(Kuala Lumpur) – Malaysias Regierung soll dringend dafür sorgen, dass die Verantwortlichen für Todesfälle in Polizeigewahrsam und für ungerechtfertigten polizeilichen Schusswaffengebrauch zur Rechenschaft gezogen werden, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Die königliche malaysische Polizei soll von unabhängiger, externer Stelle kontrolliert werden, damit Vertuschungsaktionen sowie übermäßige Geheimhaltung ein Ende haben und Untersuchungen zu Missbrauchsvorwürfen nicht mehr länger behindert werden.
In dem 102-seitigen Bericht „'No Answers, No Apology': Police Abuses and Accountability in Malaysia" werden seit 2009 mutmaßliche Fälle angeblicher Polizeigewalt in Malaysia untersucht. Grundlage sind die Befragung Betroffener sowie Beschwerden von Opfern und deren Angehörigen. Human Rights Watch hat dabei festgestellt, dass Fälle von Polizeigewalt in erster Linie von der Polizei selbst untersucht werden, dass es den Ermittlungen an Transparenz fehlt und dass beschuldigte Beamte fast niemals angeklagt werden.
„Malaysias Polizei ist nur sich selbst gegenüber verpflichtet, Rechenschaft abzulegen. Einfache Leute im gesamten Land zahlen zu häufig den Preis dafür, und zwar in Form von Knochenbrüchen und tragisch beendeten Leben", so Phil Robertson, stellvertretender Leiter der Asien-Abteilung von Human Rights Watch. „Um unrechtmäßigen Todesfällen, vermeidbarer Misshandlung während der Inhaftierung und der Anwendung exzessiver Gewalt auf der Straße ein Ende zu bereiten, muss die Regierung die Polizeikräfte wirksam kontrollieren."
Human Rights Watch sprach für den Bericht mit 75 Personen in Malaysia, darunter mit Opfern von Polizeigewalt und deren Angehörigen sowie Anwälten, Polizeivertretern, darunter dem aktuellen Generalinspekteur der Polizei, Vertretern der Staatsanwaltschaft und Mitarbeitern aus Regierungsausschüssen und Nichtregierungsorganisationen.
Weil die Polizei nicht ausreichend Rechenschaft ablegen muss, wird missbräuchlichen und manchmal tödlichen Praktiken der Polizei Vorschub geleistet, so Human Rights Watch. Die Vorgaben sind vage, die Ausbildung unzureichend, es fehlt an Transparenz und die Polizeiführung untersucht und verhindert illegale Praktiken nicht – all das schafft Raum für Polizeigewalt. Malaysias Regierung und der Generalinspekteur der Polizei haben ihre Pflichten offenbar nicht erfüllt und sorgen nicht für eine effektive Aufsicht und Rechenschaftspflicht in Fällen von unrechtmäßigen Tötungen, Misshandlungen in Haft und übermäßiger Gewaltanwendung. Verschlimmert wurden die Probleme dadurch, dass Regierung und Generalinspekteur nicht dafür sorgen wollten, dass die Polizei mit Aufsichtsorganen wie der Malaysischen Menschenrechtskommission (Suhakam) oder der Kommission zur Integrität der Exekutivorgane (EAIC) zusammenarbeitet. Auch wurde nicht, wie von der Royal Commission empfohlen, ein spezielles, unabhängiges Gremium ins Leben riefen, das die Polizei beaufsichtigt.
Der damalige stellvertretende (und inzwischen amtierende) Generalinspekteur der Polizei, Khalid bin Abu Bakar, sagte Human Rights Watch in einem Interview, die Polizei dürfe tödliche Gewalt „zum Selbstschutz" anwenden, wenn Polizisten mit dem Tode bedroht würden (und) keine Zeit bleibe, eine weniger tödliche Waffe einzusetzen". Untersuchungen von Human Rights Watch haben jedoch gezeigt, dass die Polizei tödliche Schüsse oftmals zu rechtfertigen sucht, indem sie beteuert, die verdächtige Person habe ein Parang (ein machetenartiges Schwert) bei sich geführt oder während einer Verfolgungsjagd oder einer Straßensperre eine Bedrohung für die Polizei dargestellt. Auch wenn diese Aussagen in krassem Gegensatz zu Augenzeugenberichten stehen, wurden die Angaben der Beamten selten von der Polizei untersucht. Oft wurden Missbrauchsvorwürfe gegen Polizisten von Beamten überprüft, die auf derselben Wache wie die Beschuldigten arbeiteten.
