(Jakarta, 12. Dezember 2010) - Die Einwanderungspolitik und Schutzlücken vieler Regierungen setzen Migranten Misshandlungen aus, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichtem Bericht im Vorfeld des Internationalen Tages der Migranten am 18. Dezember 2010. Die Misshandlungen schließen Arbeiterausbeutung, Gewalt, Menschenhandel, Misshandlungen in Haft und Ermordungen ein, dennoch machen die betroffenen Nationen kaum Anstalten, Gerechtigkeit herzustellen, sagt Human Rights Watch.
Die 48-seitige Zusammenfassung der Human Rights Watch-Berichterstattung über Verletzungen von Rechten von Migranten in 2010, „Rights on the Line: Human Rights Watch Work on Abuses against Migrants in 2010", umfasst Berichte aus Afrika, Asien, Europa, dem Nahen Osten und den USA.
„Migranten gehören zu den am stärksten gefährdeten Personen, aber auch zu denen, die am seltensten Zugang zu Dienstleistungen oder Gerichtsverfahren haben", so Nisha Varia, Expertin für Frauenrechte bei Human Rights Watch. „Viele Regierungen verschlimmern die Situation mit Maßnahmen, die Diskriminierung verschärfen oder es für Migranten noch schwerer machen, Hilfe von Behörden zu erhalten."
Laut der UNO leben mehr als 215 Millionen Menschen außerhalb ihres Geburtslandes. Die internationale Migration trägt überall auf der Welt zum Wirtschaftswachstum bei. Die Weltbank schätzt, dass Migranten 2010 mehr als 440 Milliarden US$ nach Hause geschickt haben, von denen 325 Milliarden in Entwicklungsländer gingen.
Viele Länder sind auf Migranten angewiesen, um einen Mangel an Arbeitskräften in niedrig bezahlten, gefährlichen und schlecht angesehenen Sektoren auszugleichen. Human Rights Watch dokumentiert Arbeiterausbeutung und Schwierigkeiten beim Zugang zu Wiedergutmachung in der Landwirtschaft, in der Hausarbeit und im Baugewerbe in Indonesien, Malaysia, Kasachstan, Kuwait, Libanon, Saudi-Arabien, Thailand, den Vereinigten Arabischen Emiraten und den USA. In vielen Ländern verleihen Systeme zur Förderung der Immigration Arbeitgebern immense Macht über die Arbeitnehmer, so dass Migranten in Missbrauchssituationen gefangen oder nicht in der Lage sind, auf dem Rechtsweg Wiedergutmachung zu erlangen.
„Einige Regierung haben Maßnahmen gegen den Missbrauch von migrantischen Arbeitnehmern ergriffen, etwa durch die Stärkung von Arbeitsverträgen und durch neue Vorschriften im Arbeitsrecht", so Varia. „Aber diese Reformen gehen langsam voran, und Regierungen gelingt oft nicht, sicherzustellen, dass Migranten von diesen Änderungen wissen und profitieren."
Human Rights Watch stellt außerdem fest, dass Männer, Frauen und Kinder ihre Leben riskieren, wenn sie versuchen, Grenzen zu überqueren. Es besteht die Gefahr, dass sie im Niemandsland zwischen zwei Checkpoints Misshandlungen erleiden, auf Hoher See oder in den internationalen Bereichen von Flughäfen. Etwa erschossen ägyptische Grenzwächter 2010 mindestens 28 Migranten, die versuchten, über die Grenze auf Sinai nach Israel zu gelangen. Human Rights Watch-Untersuchungen in Italien, Libyen, Ungarn, der Slowakei, der Ukraine, Griechenland, Spanien und der Europäischen Union dokumentieren, dass Grenzpolizisten internationale Standards verletzen, die Identität von Migranten nicht überprüfen, verletzlichen Gruppen wie unbegleiteten Kindern, Asylsuchenden oder Opfern von Menschenhandel keine angemessene Behandlung zukommen lassen, oder Migranten armseligen Bedingungen in der Verwahrung aussetzen.
