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Ungarn: Entsetzliche Zustände in Flüchtlingslagern

Zugang zu Nahrung, Wasser und medizinischer Versorgung gewährleisten

(Budapest) – Migranten und Asylsuchende in den beiden Flüchtlingslagern in Röszke an der serbischen Grenze leben unter entsetzlichen Bedingungen, so Human Rights Watch heute nach der Analyse von Videoaufnahmen aus einem der Lager und Gesprächen mit Personen, die derzeit oder bis vor kurzem dort festgehalten wurden. Die ungarische Polizei fängt über Serbien einreisende Migranten und Asylsuchende ab und interniert sie tagelang, während diese registriert und ihre Verfahren bearbeitet werden. All dies geschieht unter Bedingungen, mit denen Ungarn seine internationalen Verpflichtungen verletzt.

Asylsuchende hinter einem Metallzaun im “Hangar 1” des Flüchtlingslagers in Röszke, Ungarn. © 2015 Private/Courtesy of Human Rights Watch

„Die Gefangenen werden in Röszke in dreckigen, überfüllten Lagern festgehalten, hungern und werden nicht medizinisch versorgt“, sagt Peter Boukaert, Leiter der Abteilung für Krisensituationen von Human Rights Watch. „Die ungarischen Behörden sind dazu verpflichtet, Migranten und Asylsuchende menschenwürdig unterzubringen und ihre Rechte zu achten.“

Die ungarischen Behörden sollen umgehend die Bedingungen in den Lagern in Röszke und in deren Umgebung verbessern und gewährleisten, dass die Menschen dort Zugang zu angemessener Nahrung, Trinkwasser, Unterkunft und medizinischer Versorgung haben.

Während das UNHCR, die Flüchtlingsagentur der Vereinten Nationen, Röszke vor kurzem besuchen durfte, verweigern die ungarischen Behörden Journalisten und Menschenrechtsorganisationen den Zugang zu den zwei polizeilich geführten Verwahrungseinrichtungen an der serbisch-ungarischen Grenze, die als Hangar 1 und Hangar 2 bezeichnet werden. Das Ungarische Helsinki-Komitee (UHK) darf die Lager betreten, da seit langem eine Vereinbarung über die Beobachtung der Grenze zwischen dem UHK, dem UNHCR und der ungarischen Polizei besteht. Allerdings berechtigt diese Vereinbarung das UHK nur einmal im Monat dazu, polizeilich geführte Lager in Grenzregionen zu besuchen, und schränkt ein, was die Organisation veröffentlichen darf.

„Die Gefangenen werden in Röszke in dreckigen, überfüllten Lagern festgehalten, hungern und werden nicht medizinisch versorgt. Die ungarischen Behörden sind dazu verpflichtet, Migranten und Asylsuchende menschenwürdig unterzubringen und ihre Rechte zu achten.“
Peter

Peter Bouckaert, Notfälle Director

Human Rights Watch hat am 31. August offiziell darum ersucht, die Sammellager in Röszke besuchen zu dürfen. Die ungarische Polizei lehnte das am 2. September mit der Begründung ab, es würde „polizeiliche Maßnahmen beeinträchtigen“. Öffentlich zugänglich ist nur der „Sammelbereich“ im Freien, der etwa 500 Meter von der Grenze entfernt ist und an dem die Polizei Migranten und Asylsuchende sammelt, bevor diese in die Lager in Röszke gebracht werden. Allerdings liegen Human Rights Watch Videoaufnahmen aus Hangar 1 und die Aussagen von 24 Asylsuchende aus Ländern wie Syrien und Afghanistan vor, die derzeit oder früher in den Lagern interniert waren.

In Hangar 1 und Hangar 2 leben die Gefangenen in kleinen Zeltlagern unter freiem Himmel, die jeweils mit Metallzäunen voneinander getrennt sind. Die Lager sind überbelegt, es fehlt an Schlafmöglichkeiten und Platz für die vielen Menschen. Die befragten Personen bestätigten, dass sie während ihres Aufenthalts wenige oder keine Informationen über die Richtlinien und Garantien erhalten haben, unter denen sie festgehalten wurden und unter denen die ungarischen Behörden ihre Fälle administrativ bearbeiten. In den Einrichtungen gibt es keine dauerhaft anwesenden Dolmetscher, was die massiven Kommunikationsprobleme weiter verschärft, genau wie die daraus resultierenden Ängste und die Frustration der internierten Menschen.

