] Mit dem Bau dieser Anlagen wird voraussichtlich erst Mitte 2022 begonnen. Sie werden eine Kapazität zur Produktion von 50 Millionen Dosen pro Jahr haben.[5]

Darüber hinaus sollte die Bundesregierung regelmäßig und öffentlich über die konkreten Schritte berichten, die sie zur Ausweitung des Technologietransfers unternommen hat. Dazu gehört auch die Berichterstattung darüber, wie die weltweiten potenziellen Herstellungskapazitäten genutzt werden und ob die Technologie den mRNA-Impfstofftechnologietransfer-Hubs der Weltgesundheitsorganisation zur Verfügung gestellt wird.

Diese Schritte stehen im Einklang mit Deutschlands Menschenrechtsverpflichtungen aus dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, insbesondere damit, sich im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit für das Recht auf Gesundheit einzusetzen und dafür zu sorgen, dass alle Menschen von Fortschritten in der wissenschaftlichen Forschung profitieren können. Die Ausweitung und Diversifizierung des Technologietransfers, um die globale Produktion von Impfstoffen in allen Regionen zu ermöglichen, ist nicht nur ein wichtiger Hebel, um den schnellstmöglichen Zugang zu Corona-Impfstoffen für alle Menschen auf der ganzen Welt zu gewährleisten, sondern auch, um die Entwicklung globaler Produktionskapazitäten zu fördern und die Ziele für nachhaltige Entwicklung (insbesondere Ziele 3 und 9) zu erreichen.[6] Wir fordern die Bundesregierung nachdrücklich auf, ihren Einfluss und alle verfügbaren regulatorischen und exekutiven Befugnisse zu nutzen, um den Technologietransfer ins Ausland auszuweiten.

Aus Daten, die Airfinity erhoben und die People's Vaccine Alliance veröffentlicht hat, geht hervor, dass die große Mehrheit der BioNTech-Pfizer-Impfstoffe an Länder mit hohem Einkommen ging.[7] Zusagen zur Umverteilung der Impfstoffdosen, die Deutschland gekauft hat, sind zwar ein erster Schritt, reichen aber nicht aus. Bis zum 12. Oktober 2021 hatten die Regierungen einkommensstarker Länder gemeinsam zugesagt, 1,8 Milliarden Impfdosen zu spenden, aber nur 14 Prozent davon sind geliefert worden, wie die Daten von Airfinity, die die People‘s Vaccine Alliance veröffentlicht hat, belegen.[8]

Die Bundesregierung sollte umgehend handeln, um sicherzustellen, dass die von deutschen Unternehmen entwickelten lebensrettenden Innovationen auf breiterer Basis zur Verfügung gestellt werden, insbesondere Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Sehr gerne stehen wir für einen weiteren Austausch, auch gemeinsam mit unseren Experten aus der Wissenschaft, zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Wenzel Michalski
Direktor
Human Rights Watch Deutschland

Miriam Saage-Maaß
Stellv. Legal Director und Leiterin des Programmbereichs Wirtschaft und Menschenrechte European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)

 

[1] BioNTech, „BioNTech erhält BMBF-Förderung von bis zu 375 Millionen Euro für COVID-19-Impfstoffprogramm BNT162“, 15. September 2020, https://investors.biontech.de/de/news-releases/news-release-details/biontech-erhaelt-bmbf-foerderung-von-bis-zu-375-millionen-euro (Zugriff: 29. Oktober 2021).

[2] Achal Prabhala und Alain Alsahani, „Pharmazeutische Hersteller in Asien, Afrika und Lateinamerika mit den technischen Möglichkeiten und Qualitätsstandards zur Herstellung von mRNA-Impfstoffen“, AccessIBSA, Dezember 2021. Eine Kopie liegt dem Schreiben bei. Dazu gehören sieben potenzielle Hersteller, die im Rahmen der Kampagne für Zugang zu essentiellen Arzneimitteln von Ärzte ohne Grenzen in einer Publikation vom August 2021 genannt wurden. Siehe Kampagne für Zugang zu essentiellen Arzneimitteln von Ärzte ohne Grenzen „Share mRNA Technologies, Save Lives“, August 2021, https://msfaccess.org/sharing-mrna-vaccine-technologies-save-lives (Zugriff: 20. Oktober 2021), Anhang 2, S. 6

[3] Stephanie Nolen, „Here’s Why Developing Countries Can Make mRNA Covid Vaccines“, New York Times, 22. Oktober 2021, https://www.nytimes.com/interactive/2021/10/22/science/developing-country-covid-vaccines.html (Zugriff: 4. November 2021).

[4] Carley Petesch, „BioNTech to work with Senegal, Rwanda to make mRNA vaccines“, AP News, 26. Oktober 2021, https://apnews.com/article/coronavirus-pandemic-business-health-rwanda-coronavirus-vaccine-f800599b45c433f09a03bdd625c46ddb (Zugriff: 3. Dezember 2021).

[5] Ebd.

[6] UNDP Oslo Governance Centre, „Ziel 3: Gesundheit und Wohlergehen”, Ziele für nachhaltige Entwicklung, https://www1.undp.org/content/oslo-governance-centre/en/home/sustainable-development-goals/goal-3-good-health-and-well-being.html#targets (Zugriff: 3. Dezember 2021); UNDP Oslo Governance Centre, „Ziel 9: Industrielle Innovation und Infrastruktur“, Ziele für nachhaltige Entwicklung, https://www1.undp.org/content/oslo-governance-centre/en/home/sustainable-development-goals/goal-9-industry-innovation-and-infrastructure.html#targets (Zugriff: 28. Oktober 2021).

[7] Rohit Malpani und Alex Maitland, „Dose of Reality: How rich countries and pharmaceutical corporations are breaking their vaccine promises“, The People’s Vaccine Alliance, 21. Oktober 2021, https://app.box.com/s/hk2ezb71vf0sla719jx34v0ehs0l22os (Zugriff: 28. Oktober 2021).

[8] Rohit Malpani und Alex Maitland, „Dose of Reality: How rich countries and pharmaceutical corporations are breaking their vaccine promises“, The People’s Vaccine Alliance, 21. Oktober 2021, https://app.box.com/s/hk2ezb71vf0sla719jx34v0ehs0l22os (Zugriff: 28. Oktober 2021).

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