Migranten, die, manchmal ohne Grund, in Gefängnissen festgehalten werden, erleben möglicherweise Diskriminierung und sind mit schlechteren Bedingungen oder schlechterem Zugang zu medizinischer Versorgung als Gefängnisinsassen ohne Migrationshintergrund. Beispielsweise stellt Human Rights Watch fest, dass einige äthiopischen Insassen in Malawi gezwungen wurden, 16 Stunden am Tag in einer überfüllten Zelle zu stehen. In Zambia hatten Immigrationshäftlinge, die von Human Rights Watch interviewt wurden, häufig keinen Verwaltungsbeamten oder Richter gesehen und wurden seltener als andere Häftlinge auf Tuberkulose (TB) oder HIV getestet. Dies stellt ein ernsthaftes Problem dar, weil die TB-Raten in Zambias Gefängnissen mehr als zehnmal höher sind als in der Gesamtbevölkerung.
"Egal, ob Männer, Frauen und Kinder Grenzen auf angemessenen Wege überqueren oder nicht, sie sollten dabei nicht sterben", sagt Varia. „Regierungen sollten sich für Grenzkontroll- und Überprüfungsstrategien schämen, die zu Misshandlungen oder dem Tod von Migranten führen können, und die gerade diejenigen im Stich lassen, die Hilfe am dringendsten nötig haben, insbesondere unbegleitete Kinder, Opfer von Menschenhandel und Flüchtlinge."
In den USA sind hunderttausende Menschen monate-, manchmal jahrelang in Haft, weil sie gegen Einwanderungsrichtlinien verstoßen haben. Weil sie kein Recht auf einen Pflichtverteidiger haben, durchlaufen annähernd 60 Prozent der Migrationshäftlinge alle Gerichtsanhörungen ohne einen Anwalt. Human Rights Watch stellt fest, dass Immigranten mit psychischen Beeinträchtigungen ohne einen Anwalt ihre Recht oft nicht verteidigen können. Manche werden jahrelang ohne Rechtfertigung inhaftiert.
Migranten sind weiterhin vagen Einwanderungsbestimmungen ausgesetzt, die Individuen gefährden. Südafrika kündigte 2010 an, Abschiebungen nach Simbabwe wieder aufzunehmen. Dies weckt die Befürchtung, dass Massenabschiebungen die Rechte von Asylsuchenden verletzen werden. Frankreich startete eine öffentliche Kampagne, um unauthorisierte Roma-Siedlungen aufzulösen und umherziehende Roma - die in der Mehrheit EU-Bürger sind - in ihre Herkunftsländer abzuschieben.
Rassismus und xenophobe Gewalt gegen Migranten sind Probleme, die Regierungen nicht nur langsam angehen, sondern manchmal sogar durch diskriminierende Politik verschärfen. So befeuern in Italien ein politischer Diskurs und Maßnahmen, die Migranten mit Verbrechen verknüpfen, eine Atmosphäre der Intoleranz, stellt Human Rights Watch fest.
Inadäquater nationaler und internationaler Schutz tragen zu Bedingungen bei, die Menschenhandel ermöglichen. 2010 untersuchte Human Rights Watch Menschenhandel von Jungen in Senegal, die zum Betteln gezwungen werden, Menschenhandel im Zusammenhang mit Zwangsprostitution in der Elfenbeinküste, und Menschenhandel im Zusammenhang mit erzwungener Haussklaverei (forced domestic servitude) in Kuwait und Saudi-Arabien.
"Die Liste der Misshandlungen von Migranten im Jahr 2010 ist lang und düster", sagt Varia. „Die Regierungen müssen unverzüglich Reformen in die Wege leiten, um ein weiteres Jahr voller Misshandlungen und Ungerechtigkeiten zu verhindern."