Viele der befragten Personen wurden augenscheinlich länger als gesetzlich erlaubt festgehalten. Das ungarische Gesetz sieht maximal 36 Stunden dafür vor, Menschen an der Grenze polizeilich zu registrieren. Darüber hinaus berichteten die Betroffenen, dass es in den Lagern praktisch keine medizinische Versorgung gibt. Alle Befragten schilderten, dass sie fast keine essbare Nahrung bekommen haben und nicht erfahren konnten, ob das Essen halal, also für muslimische Menschen geeignet war. Auch gab es in den Lagern nicht genug Trinkwasser. Viele Betroffene sagen, dass sie schließlich begonnen haben, das dreckige Wasser zu trinken, mit dem sie sich eigentlich nur hätten waschen sollen.

Einige Gefangene erlitten im Lager Herzinfarkte, Insulinschocks oder Schlaganfälle. Diese Personen wurden genauso wenig medizinisch versorgt wie neugeborene Kinder mit hohem Fieber und Erbrechen.

Interactive Photo Feature: Thousands of asylum-seekers, including many from war-torn Syria, arrive daily in Hungary, seeking a path to Germany and other Western European countries. Hungary has detained and at times refused to allow people to continue onwards to Western Europe, citing an EU regulation. As a result, thousands have been stranded at Budapest's Keleti train station. Human Rights Watch researchers interviewed scores. Here are their stories. >>

„Ich bat um Milch für unser Baby und sie sagten mir, dass ich verschwinden soll“, berichtete ein Mann, der zusammen mit seiner Frau und seinem Baby in Röszke festgehalten wurde. „Wir brauchten dringend sauberes Wasser für unser Kind und die anderen Kinder [anderer Familien], aber die Polizisten sagten uns, wir sollten das dreckige Wasser benutzen.“

Die Verhältnisse in den Einrichtungen in Röszke deuten darauf hin, dass die ungarischen Behörden, auch die Grenzpolizei, nicht die Kapazitäten dazu haben, die steigende Zahl der Asylsuchenden und Migranten unter menschenwürdigen Bedingungen zu internieren, unterzubringen und zu versorgen. Ohne umfassende internationale Unterstützung, die gewährleistet, dass die ungarische Verwahrungspraxis die Minimalstandards der EU erreicht, werden Migranten und Asylsuchende an der Grenze höchstwahrscheinlich weiterhin unter furchtbaren Bedingungen festgehalten.

Derzeit erreichen sehr viel Migranten und Asylsuchende Ungarn. Seit Anfang des Jahres sind knapp 150.000 Menschen in das Land gekommen, in der vergangenen Woche haben täglich bis zu 3.000 Personen die Grenze zwischen Serbien und Ungarn überquert. Im vergangenen Jahr hat sich die Zahl der Asylanträge verdoppelt, womit Ungarn - nach Schweden - das EU-Land mit den meisten Asylanträgen pro Einwohner ist. Aber diese hohen Zahlen entbinden Ungarn nicht von seiner rechtlichen Pflicht, auch unter der EU-Aufnahmerichtlinie, Asylsuchende menschenwürdig zu behandeln und dafür, wenn notwendig, internationale Organisationen oder die EU um Unterstützung zu bitten.

Seit Anfang des Jahres führt die ungarische Regierung eine Kampagne gegen Einwanderer. In diesem Rahmen fand auch eine so genannte nationale Befragung statt, bei der acht Millionen Bürger einen Fragebogen beantworteten, in dem Einwanderung mit Terrorismus gleichgesetzt wurde. Im Juni startete die Regierung eine landesweite Plakat-Kampagne mit Botschaften wie „Wer nach Ungarn komm, darf Ungarn nicht ihre Arbeit wegnehmen“ und „Wer nach Ungarn kommt, muss unsere Kultur respektieren“. Kürzlich behauptete Premierminister Viktor Orban, er würde „Europas christliche Kultur“ vor Muslimen schützen, um seine Politik gegen Migranten und Asylsuchende zu rechtfertigen.

Die ungarischen Behörden sollen dringend die Vereinten Nationen und humanitäre Nichtregierungsorganisationen um Unterstützung dabei bitten, den Bedürfnissen der internierten Migranten und Asylsuchenden gerecht zu werden und das Registrierungsverfahren zu standardisieren, so dass sie nicht mehr so lange in den Verwahrungseinrichtungen ausharren müssen. Diese Einrichtungen sollen nach internationalen Standards ausgebaut werden. Qualifizierte Dolmetscher und ausgebildetes medizinisches Personal sollen unverzüglich in den Lagern eingesetzt werden.

„Die Situation für Migranten und Asylsuchende in Ungarn ist unmenschlich und unhaltbar“, so Bouckaert. „Die ungarische Regierung muss mit Hilfe anderer EU-Regierungen und der Vereinten Nationen umfassende Maßnahmen ergreifen, um ihrer Verpflichtung gerecht zu werden, diese Menschen zu schützen und menschenwürdig zu behandeln.“

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