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Als Außenminister Frank-Walter Steinmeier vor kurzem bei seinen Iran- und Saudi-Arabien-Besuchen die Hände führender Regierungsvertreter schüttelte, erwähnte er eines der dringendsten Probleme in beiden Ländern nicht, jedenfalls nicht öffentlich: die katastrophale Menschenrechtslage.

In den ersten neun Monaten seiner Regentschaft hat der neue saudi-arabische König Salman die Situation nicht verbessert. Eine saudisch geführte und von den USA unterstützte Allianz bombardiert und blockiert den Jemen und verletzt damit offensichtlich das Kriegsrecht. Zivilisten werden willkürlich angegriffen, manche dieser Attacken stellen möglicherweise Kriegsverbrechen dar. Und die Allianz verwendet international verbotene Streumunition, die sehr viele Zivilpersonen getötet hat.

Irans Außenminister Mohammad Javad Zarif schüttelt die Hand mit seinem deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier nach einer gemeinsamen Pressekonferenz in Teheran, Iran am 17. Oktober 2015 © 2015 Reuters

Unter Salman wurden rekordverdächtig viele Menschen zum Tode verurteilt, auch wegen gewaltfreier Drogendelikte. Die Regierung unterdrückt Aktivisten, die sich für Reformen einsetzen, und friedliche Oppositionelle wie Waleed Abu al-Khair, der derzeit eine 15-jährige Gefängnisstrafe wegen seines Einsatzes für die Menschenrechte verbüßt. Ali al-Nimr wurde zum Tode durch öffentliche Enthauptung verurteilt, auch dafür, dass er vor seinem 18. Lebensjahr zu Protesten aufgerufen und an ihnen teilgenommen hatte. Außerdem unternehmen die Behörden nichts, um Arbeitsmigranten zu schützen, und halten an der systematischen Diskriminierung von Frauen und religiösen Minderheiten fest.

Man stelle sich einmal vor, wie schockierend und grausam es wäre, wenn jede Enthauptung in Saudi-Arabien auf YouTube zu sehen wäre. Deutschland und die anderen Mitglieder der Internationalen Allianz gegen ISIS sollten lange und gut darüber nachdenken, mit was für einem Beispiel ihr Verbündeter voran geht.

Der saudische Außenminister Adel Al-Jubeir spricht während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier in Riyadh, Saudi-Arabien am 19. Oktober 2015 © 2015 Reuters

Wir warten vergeblich darauf, dass Steinmeier schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen öffentlich, laut und deutlich verurteilt. Seine Entschuldigung ist, dass er Partner finden und dazu beitragen möchte, die Konflikte in der Region einzudämmen. Der Krieg in Syrien und der Kampf gegen bewaffnete Gruppen wie ISIS und al-Qaida sind zweifelsohne legitime Anlässe für diplomatische Treffen. Aber das darf nicht bedeuten, dass Deutschland wegsieht, wenn Menschenrechte verletzt werden.

Saudi-Arabiens rechtswidrige Angriffe und die Seeblockade haben gravierende Folgen für die jemenitische Zivilbevölkerung. Angaben der UN zufolge benötigen 21 Millionen Jemeniten – ganze 80% der Bevölkerung – Unterstützung, und die Hälfte der Bevölkerung leidet unter Nahrungsmittelknappheit. Mehr als 15,2 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung und mehr als 20 Millionen keinen zu sauberem Trinkwasser. Da der Jemen 90 Prozent seiner Nahrungsmittel und Brennmittelstoffe importiert, könnte die Seeblockade faktisch bedeuten, dass die Militärallianz Zivilisten zum Zweck der Kriegsführung aushungert. Das ist ein Kriegsverbrechen.

Steinmeier und seine saudischen Gesprächspartner hätten über die Bombardierungen sprechen und öffentlich vereinbaren sollen, willkürliche Angriffe zu beenden und keine Streumunition mehr zu verwenden. Bei Steinmeiers Besuch in Rijad hätte es um mehr gehen müssen als um eine strategische Partnerschaft mit Blick auf den Iran und um den Kampf gegen den Terrorismus.

Das Außenministerium betont, es spreche regelmäßig menschenrechtliche Themen an, etwa den Fall Raif Badawi, ein liberaler Blogger, der inhaftiert wurde. Aber solche Gespräche haben keinen Wert, wenn sie hinter verschlossenen Türen geführt werden. Denn dann gibt es keine Verpflichtung zu Veränderungen, keine Maßstäbe, an denen diese gemessen werden können.

Die deutsche Rede darüber, dass strategische Partnerschaften Hand in Hand mit Menschenrechtsschutz gehen, wird immer dann unterminiert, wenn Partner wie Saudi-Arabien sich weigern, die gleichen Standards zuhause einzuhalten. Wenn Steinmeier den gewalttätigen Extremismus wirklich ganzheitlich bekämpfen will, sollte er die Saudis auffordern, Schriftsteller, Blogger und Aktivisten nicht länger mundtot zu machen. Indem er weder die Tötung von Zivilisten im Jemen durch die saudisch geführte Operation, noch die Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien selbst angesprochen hat, hat Steinmeier eine wichtige Chance verpasst.

