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(Valetta) – Die grundsätzliche Inhaftierung von Bootsflüchtlingen in Malta führt dazu, dass unbegleitete Kinder über lange Zeiträume festgehalten und auch andere Rechte von Migranten verletzt werden, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Die Regierung soll diese Politik beenden und gewährleisten, dass Kinder nicht in Haft bleiben, während ihr Alter festgestellt wird.

Der 50-seitige Bericht „Boat Ride to Detention: Adult and Child Migrants in Malta“ dokumentiert, wie mehrheitlich aus Ländern südlich der Sahara stammende Migranten behandelt werden. Die meisten erreichen Malta nach lebensgefährlichen Fahrten über das Mittelmeer in kaum seetauglichen Booten ohne ausreichend Nahrung, Wasser und Treibstoff. Nach ihrer Ankunft werden faktisch alle irregulären Migranten inhaftiert – und die Haftbedingungen können das Trauma der Reise noch verschlimmern. Die Kritik an der maltesischen Einwanderungspolitik ist umso schärfer, seit Mamadou Kamara, ein 32-jährigen Malier, im Juli tot in einem Fahrzeug eines Sicherheitsdienstes aufgefunden wurde.

„Es ist unmenschlich und unnötig, dass Malta Migranten – auch unbegleitete Kinder – automatisch, willkürlich und pauschal inhaftiert“, sagt Alice Farmer, Expertin für Kinderrechte bei Human Rights Watch. „Dieses Vorgehen hält Migranten nicht davon ab, nach Malta zu kommen, und verletzt internationales Recht.“

Seit 2002 sind etwa 15.000 Bootsmigranten auf dem kleinen, europäischen Inselstaat angekommen, ohne Erlaubnis, also „irregulär“. Der Bericht dokumentiert, dass alle unabhängig von ihrem Alter festgenommen wurden. Asylsuchende, die mit dem Boot ankommen, werden bis zu zwölf Monate lang inhaftiert. Migranten, die keinen Asylantrag stellen oder abgelehnt werden, können bis zu 18 Monate in Haft bleiben. Interniert werden selbst besonders schutzbedürftige Migranten – Familien mit Kindern, ältere Menschen und Menschen mit psychischen oder physischen Behinderungen.

Auch unbegleitete Kinder, die oft vor Gewalt oder Konflikten in Ländern wie Somalia und Eritrea geflohen sind, kommen routinemäßig in Haft, während die Behörden auf das Ergebnis eines langwierigen Verfahrens warten, um das Alter der Flüchtlinge festzustellen. Unbegleitete Kinder reisen ohne ihre Eltern oder andere Begleitpersonen, in der Regel monatelang unter gefährlichen Bedingungen. Erst wenn die Behörden feststellen, dass sie jünger als 18 Jahre alt sind, entlassen sie die Betroffenen und bringen sie in Kinderheimen unter.

Die Kinder, mit denen Human Rights Watch gesprochen hat, waren durchschnittlich 3,4 Monate lang in Haft, bevor ihr Alter festgestellt wurde. Die meisten sind ohne Pässe oder andere Identitäts- und Altersnachweise eingereist, weil sie diese in ihren Herkunftsländern nicht bekommen konnten. Diese Kinder behandelt die maltesische Regierung als volljährig und interniert sie in Hafteinrichtungen für Erwachsene. Die befragten Personen sagen, dass zusammen mit ihnen Kinder im Alter von gerade einmal zwölf Jahren in Haft waren.

„Bis das Gegenteil bewiesen ist, soll Malta Migranten als Kinder behandeln, die angeben, jünger als 18 Jahre alt zu sein. Sie dürfen niemals inhaftiert werden“, sagt Farmer. „Die Brutalität der Internierungspolitik wird offensichtlich, wenn unbegleitete Kinder nach langen, lebensgefährlichen Reisen ohne Eltern oder andere Bezugspersonen in Gefängnisse kommen, bis sie beweisen können, dass sie minderjährig sind.“

