(Mailand) – Die Europäische Union soll umgehend auf die Todesfälle zahlreicher Migranten und Asylsuchender im Mittelmeer innerhalb der letzten 48 Stunden reagieren, um weitere Todesopfer im Mittelmeer zu verhindern.
61 Menschen, einschließlich dreier Säuglinge und 28 Kinder, starben, nachdem ihr Boot am 6. September 2012 im Ägäischen Meer vor der Türkei gesunken war. 46 Menschen, die laut türkischen Behörden Syrer und Palästinenser sind, wurden gerettet. Darüber hinaus berichteten italienische Medien, dass nach dem Untergang eines weiteren Schiffes mit Flüchtlingen und Asylsuchenden in der Nacht zum 6. September vor der Küste Lampedusas, einer italienischen Insel im südlichen Mittelmeer, ein Mann starb und noch Dutzende vermisst werden. Die italienischen Sicherheitskräfte retteten 56 Menschen.
„Der Tod so vieler Kinder sollte ein Weckruf für die führenden Politiker in der EU sein”, so
Judith Sunderland, Westeuropa-Expertin von Human Rights Watch. „Europa kann und soll mehr tun, um Tragödien wie diese in Zukunft zu verhindern.“
Jedes Jahr versuchen Menschen, die vor Verfolgung fliehen oder ein besseres Leben suchen, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen, oftmals in nicht seetauglichen Booten und abhängig von skrupellosen Schmugglern. Im Jahr 2011 verloren schätzungsweise 1.500 Menschen ihr Leben im Mittelmeer, die höchste Zahl seit Beginn der Aufzeichnungen. Mit den jüngsten Tragödien ist die geschätzte Zahl der Todesopfer für 2012 bereits auf über 300 gestiegen. Die tatsächliche Zahl kann laut Human Rights Watch jedoch noch höher liegen.
Die Untersuchung von Bootsunglücken durch Human Rights Watch während der letzten zwei Jahre deutet darauf hin, dass die europäischen Rettungseinsätze im Mittelmeer durch schlechte Koordination, Streitigkeiten über die Zuständigkeit, eine starke Betonung des Grenzschutzes sowie Maßnahmen, um Handelsschiffe von Rettungseinsätzen abzuhalten, behindert wurden. Human Rights Watch fasste die Ergebnisse der Untersuchungen in einem Hintergrundpapier zusammen, das im August veröffentlicht wurde.
Sowohl Frontex, die Europäische Agentur für operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen, als auch das geplante Europäische Grenzkontrollsystem (EUROSUR) können Seenotrettungen durchführen. Doch es fehlen spezifische Richtlinien und Vorgehensweisen, damit die Rettung das Hauptziel bei EU-Operationen auf hoher See ist.
Das Vorbeugen von Todesfällen auf See muss im Zentrum einer koordinierten europaweiten Strategie für Bootsflüchtlingen stehen, so Human Rights Watch. Die EU soll sich auch mit den türkischen Behörden absprechen, damit es keine Lücken im Rettungsnetz gibt.
„Das Retten von Menschenleben auf See soll im Mittelpunkt der EU-Strategie für Bootsflüchtlingen stehen“, so Sunderland. „Überfüllte Flüchtlingsboote sollen immer als Boote betrachtet werden, die sich in Seenot befinden, gerettet und zu einer sicheren Anlegestelle gebracht werden.“
Die Passagiere auf dem Boot, das vor der türkischen Küste sank, versuchten vermutlich, die nahe gelegene griechische Insel Samos zu erreichen. Griechenland ist für Einwanderer und Asylsuchende aus Asien und Afrika zu einem wichtigen Eingangstor nach Europa geworden, hauptsächlich über den Landweg aus der Türkei. Die Zahl der Einwanderer, die über das Meer kommen, könnte jedoch ansteigen, da die Flüchtlinge und Schmuggler neue Wege suchen. Die griechische Regierung hat vor kurzem mehr Hilfe von Frontex angefordert, um das Ägäische Meer zu patrouillieren, wo die Behörden eine höhere Anzahl von Bootsflüchtlingen als in den letzten Jahren verzeichnet haben.
In Griechenland sehen sich die Einwanderer und Asylsuchenden mit einem dysfunktionalen Asylsystem, Armut und fremdenfeindlicher Gewalt konfrontiert. Viele versuchen daher, weiter ins Innere Europas zu reisen, um angemessen aufgenommen zu werden und eine bessere Perspektive zu haben, wobei sie oft erneut Leib und Leben aufs Spiel setzen.
Mehr und mehr Menschen, die vor dem Konflikt in Syrien fliehen, machen sich auf die gefährliche Reise nach Europa. Über 200.000 Menschen sind bereits aus Syrien in die benachbarten Länder geflohen, davon 80.000 in die Türkei. Eine zypriotische Nachrichtenagentur berichtete, dass eine siebenköpfige syrische Familie, davon zwei Kinder, Ende August ertrank, als ihr von Latakia aus gestartetes Boot vor der Küste Zyperns unterging.
„Europa hat sich schon letztes Jahr herumgezankt und keine Entscheidung getroffen, als Zehntausende übers Meer kamen, um dem Chaos und den Konflikten in Nordafrika zu entfliehen“, so Sunderland. „Wir müssen diesmal den europäischen Werten gerecht werden und unser Möglichstes tun, damit die syrischen Flüchtlinge in Sicherheit gebracht werden.“