Vor seinem Rijad-Besuch war Steinmeier in Teheran. Leider hat er auch dort die Gelegenheit verstreichen lassen, über lange überfällige Menschenrechtsreformen zu sprechen.

Das iranische Atomprogramm hat die schlechte Menschenrechtslage im Land lange überschattet. Gravierende Menschenrechtsverletzungen werden mehrheitlich von Gerichts-, Sicherheits- und Geheimdienstbeamten verübt, die selten für Verstöße zur Verantwortung gezogen werden. Und sie betreffen tagtäglich tausende Iraner.

Der Atom-Deal kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem iranische Gerichte die Hinrichtung Hunderter Gefangener beschlossen haben, von denen sehr viele lediglich gewaltlose Drogendelikte begangen haben. Allein in diesem Jahr haben die Behörden mehr als 650 Menschen erhängt, einige von ihnen waren minderjährig, als sie die ihnen zur Last gelegten Verbrechen verübt haben sollen.

Die Sicherheitsbehörden belästigen und verfolgen Anwälte und Menschenrechtsaktivisten routinemäßig.

Der Iran ist eines der weltweit größten Gefängnisse für Journalisten. Aktivisten und Autoren der Sozialen Medien trifft das besonders hart. Das Revolutionsgericht verhängt harte Strafen, auch die Todesstrafe, für Postings auf Facebook. Die Oppositionellen Mir Hossein Mousavi, Mehdi Karroubi, und Zahra Rahnavard stehen seit dem Jahr 2011 unter Hausarrest. Und Teheran weigert sich, mit UN-Institutionen zusammenzuarbeiten. Etwa verwehrte die Regierung dem UN-Menschenrechtsexperten Ahmed Shaheed die Einreise.

Viele Iraner hoffen, dass die Lösung im Atomstreit dazu führt, dass die Wirtschafts- und Finanzsanktionen aufgehoben werden und sich ihre Lebenssituation verbessert. Aber die Tausende Gefangene in Todeszellen, die Hunderte politische Gefangene, die gefoltert werden oder in Hafteinrichtungen vor sich hin vegetieren, und die Angehörige religiöser Minderheiten, denen der Zugang zu Bildung und Arbeit verwehrt wird, haben kaum Anlass, auf eine bessere Zukunft zu hoffen.

Die Länder, die sich nun darauf vorbereiten, Vorteile aus der Aufhebung der Sanktionen gegen Teheran zu ziehen, sollten bedenken, dass eine zunehmende wirtschaftliche, finanzielle und diplomatische Integration des Irans ihnen mehr Einfluss verschafft. Diesen können sie nicht nur für lukrative Geschäfte nutzen, sondern auch dafür, sich gegen Menschenrechtsverletzungen stark zu machen. Es ist sehr wichtig, dass sich all diese Länder ihrer Möglichkeiten bewusst werden und Teheran dazu drängen, seine menschenrechtlichen Verpflichtungen einzuhalten. Die iranische Bevölkerung verdient mindestens das.

Aber Steinmeier hat nichts dergleichen getan.

Ihn interessierte ausschließlich, die zwei mächtigen Erzfeinde Iran und Saudi-Arabien in näherer Zukunft an einen Tisch zu bringen. Das ist ein legitimer und notwendiger Schritt, um die Region zu befrieden. Steinmeier hat richtig gehandelt, als er Teheran darum bat, den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad davon zu überzeugen, seine grauenhaften Fassbomben-Angriffe auf die Zivilbevölkerung einzustellen. Aber das ist bei weitem nicht genug.

Zu glauben, dass man dauerhaften Frieden und Stabilität herstellen kann, indem man die erschreckende Menschenrechtslage in beiden Ländern ignoriert, ist naiv und hat nichts mit vernünftiger Realpolitik zu tun. Die inakzeptable Menschenrechtslage im Iran und in Saudi-Arabien ist der wichtigste Faktor, der die Region destabilisiert. Nur eine prinzipiengeleitete Menschenrechtspolitik kann zu nachhaltigem Frieden führen.

Hat der Arabische Frühling und sein Zusammenbruch der Welt nicht in aller Deutlichkeit gezeigt, was passiert, wenn eine fehlgeleitete Stabilitätspolitik Unterdrückungsregime umschmeichelt? Das führt früher oder später immer zu Chaos und Gewalt. Es ist nicht möglich, sich entweder für Gespräche über Stabilität und Frieden oder über Menschenrechte und Gerechtigkeit zu entscheiden. Wenn die Menschenrechte nicht respektiert werden, gibt es keine Stabilität.

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