In Kürze trifft Bundeskanzler Olaf Scholz in China Xi Jinping, der sich gerade eine dritte Amtszeit als Vorsitzender der Kommunistischen Partei Chinas gesichert hat. Scholz wird der erste demokratische Regierungschef sein, der seit dem 20. Parteitag und dem Beginn der Corona-Pandemie einen solchen Besuch unternimmt. Die Reise folgt außerdem der Veröffentlichung des UN-Berichts über mutmaßliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Xinjiang durch Xis Regierung, den die damalige Menschenrechtsbeauftragte der Vereinten Nationen in Auftrag gegeben hatte.
Scholz‘ Außenministerin Annalena Baerbock und andere hochrangige Beamte haben eine härtere Gangart in den bilateralen Beziehungen mit der chinesischen Regierung angekündigt und erklärt, dass Deutschlands Chinastrategie einen stärkeren Schwerpunkt auf Werte und Menschenrechte legen wird.
Anfang Oktober stimmte Deutschland für einen Antrag auf eine Debatte im UN-Menschenrechtsrat über die im UN-Bericht festgehaltenen Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang.
Und erst vor wenigen Tagen äußerte sich Baerbock besorgt über die chinesische Beteiligung am Hamburger Hafen: „Wir müssen uns bei jeder Investition in deutsche kritische Infrastruktur fragen, was das in jenem Moment bedeuten könnte, in dem sich China gegen uns als Demokratie und Wertegemeinschaft stellen würde.“
Der Besuch des Bundeskanzlers inmitten dieser grundlegend veränderten diplomatischen und politischen Lage sollte der Öffentlichkeit sehr deutlich vor Augen führen, ob sich die deutsche China-Politik wirklich von der bisherigen unterscheidet. Diese Strategie soll Scholz mit drei Schritten untermauern.
Vermisst, verschwunden, willkürlich verhaftet
Schon im Vorfeld des Besuchs können Scholz und Baerbock ihr Engagement für eine neue Ära unter Beweis stellen, indem sie in Berlin die treffen, die am stärksten unter Chinas Politik leiden: Betroffene von Menschenrechtsverletzungen durch die chinesische Regierung, einschließlich derjenigen, die noch Familienangehörige in China haben.
Ihre Ansichten sollten sich anschließend in der neuen Strategie und den Prioritäten des China-Besuchs wiederfinden. Für die Delegation sollten darüber hinaus auch Listen von Angehörigen deutscher Staatsbürger*innen und von Personen mit ständigem Wohnsitz in China erstellt werden, die vermisst werden, verschwunden sind oder willkürlich verhaftet wurden, um bei Xi ausdrücklich ihre Freilassung zu fordern. Nicht zuletzt sollte die Delegation auch Gespräche mit unabhängigen Aktivist*innen in China führen.
Deutsche Regierungsvertreter*innen haben angedeutet, dass sie den Bedrohungen für die internationale, regelbasierte Ordnung in den Gesprächen mit Xi Priorität einräumen wollen. Dies bezieht sich zwar in erster Linie auf Chinas Unterstützung für Russlands Invasion in der Ukraine, sollte aber auch Chinas Angriff auf das internationale Menschenrechtssystem einschließen.
Scholz sollte Xi zu verstehen geben, dass sich Deutschland für eine vom Menschenrechtsrat geleitete Untersuchung von Pekings Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen Uigur*innen und andere turksprachige Gruppen einsetzen wird und dass deutsche Justizbehörden Voruntersuchungen zu in China verübten Verbrechen gegen die Menschlichkeit einleiten könnten.
Außerdem sollte er Xi öffentlich dazu auffordern, die unablässige Unterdrückung friedlicher Aktivist*innen in ganz China, die anhaltenden Menschenrechtsverstöße in Tibet und Hongkong sowie den Angriff auf das UN-Menschenrechtssystem sofort einzustellen.
Die deutsche Wirtschaft wird bei dem Besuch eine wichtige Rolle spielen. Ausländische Unternehmen sind bei früheren Gelegenheiten ins Visier des von der chinesischen Regierung geschürten Grolls nationalistischer Kräfte geraten – zum Teil, weil sie sich öffentlich besorgt über Menschenrechtsverletzungen in China zeigten.
Glaubwürdige Berichte über Zwangsarbeit in Xinjiang und anderen Teilen des Landes sowie die wirtschaftliche Mitschuld staatlicher Akteure an Menschenrechtsverletzungen haben neue Gesetze und Sanktionen für wirtschaftliche Aktivitäten hervorgebracht. Hongkongs drakonisches Nationales Sicherheitsgesetz und andere Angriffe auf die Menschenrechte schaffen neue Risiken für Wirtschaftsunternehmen.
Unternehmen, deren Vertreter*innen Scholz auf seiner Delegation begleiten, sollten im Vorfeld erklären, dass sie sich um die Menschenrechte in China sorgen, Zwangsarbeit in ihren Lieferketten ein Ende setzen werden und inwiefern sie den Besuch dazu nutzen werden, diese Bemühungen voranzutreiben.
Menschenrechte sind keine interne Angelegenheit
Ende Mai kritisierte das Auswärtige Amt die chinesischen Beschränkungen beim Besuch der damaligen UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, mit der Begründung: „Menschenrechte sind keine interne Angelegenheit von Staaten.“
Die chinesische Regierung wird Scholz und andere hochrangige Regierungsvertreter*innen zweifelsohne dazu drängen, das Thema Menschenrechte bei diesem ersten Besuch nach dem Parteitag herunterzuspielen – Pekings Standardmethode bei Gesprächen mit Demokratien. Ein Grund mehr für Scholz, bei seinem Besuch in Peking die neue Stoßrichtung seiner Regierung offenzulegen.