Malta inhaftiert unbegleitete Kinder gemeinsam mit fremden Erwachsenen, bis die Behörden das Alter feststellen können. Die Kinder erleben in den Hafteinrichtungen immer wieder Gewalt und Ausbeutung. Abdi M., der im Alter von 17 Jahren inhaftiert wurde, berichtet: „Jeden Tag kam ein großer Mann aus Mali und sagte: 'Gib mir dein Essen'. Einmal habe ich mich geweigert und er hat mich geschlagen. Ich lag eine halbe Stunde lang [bewusstlos] auf dem Boden. Ich habe den Soldaten davon erzählt und sie meinten, dass es sie nicht interessiert. Niemand hat mir geholfen, ich habe mich einfach in den Schlaf geweint.“

Darüber hinaus beeinträchtigen die übermäßig langen Haftzeiten die psychische Gesundheit von Erwachsenen und Kindern. Medizinische Fachzeitschriften haben festgestellt, dass lange Inhaftierung von Migranten mit hohen Raten posttraumatischer Belastungsstörungen, Angststörungen und Depressionen korrelieren. Darüber hinaus verschlimmert die Haft existierende Symptome, etwa Traumata auf Grund von Flucht, Folter oder Verfolgung. Kinder und junge Menschen, die für lange Zeiträume in Haft sind, fühlen sich häufig isoliert und leiden an Bindungslosigkeit.

Kelile T., der nach eigenen Angaben im Jahr 2011 mit 17 Jahren auf Malta ankam, war neun Monate in Haft, bevor er für 15 Tage in eine psychiatrische Klinik eingeliefert wurde. Nach seiner Behandlung wurde er erneut interniert. Er beschreibt seine Erfahrungen: „Ich nehme jetzt Medikamente, um schlafen zu können. Ohne Medizin kann ich nicht schlafen... meine Psyche ist nicht in Ordnung, es ist sehr schwer... Ich kann nicht, ich kann nicht... das hier ist ein schlimmer Ort, ich brauche einen freien Ort.“

Malta rechtfertigt seine Internierungspolitik mit Hinweis auf die Einwanderungspolitik der Europäischen Union, insbesondere auf die Dublin-II-Verordnung. Diese verpflichtet Malta, die Asylgesuche aller Menschen zu prüfen, die über den Inselstaat in die EU einreisen. Auch reagieren andere EU-Staaten nur zögerlich auf die Aufforderung der Europäischen Kommission, in Malta anerkannte Flüchtlinge aufzunehmen. So konnten zwischen den Jahren 2010 und 2011 nur 228 Migranten in andere EU-Staaten ausreisen. Sowohl die EU-Politik als auch die große Zahl von Flüchtlingen aus Nordafrika setzen das maltesische Einwanderungssystem zweifellos unter Druck. Dennoch ist es weder notwendig noch gerechtfertigt, alle irregulären Migranten pauschal zu inhaftieren.

Im Juli 2010 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt, dass die maltesische Migrationshaft willkürlich ist und dass angemessene Verfahren fehlen, um die Haft anzufechten. Somit verletzt Malta seine Verpflichtungen aus der Europäischen Menschenrechtskonvention. Malta behauptete, dass diese Entscheidung ausschließlich für den Beschwerdeführer, Khaled Louled Massoud, gelte. Dieser Standpunkt wurde vom Menschenrechtskommissar des Europarats zurückgewiesen.

Human Rights Watch fordert die maltesische Regierung zu folgenden Maßnahmen auf:

  • Migranten sollen nur unter außergewöhnlichen Umständen inhaftiert, die Haftdauer individuell festgelegt und Verfahren eingeführen werden, durch welche die Inhaftierung angefochten werden kann.
  • Wenn sich Flüchtlinge als Kinder bezeichnen, sollen sie als solche behandelt und nicht inhaftiert werden, bis ihr Alter festgestellt wurde.
  • Das Vorgehen bei der Inhaftierung von Migranten soll mit den Standards des Europarats und der Europäischen Menschenrechtskonvention übereinstimmen. Insbesondere soll die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Louled Massoud v. Malta, nach der die Migrationshaft in Malta willkürlich ist und die Europäische Menschenrechtskonvention verletzt, vollständig, effektiv und unverzüglich umgesetzt werden.

Darüber hinaus fordert Human Rights Watch die EU erneut dazu auf, die Dublin-II-Verordnung zu reformieren und Migranten gleichmäßiger auf ihre Mitgliedstaaten zu verteilen.

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