(New York) – Drei afghanische Frauen, die inhaftiert wurden, weil sie gegen Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban demonstriert hatten, haben von Folter und anderen schweren Misshandlungen in Haft berichtet.
Die Frauen sagten, sie seien zu Unrecht mit ihren Familien, darunter auch kleine Kinder, inhaftiert worden. Sie waren Drohungen, Schlägen, prekären Haftbedingungen, der Verweigerung eines ordentlichen Verfahrens, unrechtmäßigen Bedingungen für ihre Freilassung und anderen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Die Behörden griffen inhaftierte männliche Verwandte an und malträtierten sie mit Elektroschocks. Die Schilderungen der Frauen beleuchten die Behandlung von weiblichen Demonstrierenden in Haft durch die Taliban und die Bemühungen der Taliban, die Protestbewegung zum Schweigen zu bringen.
“Die unglaubliche Tapferkeit dieser und anderer afghanischer Frauen, die gegen die Übergriffe der Taliban protestieren, kann gar nicht hoch genug geschätzt werden”, sagte Heather Barr, stellvertretende Direktorin für Frauenrechte bei Human Rights Watch. “Die Geschichten dieser Frauen zeigen, wie sehr sich die Taliban durch ihre Aktivitäten bedroht fühlen und wie brutal die Taliban versuchen, diese Menschen zum Schweigen zu bringen.”
Die Taliban hatten die drei Frauen bei einer Razzia in einer Schutzunterkunft in Kabul im Februar 2022 willkürlich verhaftet. Die Taliban-Behörden hielten sie und ihre Familienangehörigen mehrere Wochen lang im Innenministerium fest, offenbar als Vergeltung dafür, dass sie Proteste für Frauenrechte mit vorbereitet und an ihnen teilgenommen hatten. Nach ihrer Freilassung konnten sie aus dem Land fliehen.
Nachdem die Taliban am 15. August 2021 die Kontrolle über Afghanistan übernommen hatten, begannen sie sofort mit dem Abbau der Rechte von Frauen und Mädchen. Seit der ersten Woche der Machtübernahme durch die Taliban protestieren Frauen auf der Straße, obwohl sie sich dabei großen Gefahren aussetzten. Anfang September fanden in der Provinz Herat, im Westen Afghanistans, von Frauen angeführte Proteste statt, die sich schnell auf mehrere Provinzen ausweiteten.
Die Taliban gingen von Anfang an brutal vor, verprügelten Demonstrierende, störten die Proteste und verhafteten und folterten Journalist*innen, die über die Demonstrationen berichteten. Die Taliban untersagten zudem nicht offiziell genehmigte Proteste. Im Laufe der Zeit eskalierten die menschenrechtsverletzenden Reaktionen der Taliban. Besonders brutal war die Reaktion auf eine Demonstration am 16. Januar in Kabul, als Taliban-Mitglieder die Demonstrierenden mit Pfefferspray und Elektroschockgeräten bedrohten, einschüchterten und körperlich angriffen,
Tage später begannen die Taliban mit Razzien, um Frauen, die an Protesten teilgenommen hatten, willkürlich festzunehmen. Die Washington Post dokumentierte die Verhaftung von 24 Frauenrechtsaktivistinnen durch die Taliban, von denen einige mit ihren Familien im Januar und Februar festgenommen wurden.
Tamana Paryani, eine der ersten Demonstrierenden, die unter der Taliban-Herrschaft willkürlich inhaftiert wurden, filmte sich selbst, als die Taliban nachts in ihre Wohnung eindrangen und nach ihr suchten. Sie postete das Video anschließend schnell in sozialen Netzwerken. Die befragten Frauen sagten, dass Paryanis Entführung andere Demonstrierende in Angst und Schrecken versetzte und viele dazu veranlasste, sich zu verstecken.
“Ich kannte sie nicht gut, aber ich bekam Angst”, sagte eine Frau und bezog sich dabei auf Paryani und eine andere Frau, die in dieser Nacht verhaftet wurden. “Ich bin nachts aufgewacht und mein ganzer Körper hat gezittert.... Wir hatten solche Angst. Wir wussten, dass man uns verhaften würde.” Eine andere Frau sagte, dass Familie und Freunde sie immer wieder drängten, aus dem Land zu fliehen, aber sie weigerte sich: “Ich wollte bleiben und kämpfen.”
Die drei Frauen schilderten, dass sie zunächst fünf Tage lang mit insgesamt 21 Frauen und sieben Kindern in einem einzigen engen und überhitzten Raum festgehalten wurden, in dem es so gut wie keine Nahrung, kein Wasser und keine Toiletten gab. Die Taliban hielten sie mehrere Wochen lang fest und verhörten sie unter Missachtung der Menschenrechte, ohne ihnen Zugang zu einem Rechtsbeistand oder andere Rechte zu gewähren. Sie erzwangen Geständnisse und folterten die Männer brutal.
Die Taliban zwangen die Familien der drei Frauen, als Preis für ihre Freilassung die Originalurkunden für ihr Eigentum auszuhändigen. Sie drohten damit, das Eigentum zu konfiszieren, sollten die Frauen erneut auffällig werden.
Die Taliban sollten unverzüglich alle Personen freilassen, die nur inhaftiert wurden, weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und friedlichen Protest wahrgenommen haben. Sie sollten das Recht auf friedliche Versammlung und freie Meinungsäußerung für alle respektieren, auch für Journalist*innen, die über Proteste berichten. Sie sollten alle willkürlichen Inhaftierungen beenden und ordnungsgemäße Verfahren gewährleisten. Das schließt die unverzügliche Anklageerhebung gegen inhaftierte Verdächtige vor einem unabhängigen Gericht und den sofortigen Zugang zu einem Rechtsbeistand ein.
Die Taliban sollten rechtmäßig inhaftierte Personen in Übereinstimmung mit den UN-Mindestgrundsätzen für die Behandlung von Gefangenen festhalten. Alle Fälle von Folter und anderen Misshandlungen sollten unparteiisch untersucht und die Verantwortlichen angemessen strafrechtlich verfolgt werden.
Regierungen, die mit den Taliban verhandeln, sollten darauf drängen, dass diese die völkerrechtlichen Verpflichtungen Afghanistans einhalten, darunter die Achtung der Rede- und Versammlungsfreiheit, die Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Verfahrens und die Verhinderung von Folter und anderen Misshandlungen. Sie sollten mehr Umsiedlungsmöglichkeiten für Geflüchtete in Afghanistan schaffen und hierbei der Neuansiedlung von Frauenrechtsverteidiger*innen, die aufgrund ihres anhaltenden Engagements besonders gefährdet sind, Priorität einräumen.
Die Regierungen sollten außerdem ausreichend zusätzliche Möglichkeiten für eine sichere, legale und geordnete Migration schaffen und beibehalten. Die Vereinten Nationen und die betroffenen Regierungen sollten die Bemühungen um eine Rechenschaftspflicht für Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan, einschließlich der Angriffe auf Frauenrechtsaktivist*innen, vorantreiben. Beispielsweise indem sie einen neuen, von den Vereinten Nationen mandatierten Rechenschaftsmechanismus einrichten, um Verstöße zu untersuchen und entsprechende Beweise zu sammeln.
“Afghanische Frauen und Mädchen haben einige der härtesten Folgen der Taliban-Herrschaft zu spüren bekommen, und sie haben den schwierigen Kampf um den Schutz der Rechte in Afghanistan angeführt”, sagte Barr. “Leider wurden ihre Bitten an die internationale Gemeinschaft, ihnen beizustehen, bislang nicht erhört.”