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DR Kongo: Anhörung des IStGH könnte erstes Verfahren ermöglichen

Zusätzliche Anklagepunkte müssen aufgenommen und weitere Täter verfolgt werden

(Den Haag) - Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) soll zusätzliche Anklagepunkte gegen den kongolesischen Rebellenführer Thomas Lubanga aufgreifen. Auch sollen weitere Verantwortliche für Gräueltaten in der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo) strafrechtlich verfolgt werden.  
 
Thomas Lubanga Dyilo befindet sich seit dem 17. März im Gewahrsam des IStGH. Er ist der ehemalige Anführer der „Union Kongolesischer Patrioten" (UPC), einer bewaffneten Rebellengruppe, die für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Region Ituri im Nordosten der DR Kongo verantwortlich ist. Der IStGH wirft ihm vor, Kinder als Soldaten rekrutiert, zwangsverpflichtet und sie im Konflikt in der Region Ituri eingesetzt zu haben. Am 9. November beginnt vor dem Gericht in Den Haag eine entscheidende Anhörung zu der Frage, ob genügend Beweise vorliegen, um gegen Lubanga das erste Strafverfahren vor dem IStGH einzuleiten.  
 
„Dass die Anhörung diese bedeutenden Anschuldigungen bestätigt, ist ein Meilenstein für die Opfer", sagte Géraldine Mattioli, Expertin für Internationales Recht bei Human Rights Watch. „Doch diese Anklagepunkte sind nur der Anfang der Auseinandersetzung mit den entsetzlichen Verbrechen der UPC. Wenn der IStGH die Beendigung der Straflosigkeit in Ituri beeinflussen soll, muss die Anklage zusätzliche Punkte gegen Lubanga vorbringen und weitere Verantwortliche für die Gräueltaten ins Visier nehmen."  
 
Unter Lubangas Führung beging die UPC in Ituri zahlreiche andere Verbrechen, wie Mord, Folter, Vergewaltigung und Verstümmelung. Laut der UN wurden in Ituri seit Beginn des Konflikts mehr als 60 000 Zivilisten von bewaffneten Gruppen ermordet.  
 
Andere Gruppen wie die „Front der Nationalisten und Integrationisten" (FNI), eine von Floribert Njabu angeführte Miliz der Volksgruppe der Lendu, haben ebenfalls schwere Menschenrechtsverletzungen zu verantworten. Human Rights Watch fordert den Ankläger des IStGH auf, Ermittlungen gegen kongolesische, ugandische und ruandische Amtsträger einzuleiten, die in grenzübergreifende Verbrechen in Ituri verwickelt sind.  
 
In der Anhörung soll nicht über Thomas Lubangas Schuld oder Unschuld befunden werden. Sie findet vielmehr vor dem eigentlichen Prozess statt, bei dem die Anklage dem Gericht genügend Beweise zur Einleitung eines Strafverfahrens vorlegen muss. Während der Anhörung kann Lubanga mit Hilfe seines Anwalts Einspruch gegen die Anklagepunkte einlegen oder Beweismittel der Anklage anfechten.  
 
Vier Opfer werden mit ihren Anwälten als unabhängige Parteien auftreten und dem Gericht ihre Position unterbreiten. Sie können jedoch in keiner Weise Lubangas Recht auf ein faires Verfahren beeinträchtigen oder verletzten.  
 
„Dies ist das erste Mal, dass Opfer in einem internationalen Strafprozess angehört werden, ihre Interessen selbst vertreten und nicht nur als Zeugen auftreten", so Mattioli. „Es ist äußerst wichtig, dass der IStGH die Menschen in der DR Kongo über diese und andere wichtige Entwicklungen in Den Haag auf dem Laufenden hält."  
 
Human Rights Watch hat den IStGH aufgefordert, Informationen über die Anhörung auch in der DR Kongo zu verbreiten. Es sollte eine Pressekonferenz in Den Haag stattfinden und diese live in die DR Kongo übertragen werden. Das Gericht sollte nach der Anhörung auch einfach zugängliche und verständliche Audio- oder Videomaterialien oder eine schriftliche Zusammenfassung der Anhörung zur Verfügung stellen.  
 
Hintergrund  
Ituri ist eines der am schwersten von den verheerenden Kriegen im Kongo betroffenen Gebiete. Dort hat sich ein Regionalkonflikt zwischen den Volksgruppen der Hema und Lendu, der 1999 ausgebrochen war, durch das Eingreifen des ugandischen Militärs zugespitzt. Er wurde zusätzlich durch den noch weiter reichenden internationalen Konflikt in der DR Kongo verschärft.  
 
In den letzten fünf Jahren hat Human Rights Watch hunderte Zeugenaussagen gesammelt, die weit verbreitete Menschenrechtsverletzungen in Ituri durch die UPC dokumentieren. Überlebende haben gegenüber Human Rights Watch berichtet, wie die von den Hema dominierte Miliz UPC ethnische Massaker, Morde, Folter, Vergewaltigungen und Verstümmelungen verübt und Kindersoldaten rekrutiert hat. So haben UPC-Kämpfer im November 2002 und Juni 2003 im Goldbergbaugebiet Mongbwalu unter der Führung Lubangas mindestens 800 Zivilisten aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit ermordet.  
 
Schwere Menschenrechtsverletzungen wurden auch von anderen Gruppen wie der FNI verübt, einer der UPC verfeindeten Lendu-Miliz unter der Führung von Floribert Njabu. Im März 2003 griff die FNI beispielsweise die Stadt Kilo in der Region Ituri an und tötete mindestens 100 Zivilisten, hauptsächlich Frauen und Kinder. Sie wurden beschuldigt, die Hema zu unterstützen.  
 
Die Konflikte in Ituri und anderen Gebieten im Osten der DR Kongo zeichnen sich durch die Beteiligung nicht-kongolesischer Truppen aus. Besonders Ituri ist zum Schlachtfeld im Krieg zwischen Uganda, Ruanda und der DR Kongo geworden. Die Regierungen dieser Länder unterstützen kongolesische Milizen politisch und militärisch, trotz erdrückender Beweise für deren weit verbreitete Verletzungen internationalen Rechts.  
 
Im April 2004 übergab die kongolesische Übergangsregierung die strafrechtliche Verantwortung für die Verbrechen, die im Land verübt wurden, an den IStGH. Am 23. Juni 2004 verkündete die Anklage, dass das Gericht mit seinen Ermittlungen in der DR Kongo beginne.  
 
Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag besitzt breite internationale Unterstützung. 102 Länder haben derzeit das Statut von Rom zur Einrichtung des IStGH ratifiziert und nahezu 130 Staaten haben den Vertrag von Rom unterzeichnet.

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