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(New York) - Die Ankündigung der chinesischen Regierung im Laufe des Jahres das umstrittene System der Umerziehung durch Arbeit abzuschaffen, ist eine selten positive Reaktion auf die wachsende Unbeliebheit dieses Systems, so Human Rights Watch. Die Arbeitslager zu schließen, ist zwar ein wichtiger Schritt. Das Ziel der Regierung soll es jedoch sein, das Umerziehungssystem komplett abzuschaffen.

„Wenn dieser Beschluss der Umerziehung durch Arbeit wirklich ein Ende setzt, ist das ein großer Schritt hin zu Rechtsstaatlichkeit in China”, sagte Sophie Richardson, China-Direktorin von Human Rights Watch. „Mutige Aktivisten und einfache Bürger haben lange dafür gekämpft, dieses System willkürlicher Inhaftierung zu beenden.”

Chinesischen Medienberichten zufolge kündigte Meng Jianzhu, Vorsitzender des einflussreichen Komitees für Politik und Recht der Kommunisitischen Partei, das Chinas Sicherheitskräfte und das Gerichtssystem überwacht, am 7. Januar im Rahmen eines Treffens von Regierungsvertretern an, spätestens bis Ende 2013 die Arbeitslager zu schließen. Die Entscheidung des Komitees muss nun vom Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses, Chinas wichtigstem Gesetzgebungsorgan, akzeptiert werden, um in Kraft zu treten. Das seit den 1950er Jahren existierende System der Admininstrativhaft, das nicht von der Justiz, sondern von der Polizei kontrolliert wird, würde damit ausgesetzt und möglicherweise endgültig beendet. Offizielle Statistiken gehen davon aus, dass etwa 160.000 Chinesen ohne Gerichtsprozess in 350 Arbeitslagern festgehalten werden.

Schon in den letzten Jahren hatte die chinesische Regierung in Betracht gezogen, das Umerziehungssystem durch ein neues Haftsystem zu ersetzen, wodurch jedoch die wesentlichen Bestandteile des existierenden Systems intakt geblieben wären: ein System der Administrativhaft unter der Kontrolle des Büros für öffentliche Sicherheit, das parallel zum regulären Strafsystem existieren und lange Haftstrafen ohne vorherigen Gerichtsprozess und rechtsstaatliche Garantien erlauben würde. Die Veränderungen lägen vor allem bei einem neuen Namen, der Einführung einer Höchststrafe und der Gewährung einiger Vefahrensrechte, zum Beispiel auf Rechtsbeistand.

Die öffentliche Kritik am System der Umerziehung durch Arbeit hat in den letzten Monaten zugenommen, gerade in Bezug auf die Bestrafung von Regimekritikern, die online ihre Meinung kundtun, wie etwa Tang Hui. Sie wurde im Jahr 2012 in ein Arbeitslager geschickt, weil sie sich bei der Regierung über die Vergewaltigung ihrer jungen Tochter beklagt hatte. Ein hoher Beamter, verantwortlich für Reformen des Rechtssystem, bestätige im letzten Jahr, dass ein „Konsens” bestehe, „das System der Umerziehung durch Arbeit“ zu refomieren. Auch andere Regierungsentscheidungen der letzten Zeit lassen sich als eine Reaktion auf die öffentliche Entrüstung über die Straffreiheit des Sicherheitsapparates deuten. So wurde 2012 dem Minister für öffentliche Sicherheit sein dauerhafter Sitz im Ständigen Ausschuss des Politbüros entzogen.

Im Laufe des letzten Sommers wurde in vier Städten ein Pilotprojekt gestartet, um mögliche Reformen zu prüfen. Über die sogenannten „Reformen“ ist wenig bekannt, abgesehen von der Namensänderung des Programms, das jetzt „Erziehung und Korrektur” heisst. Es ist daher unklar, ob die Ankündigung, das bestehende System nicht weiter zu nutzen, letztendlich eine Reform, eine Abschaffung oder eine Ablösung durch ein anderes administratives Haftsystem unter neuem Namen bedeutet.

Das aktuelle Umerziehungssystem gibt dem Büro für öffentliche Sicherheit die alleinige Entscheidungsmacht, Menschen inhaftieren zu lassen und für bis zu vier Jahre der Zwangsarbeit auszusetzen. Der chinesischen Regierung zufolge sollen durch die Zwangsarbeit das Verhalten von Straftätern kleinerer Delikte, wie Drogenabhängige und Prostituierte, verändert werden.

Human Rights Watch hält solche Massnahmen weder für „therapeutisch sinnvoll” noch für vereinbar mit den Menschenrechten. Die Inhaftierten erhalten kein faires Verfahren. Es können keine Zeugen vor einem unabhängigen Richter mit Hilfe eines Rechtsbeistands gehört werden, und das Recht auf eine unabhängige gerichtliche Prüfung der Haftentscheidung wird verletzt. In der Praxis wurde das Umerziehungssystem vielfach von der Polizei missbraucht, um Menschenrechtsaktivisten, Regimekritiker und Bittsteller zu bestrafen. Die Inhaftierten werden häufig gezwungen, unter gefährlichen Bedingungen zu arbeiten. Sie müssen täglich ein enormes Arbeitspensum bewältigen. Wer diese Ziele nicht erreicht oder als Ungehorsam gilt, wird in einigen Fällen körperlicher Gewalt, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung und sogar Folter ausgesetzt.

Human Rights Watch hat die chinesische Regierung dazu gedrängt, das Umerziehungssystem komplett abzuschaffen und ein neues System zur Ahndung kleinerer Straftaten einzuführen. Dabei ist entscheidend, dass die neuen Regelungen mit der chinesischen Verfassung und den internationalen Verpflichtungen Chinas vereinbar sind. Die Justiz – und nicht die Polizei – soll für Anklage, Feststellung von Schuld und gegebenenfalls für die Bestimmung einer angemessenen Strafe verantwortlich sein. Angeklagte müssen am Gerichtsverfahren teilnehmen können und Zugang zu einem Rechtsbeistand haben. Insgesamt müssen alle Bedingungen für einen fairen Prozess erfüllt werden. Die chinesische Regierung soll darüber hinaus über Alternativen zur Inhaftierung nachdenken. Geringfügigere Delikte können zum Beispiel durch gemeinnützige Arbeit geahndet werden. Ausserdem soll die chinesische Regierung sich für die Abschaffung von Folter und anderer unmenschlicher Behandlung in Haftanstalten einsetzen und gegen die Verantwortlichen gerichtlich vorgehen.

„Marginale Korrekturen am System oder eine Verrringerung der Haftzeit werden die Missstände des Umerziehungssystems nicht beenden, sondern das System nur weiter verfestigen”, so Richardson. „Nur die komplette Abschaffung kann helfen, und es wird Zeit, dass die neue Regierung unter Xi Jinping faire Gerichtsverfahren ermöglicht.”

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