Human Rights Watch fordert die Regierungen auf, sich 2011 auf die Verbesserung des Schutzes von Migranten zu konzentrieren, einschließlich der Ratifikation der Internationalen Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeiter und ihrer Familienangehörigen. Human Rights Watch hält die Regierungen auch dazu an:
- Sicherzustellen, dass Einwanderungs- und Arbeitspolitik so gestaltet wird, dass sie dokumentierte Migration erleichtert und diejenigen, die keine vollständigen Dokumente besitzen, nicht unverhältnismäßig bestraft;
- Das Arbeitsrecht zu reformieren, um den Arbeitnehmerschutz auf schlecht regulierte Arbeitsverhältnisse auszuweiten, in denen sich mehrheitlich Migranten befinden, einschließlich Hausarbeit und Landwirtschaft;
- Effektive Überwachungs- und Beschwerdemechanismen einzurichten, einschließlich der erforderlichen Übersetzungsdienste, Beschwerden über Misshandlungen rigoros und unabhängig vom Migrationshintergrund des Einzelnen zu untersuchen, und Schritte zu unternehmen, um Arbeitsstreitigkeiten und Strafverfahren in einem angemessenen Zeitraum abzuschließen;
- Rechtsverbindliche Standards einzurichten, die Haftbedingungen regulieren, einschließlich des Zugangs zu medizinischer Versorgung, und die Aufsichtsstellen zu stärken, um Misshandlungen vorzubeugen und auf sie zu reagieren;
- Unabhängige Untersuchungen der Ausweisungspolitik durchzuführen und sicherzustellen, dass diejenigen, die zwangsweise abgeschoben werden, über ein Beschwerderecht verfügen, das auf Einzelfallprüfung beruht und nicht auf Grund der ethnischen oder nationalen Zugehörigkeit diskriminiert;
- Umfassende nationale Strategien zu entwickeln und internationale Kooperation zu stärken, um Menschenhandel zu bekämpfen, einschließlich Zugang zu Dienstleistungen und Rehabilitation für Überlebende.
Länderspezifische Beispiele der Human Rights Watch-Berichterstattung über Migranten 2010
- Ägypten und Israel - Ägyptische Grenzwächter erschossen mindestens 28 Migranten bei dem Versuch, die Grenze auf Sinai nach Israel zu überqueren. Migranten und Flüchtlinge, die zwangsweise von Israel nach Ägypten abgeschoben werden, drohen willkürliche Verhaftung und Internierung, sowie unfaire Verfahren vor Militärgerichten.
- Frankreich - Frankreich begann eine öffentliche Kampagne gegen Roma aus Osteuropa, in deren Zuge Zwangsräumungen von unauthorisierten Roma-Siedlungen stattfinden, und Roma, die in der Mehrzahl EU-Bürger sind, in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden.
- Griechenland und die Europäische Union - Andere Mitgliedsstaaten der EU stellten 10.000 Anfragen zur Abschiebung von Migranten und Asylsuchenden nach Griechenland, ihrem Eingangsland in die EU. Aber in Griechenland werden Migranten und Asylsuchende unter unterdurchschnittlichen Bedingungen inhaftiert, wo es kaum oder keine Unterstützung für unbegleitete Kinder oder andere verletzliche Gruppen gibt.
- Ungarn, Slowakei und Ukraine - Migranten, einschließlich Asylsuchenden und unbegleiteten Kindern, die von Ungarn und der Slowakei in die Ukraine, einem anderen Eingangsland in die EU, abgeschoben werden, erleiden oft ernsthafte Misshandlungen, während sie sich in der Untersuchungshaft des ukrainischen Grenzschutzes befinden.
- Indonesien und Malaysia - Den Regierungen gelang nicht, sich auf eine Verbesserung des Schutzes von indonesischen Hausangestellten in Malaysia zu einigen, weil Gespräche an Fragen nach einem Mindestlohn und einer Regulierung von Anwerbegebühren scheiterten.
- Italien und Libyen - Bootmigranten, mehrheitlich aus Sub-Sahara Afrika, wird von der lybischen Küstenwache verboten, auf von Italien gestifteten und mit italienischem Personal an Bord zu reisen. Es finden Massenabschiebungen nach Libyen ohne angemessene Überprüfung der Schutzbedürftigkeit statt. In Libyen erleiden die Migranten häufig unmenschliche und erniedrigende Haftbedingungen.
- Kasachstan - Viele Wanderarbeiter aus Kirgisistan erleiden, häufig zusammen mit ihren Kindern, Misshandlungen durch Besitzer von Tabakfarmen in Kasachstan, die sie als Saisonarbeiter beschäftigen. Diese Farmbesitzer haben Verträge mit und liefern Tabak an Philip Morris Kazakhstan (PMK), einem Tochterunternehmen von Philip Morris International (PMI), einem der weltweit größten Tabakunternehmen. PMI und PMK haben umfassende Reformen versprochen, um diesen Misshandlungen zu begegnen.
