(Moskau) – Die Regierung Russlands hat fünf bedeutende internationale Gruppen als „ausländische Agenten” eingestuft, so Human Rights Watch. Das Vorgehen der Regierung gehört zu den größten Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Russland seit Ende der Sowjetära.
Am 21. Juli 2014 hat das Justizministerium verlauten lassen, vier Menschenrechtsorganisationen sowie eine Umweltschutzorganisation als „ausländische Agenten” eingestuft zu haben. Bei den Organisationen handelt es sich um das Memorial Human Rights Center, die Public Verdict Foundation sowie JURIX in Moskau, AGORA in Kasan und den Frauenrat zum Umweltschutz (Ecozaschita-Zhensovet) in Kaliningrad. Das Justizministerium führte an, die Gruppen seien „politisch aktiv” gewesen und hätten Gelder aus dem Ausland erhalten. Somit seien sie gemäß russischem Gesetz als „ausländische Agenten” zu erfassen gewesen.
„Indem die russische Regierung diese fünf Gruppen als „ausländische Agenten” gebrandmarkt hat, hat sie einen großen Schritt unternommen, unabhängiges politische Engagement in Russland zu zerstören”, so Hugh Williamson, Leiter der Abteilung Europa und Zentralasien von Human Rights Watch.
Mitte Juli hatten russische Medien berichtet, die Regierung wolle das Gesetz weiter verschärfen und den Kontakt von Regierungsbeamten mit „ausländischen Agenten” verbieten.
Am 22. Juli hat Präsident Wladimir Putin vor dem russischen Sicherheitsrat die „kleinen Nichtregierungsorganisationen” als ein von ausländischen Kräften benutztes Werkzeug bezeichnet, um Russland zu schwächen. Dies sei laut Putin eine der „Herausforderungen”, auf die Russland reagieren müsse.
Russlands „ausländisches Agentengesetz”, das im Juli 2012 verabschiedet wurde, fordert Nichtregierungsorganisationen, die sich mit Mitteln aus dem Ausland finanzieren und sich „politisch engagieren”, dazu auf, sich als „ausländische Agenten” erfassen zu lassen. Dieser Begriff wird in Russland in der Regel mit ausländischen Spionen und Verrätern gleichgesetzt wird. Das Gesetz fasst die Definiton für „politische Aktivitäten” so weit, dass es der Regierung erlaubt wird, Kontrolle über praktisch jede organisierte Aktivität, die sich auf öffentliche Angelegenheiten bezieht, auszuüben. Keine Gruppe von Interessenvertretern hat sich als „ausländische Agenten” registrieren lassen. Stattdessen kämpfen viele der Organisationen vor Gericht gegen die Versuche der Behörden, sie zu einer solchen Registrierung zu zwingen. Als Reaktion hierauf änderte das russische Parlament im Mai 2014 das Gesetz ab und machte es dem Justizministerium somit möglich, Organisationen eigenmächtig und ohne deren Zustimmung als „ausländische Agenten” zu registrieren.
Am 9. Juni, fünf Tage nachdem Präsident Wladimir Putin die Gesetzesänderungen unterzeichnet hatte, stufte das Justizministerium sofort die ersten fünf Organisationen als „ausländische Agenten” ein. Vier dieser Organisationen hatten den Kampf vor Gericht verloren. Von diesen fünf vom Justizministerium am 21. Juli als „ausländische Agenten” registrierten Gruppen waren vier dabei, gerichtlich gegen die Behörden vorzugehen. Mittlerweile umfasst das Register zehn Organisationen. Das Memorial Human Rights Center, die Public Verdict Foundation, AGORA, und JURIX sind vor allem dafür bekannt Menschen rechtlichen Beistand zu bieten, die Opfer politischer Manipulation der Justiz geworden sind, darunter verfolgte zivilgesellschaftliche Aktivisten und friedliche Demonstranten sowie lesbische, schwule, bisexuelle und Transgender-Aktivisten (LGBT) und Opfer von Polizeigewalt. Alle Organisationen führen Gerichtsverfahren und werden regelmäßig in den Medien zitiert.
Die Vorsitzende der Public Verdict Foundation, Natalia Taubina, erhielt 2013 den von Human Rights Watch verliehenen Alison des Forges-Award für ihr außergewöhnliches Engagement. Natalia Estemirova, eine führende Menschenrechtlerin aus dem Nordkaukasus hatte diesen Preis 2007 erhalten. Im Fall des kaltblütigen Mordes an Estemirova im Juli 2009 gab es bislang keine effektiven Ermittlungen, so dass der Mord bis heute straffrei geblieben ist.
Vertreter der fünf am 21. Juli 2014 als „ausländische Agenten” eingestuften Gruppen sagten gegenüber Human Rights Watch, sie werden gegen die Entscheidung des Ministeriums zwar vor russischen Gerichten Berufung einlegen. Ihre größte Hoffnung hierbei sei jedoch hauptsächlich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Dreizehn russische Organisationen, darunter auch jene, die seit neuestem offiziell als „ausländische Agenten” gelten, haben eine Sammelklage beim Europäischen Gerichtshof eingereicht. Dem werden sich in naher Zukunft vermutlich noch mehr Gruppen anschließen, die Opfer des „Agentengesetzes” werden.
„Die russischen Behörden lassen keinen Zweifel daran, dass das „Agentengesetz” eingeführt und weiter ausgearbeitet wurde, um unabhängige Interessengruppen zu vernichten und die Meinungsfreiheit zu unterdrücken”, so Williamson. „Russlands internationale Partner sollen Russland gemeinsam aufrufen, dieses schreckliche Gesetz wieder abzuschaffen.”