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Katar: Sicherheitskräfte verhaften und misshandeln LGBT-Personen

Diskriminierung und Misshandlung von Gefangenen, Verletzung der Privatsphäre, Konversionsbehandlungen

© 2022/Christian Charisius/picture-alliance/dpa/AP Images.

(Beirut) – Mitglieder der Abteilung für präventive Sicherheit des Innenministeriums von Katar haben willkürlich Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender-Personen (LGBT) verhaftet und sie in Polizeigewahrsam misshandelt, so Human Rights Watch. Die befragten LGBT-Personen gaben an, dass es erst vor Kurzem (im September 2022) zu den Misshandlungen kam – als sich Katar auf die Ausrichtung der Fußball-WM der Männer 2022 im November vorbereitete und die Regierung wegen ihrer Behandlung von LGBT-Personen stark in die Kritik geriet.

Human Rights Watch hat sechs Fälle von wiederholten heftigen Schlägen und fünf Fälle von sexueller Belästigung in Polizeigewahrsam zwischen 2019 und 2022 dokumentiert. Sicherheitskräfte verhafteten Menschen an öffentlichen Orten allein aufgrund des Ausdrucks ihres Geschlechts und durchsuchten rechtswidrig ihre Telefone. Die Sicherheitskräfte stellten den inhaftierten Transfrauen eine Freilassung nur unter der Bedingung in Aussicht, dass sie sich bereit erklärten, sich in einem von der Regierung geförderten „Zentren zur Verhaltensänderung“ einer Konversationstherapie zu unterziehen.

„Während Katar sich auf die Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft vorbereitet, verhaften und misshandeln Sicherheitskräfte LGBT-Personen, nur weil sie so sind, wie sie sind. Offenbar wiegen sie sich in dem Glauben, dass diese Übergriffe nicht gemeldet und nicht kontrolliert werden“, so Rasha Younes, Expertin für LGBT-Rechte bei Human Rights Watch. „Die katarischen Behörden müssen der Straffreiheit für Gewalt gegen LGBT-Menschen ein Ende setzen. Die Welt schaut zu.“

Human Rights Watch befragte sechs LGBT-Personen aus Katar, darunter vier Transfrauen, eine bisexuelle Frau und einen schwulen Mann. Dr. Nasser Mohamed, ein offen schwul lebender Aktivist aus Katar, half Human Rights Watch, mit fünf der Befragten in Kontakt zu treten.

Alle gaben an, von Mitgliedern der Abteilung für präventive Sicherheit in einem unterirdischen Gefängnis in Al Dafneh, Doha, festgehalten worden zu sein. Dort hätten die Sicherheitskräfte sie verbal belästigt und körperlich misshandelt, von Ohrfeigen bis hin zu Tritten und Schlägen, bis sie bluteten. Eine Frau sagte, sie habe das Bewusstsein verloren. Neben den verbalen Belästigungen hätten die Sicherheitsbeamten auch Geständnisse erzwungen und den Gefangenen den Zugang zu Rechtsbeistand, Angehörigen und medizinischer Versorgung verweigert. Alle sechs gaben an, dass sie von der Polizei gezwungen wurden, Erklärungen zu unterschreiben, in denen sie sich verpflichteten, „unmoralische Aktivitäten einzustellen“.

Alle wurden ohne Anklage inhaftiert, eine Person saß sogar zwei Monate lang ohne Rechtsbeistand in Einzelhaft. Dokumente, die ihre Inhaftierung dokumentieren, wurden in keinem der Fälle ausgestellt. Diese Handlungen könnten nach den internationalen Menschenrechtsnormen eine willkürliche Inhaftierung darstellen.

Die Abteilung für präventive Sicherheit ist dem Innenministerium von Katar unterstellt.

Eine Transfrau aus Katar berichtete, dass sie von Sicherheitskräften auf der Straße in Doha festgenommen wurde und dass Mitglieder der Abteilung für präventive Sicherheit sie aufgrund ihres Geschlechts beschuldigten, „Frauen zu imitieren“. Im Polizeiauto schlugen sie sie, bis ihre Lippen und Nase bluteten, und traten ihr in den Bauch, sagte sie. „Euch Schwulen fehlt die Moral, also werden wir euch auch so behandeln“, sagte ihr ein Beamter.

„Ich habe viele andere LGBT-Personen gesehen, die dort festgehalten wurden: zwei lesbische Frauen aus Marokko, vier schwule Männer aus den Philippinen und einen schwulen Mann aus Nepal“, sagte sie. „Ich wurde drei Wochen lang ohne Anklage festgehalten, und die Polizisten haben mich wiederholt sexuell belästigt. Eine der Bedingungen für meine Freilassung war die Teilnahme an Sitzungen mit einem Psychologen, der mich ‚wieder zu einem Mann machen würde‘“.

Eine andere Transfrau aus Katar berichtete, dass sie in der Öffentlichkeit von Mitgliedern der Abteilung für präventive Sicherheit verhaftet wurde, weil sie Make-up trug. „Sie gaben mir Taschentücher und zwangen mich, das Make-up von meinem Gesicht abzuwischen“, sagte sie. „Sie benutzten die mit Make-up befleckten Tücher als Beweismittel gegen mich und machten ein Foto von mir mit den Tüchern in meiner Hand. Außerdem rasierten sie mir die Haare ab.“ Die Sicherheitskräfte zwangen sie, als Bedingung für ihre Freilassung eine Erklärung zu unterschreiben, wonach sie kein Make-up mehr tragen würde.