- Kuwait - Das Land beherbergt mehr als 660.000 Hausangestellte mit Migrationshintergrund aus Asien und Ostafrika. Die Restriktionen bedingt durch das System zur Einwanderungsförderung und der Ausschluss dieser Arbeitnehmer vom Schutz durch das kuwaitische Arbeitsrecht nimmt ihnen den Mut, missbräuchliche Arbeitsverhältnisse zu verlassen, während denjenigen, die „ohne Erlaubnis" kündigen, Strafverfolgung droht.
- Libanon - Eine Untersuchung von 114 libanesischen Gerichtsentscheidungen, die Hausangestellte mit Migrationshintergrund betrafen, kam zu dem Ergebnis, dass das Fehlen zugänglicher Beschwerdemechanismen, langwierige Gerichtsverfahren und eine restriktive Visapolitik verhindern, dass Arbeiter Beschwerde über Missbräuche einlegen, oder dass sie Wiedergutmachungen erhalten, wenn sie Beschwerde einlegen.
- Malawi - In Malawi werden 230 äthiopische Häftlinge nach Gerichtsverfahren ohne Übersetzer in Gefängnissen eingekerkert. Ohne die Möglichkeit, Gesundheitsprobleme zu melden, weil sie die Sprache der Beamten nicht sprechen, befinden sich einige dieser Häftlinge in deutlich schlechteren Haftbedingungen als andere Insasssen.
- Saudi-Arabien - Viele Hausangestellte mit Migrationshintergrund sind erst nach ihrer Rückkehr in ihre Heimatländer in der Lage, Beschwerden über massive körperliche Misshandlungen zu formulieren, weil sie weiterhin keinen Zugang zu den Beschwerdemechanismen in Saudi-Arabien haben.
- Senegal und Guinea-Bissau - Mindestens 50.000 Jungen leben unter Bedingungen, die einer modernen Form der Sklaverei gleichkommen. Nachdem sie von ihren Eltern auf Koran-Internate geschickt werden, werden viele von den Männern, die diese Schulen leiten, dazu gezwungen, bis zu 10 Stunden täglich zu betteln.
- Südafrika - Seit 2005 sind bis zu 3 Millionen Simbabwer vor politischer Verfolgung und wirtschaftlichem Zusammenbruch nach Südafrika geflohen, das ihnen zeitlich begrenzt besonderen Schutz anbot. 2010 gab Südafrika bekannt, Abschiebungen nach Simbabwe wieder aufzunehmen, was die Befürchtung weckt, dass Massenabschiebungen zur Verletzung der Rechte Asylsuchender führen werden.
- Spanien - Die Entscheidung der Regierung der kanarischen Inseln, 200 unbegleitete Kinder mit Migrationshintergrund in Notunterkünften unterzubringen, die nicht den normalen Fürsorgeregulierungen unterliegen, gefährdet diese Kinder und bedroht ihr Wohlergehen.
- Thailand - Wanderarbeiter berichten von Misshandlungen einschließlich Folter in Gefängnissen, Erpressung, sexuellem Missbrauch, Menschenhandel, Zwangsarbeit, Restriktionen von Versammlungen, gewaltsamen Vergeltungsmaßnahmen gegen diejenigen, die sich beschweren, und sogar Todesfällen. Die örtliche Polizei und Behörden ignorieren Beschwerden oft, oder untersuchen diese nicht effektiv.
- Vereinigte Arabische Emirate - Die Universität von New York (NYU), die Guggenheim Foundation und ihre Regierungspartner kündigten neue, vertragliche Absicherungen für Arbeiter an, die zum Bau eines NYU-Campussen und einer Zweigstelle der Guggenheim Foundation auf der Saadiyat-Insel in Abu Dhabi angestellt sind. Jedoch fehlen diesen Maßnahmen Vorschriften für ihre Durchsetzung oder für ihre unabhängige Überwachung.
- USA - Das Arbeitsrecht der USA versäumt, Kinder, die in der Landwirtschaft arbeiten, im gleichen Umfang zu schützen als alle anderen in der USA arbeitenden Kinder, wodurch diese Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind, die ihre Gesundheit, Sicherheit und Bildung gefährden.
- Sambia - Migrationshäftlinge werden in Sambia für lange Zeit festgehalten, manchmal in lebensgefährlichen Bedingungen. Nur 38 Prozent derjenigen, die von Human Rights Watch und Partnerorganisationen interviewt wurden, wurden jemals vor ein Gericht gestellt oder von einer Verwaltungsbehörde vernommen.