Die Regierung hat keinerlei Anzeichen dafür gezeigt, durch eine Reform gegen Polizeigewalt vorzugehen, so Human Rights Watch. Ahmad Zahid Hamidi, als Innenminister zuständig für die Polizei, sagte im Oktober 2013: „[Wir] gehen nicht länger Kompromisse mit [Kriminellen] ein. Es besteht keine Notwendigkeit, sie zu warnen. Haben wir die Beweise, schießen wir als erster."
„Offenbar glaubt Malaysias Polizei, dass ihre gelegentlich unerhörten öffentlichen
Stellungnahmen zu tödlichem Schusswaffengebrauch in den Medien nicht auf widersprüchliche Beweise und Aussagen treffen", so Robertson. „Bislang hatten Opfer bedauerlicherweise wenige Möglichkeiten, gegen Polizeigewalt vorzugehen, denn die Polizei überprüft sich selbst, ignoriert die Rufe nach externer Aufsicht und manipuliert das System."
‚Ein schwerwiegendes Problem'
Todesfälle in Polizeigewahrsam sind in Malaysia ein schwerwiegendes Problem, so Human Rights Watch. Zusätzlich zu Forderungen nach besserer Kontrolle der Polizei stehen auch noch die Schwächen im Raum, die staatliche Pathologen bei den Obduktionen an den Tag legen. So wird üblicherweise nicht in Erwägung gezogen, ob der Tod als Folge einer Misshandlung durch die Polizei eingetreten sein könnte. Viele Familien von Opfern lassen eine zweite Obduktion durchführen, um eine unabhängige Einschätzung der Todesursache zu erhalten.
Wer als Opfer von Polizeigewalt in Malaysia eine Misshandlung meldet oder das Verhalten der Polizei in Frage stellt, hat wenig Aussicht darauf, dass gegen Beamte ermittelt wird und dass Übeltäter bestraft oder angeklagt werden. Die exzessive Geheimhaltung bei der Polizei hat zur Folge, dass Opfer und ihre Familien nur selten in Erfahrung bringen können, ob ihren Beschwerden nachgegangen wird und ob Disziplinarmaßnahmen ergriffen wurden. Dienstanweisungen der Polizei werden oftmals Staatsgeheimnissen gleich als Verschlusssache behandelt.
„Ich habe wegen des Tods meines Sohns eine Beschwerde eingereicht, aber ich weiß nicht, wie es nun weitergeht", sagt Sapiah binti Mohd Ellah. Ihr Sohn, der 20-jährige Mohd Afham bin Arain, war 2010 in Johor Baru von der Polizei erschossen worden. „Wir hören überhaupt nichts zu der Frage, welche Schritte die Polizei ergriffen hat. Keine Antworten, keine Entschuldigung."
Selbst bestehende externe Aufsichtsorgane wie Suhakam und EAIC haben wenig Erfolg gehabt, Einblick in Polizeiakten, zentrale Dienstanweisungen der Polizei zum Umgang mit Gewalt und Schusswaffen oder andere Informationen zu erhalten, die nötig wären, um seriöse Untersuchungen anzustellen. Als Suhakam Missbrauchsvorwürfen im Zusammenhang mit der "Bersih 3.0"-Demonstration nachging, die im April 2012 in Kuala Lumpur stattfand, beklagte die Menschenrechtskommission mangelnde Kooperationsbereitschaft der Polizei. Diese habe sich geweigert, Polizeibeamte zu identifizieren, die exzessive Gewalt anwandten und auf friedliche Demonstranten und Pressevertreter einprügelten.
Human Rights Watch fordert Malaysias Regierung auf, eine unabhängige externe Kommission einzusetzen, deren einzige Aufgabe darin besteht, Beschwerden über polizeiliches Fehlverhalten nachzugehen. Das Gremium soll in der Lage sein, Ermittlungen durchzuführen, Zeugen und Behörden zur Zusammenarbeit zu bewegen, Dokumente einzufordern und Fälle der Staatsanwaltschaft zu übergeben. Bis es soweit ist, sollen Reformen durchgeführt werden, die der EAIC ein besseres Arbeiten ermöglichen.
„Wenn es darum geht, Missbrauchsopfern Gerechtigkeit zukommen zu lassen, bestehen Malaysias Politiker und Polizei den Test nicht", so Robertson. „Leidtragende sind nicht nur die direkt Betroffenen. Es entsteht ein gefährliches Misstrauen zwischen der Polizei und den von ihr überwachten Personengruppen."