Eine bisexuelle Frau aus Katar sagte: „[Beamte der Abteilung für präventive Sicherheit] schlugen mich mehrmals, bis ich das Bewusstsein verlor. Ein Beamter brachte mich mit verbundenen Augen in einem Auto an einen anderen Ort, der von innen wie ein Privathaus aussah. Man zwang mich zuzusehen, wie gefesselte Menschen geschlagen wurden, um sie einzuschüchtern.“

Eine Transfrau aus Katar, die von Mitgliedern der Abteilung für präventive Sicherheit in der Öffentlichkeit in Doha verhaftet wurde, sagte: „Sie [die Kräfte der Abteilung für präventive Sicherheit] sind eine Mafia. Sie haben mich zweimal verhaftet, einmal für zwei Monate in einer unterirdischen Einzelzelle und einmal für sechs Wochen. Sie schlugen mich jeden Tag und rasierten mir die Haare ab. Sie zwangen mich auch, mein Hemd auszuziehen und machten ein Foto von meinen Brüsten. Wegen der Haft bekam ich Depressionen. Ich habe bis heute Alpträume und habe Angst, mich in der Öffentlichkeit zu zeigen.“

Alle inhaftierten LGBT-Personen berichteten, dass sie gezwungen worden seien, ihre Telefone zu entsperren, und dass die Sicherheitskräfte Screenshots von privaten Bildern und Chats auf ihren Geräten sowie von Kontaktinformationen anderer LGBT-Personen machten.

Ein schwuler Mann aus Katar, der die von der Regierung ausgehende Repression erlebt hat und selbst willkürlich inhaftiert wurde, sagte, die Sicherheitskräfte hätten ihn aufgrund seiner Online-Aktivitäten überwacht und verhaftet.

Die Berichte aller Befragten sind beinahe deckungsgleich. Das repressive Klima in Bezug auf die freie Meinungsäußerung in Katar, wozu auch die Rechte von LGBT-Personen zählen, geht so weit, dass viele Menschen, die misshandelt worden sind, Interviews aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen ablehnen, so Human Rights Watch.

Nach Artikel 285 des katarischen Strafgesetzbuchs Katars steht auf außerehelichen Geschlechtsverkehr, einschließlich gleichgeschlechtlicher Handlungen, eine Strafe von bis zu sieben Jahren Gefängnis. Keiner der Befragten gab an, dass gegen sie Anklage erhoben wurde. Scheinbar geht ihre willkürliche Inhaftierung auf das Gesetz Nr. 17 aus dem Jahr 2002 zurück, das eine Untersuchungshaft ohne Anklage oder Gerichtsverfahren für bis zu sechs Monate erlaubt, wenn „es begründete Gründe für die Annahme gibt, dass der Angeklagte ein Verbrechen begangen haben könnte“, einschließlich „Verstößen gegen die guten Sitten“. Die katarischen Behörden zensieren außerdem Berichte in den Mainstream-Medien über sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität.

2020 hat Katar potenziellen Besucher*innen versichert, dass LGBT-Tourist*innen willkommen sind und dass es den Fans freisteht, bei den Spielen die Regenbogenflagge zu zeigen. Katarische Regierungsvertreter*innen ließen verlauten, dass bei WM-Besucher*innen eine Ausnahme von den missbräuchlichen Gesetzen und Praktiken gemacht werde, ein impliziter Verweis darauf, dass die katarischen Behörden Angehörigen der LGBT-Community keine Grundrechte zugestehen, so Human Rights Watch.

Der Fußball-Weltverband FIFA, der Katar 2010 den Zuschlag für die Weltmeisterschaft erteilte, hat sich 2016 zu den Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte bekannt. Die FIFA und andere Unternehmen verpflichten sich damit „dass sie vermeiden sollten, die Menschenrechte Anderer zu beeinträchtigen, und dass sie nachteiligen menschenrechtlichen Auswirkungen, an denen sie beteiligt sind, begegnen sollten.“ Die FIFA ist aufgefordert, im Falle von Menschenrechtsverletzungen angemessene „Präventiv- und Abhilfemaßnahmen“ zu ergreifen.

Die katarischen Sicherheitskräfte sollten Inhaftierungen aufgrund von einvernehmlichen sexuellen Beziehungen zwischen Erwachsenen einstellen. Dazu zählen auch gleichgeschlechtliche Handlungen oder solche, die auf dem Geschlechtsausdruck beruhen. Human Rights Watch forderte zudem die sofortige Freilassung aller willkürlich inhaftierten LGBT-Personen und ein Ende der Misshandlung von LGBT-Personen durch Sicherheitskräfte, unter anderem durch die Einstellung aller staatlich geförderten Konversionspraktiken. Länder, die während der Fußballweltmeisterschaft externe Sicherheitskräfte nach Katar entsenden, sollten sicherstellen, dass sie die internationalen Menschenrechtsnormen einhalten und sich nicht an den Rechteverletzungen durch katarische Sicherheitskräfte beteiligen.

Die katarischen Behörden sollten Artikel 285 und alle anderen Gesetze, die einvernehmliche sexuelle Beziehungen außerhalb der Ehe kriminalisieren, aufheben und Gesetze einführen, die vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung und der Geschlechtsidentität schützen – sowohl online als auch offline. Das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität sollte dauerhaft für alle Kataris garantiert werden, und nicht nur für die Zuschauer*innen, die zur Fußballweltmeisterschaft nach Katar reisen, so Human Rights Watch.

„Nur wenige Wochen vor der Weltmeisterschaft schlagen LGBT-Personen wegen der Übergriffe der Sicherheitskräfte Alarm“, so Younes. „Die katarische Regierung sollte diese Übergriffe sofort beenden, und die FIFA sollte die katarische Regierung dazu drängen, langfristige Reformen zu gewährleisten, die LGBT-Menschen vor Diskriminierung und Gewalt schützen.“

 

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