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Ohne Zweifel wird der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew für seinen deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier den roten Teppich ausrollen, wenn er heute für einen dreitägigen Besuch in Astana ankommt. Allerdings ist gerade viel los in der Hauptstadt des zentralasiatischen Landes und der Bundespräsident ist alles andere als der einzige Gast.
 
Führende russische und chinesische Regierungsvertreter kamen letzten Monat zu einem Sicherheitsgipfel nach Astana, auch der neue UN-Generalsekretär war vor kurzem dort, und die letzte Runde der syrischen Friedensgespräche, die Kasachstan ausrichtet, fand Anfang Juli statt. Die Handelsmesse EXPO ist in vollem Gang.
 
Wie Steinmeier aufgrund seiner langjährigen Erfahrung mit Zentralasien weiß – er war zum Beispiel vor zehn Jahren einer der Hauptarchitekten der „Zentralasienstrategie“ der Europäischen Union – sonnt sich die kasachische Regierung gerne in internationaler Aufmerksamkeit. Dabei verfolgt sie eine mehrgleisige Außenpolitik: Sie unterstützt das chinesische Handels- und Infrastrukturprogramm „Neue Seidenstraße“ und arbeitet zugleich mit der EU an ihrer neuen, „erweiterten“ Partnerschaft – ein Status, den noch kein anderes zentralasiatisches Land erreicht hat. Außerdem sitzt Kasachstan seit sechs Monaten für insgesamt zwei Jahre im UN-Sicherheitsrat.
 
Also wird Nasarbajew Steinmeiers Hände mit Stolz schütteln. Er wird auch um deutsche Unterstützung bei seinem neuen, womöglich ambitioniertesten Projekt seit der Unabhängigkeit im Jahr 1991 bitten. Kasachstan soll bis zum Jahr 2050 von einer aufsteigenden Wirtschaftsmacht mit mittleren Einkommen zu einem der 30 am weitesten entwickeltsten Ländern der Welt werden.
 
Nachdem das Land nach der Unabhängigkeit stark gewachsen ist, stockt der Aufschwung nun. Im vergangenen Jahr konnten nur 1,1 Prozent Wachstum verzeichnet werden, während seit langem geplante Wirtschaftsreformen weitestgehend auf Eis liegen. Kasachstan braucht Investitionen, Know-How und Technologie, und all das gibt es reichlich in Deutschland.
 
Ähnlich wichtig ist es, dass die Regierung Bestätigung von der wichtigsten Wirtschaftsmacht in der EU und einer der Führungsmächte der Welt bekommt. Ohne deutsche Unterstützung wird nichts werden aus Kasachstans Plänen, seine Beziehungen zur EU zu vertiefen und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), einem Club reicher Nationen, beizutreten.
 
Wie Steinmeier bei seiner ersten Reise als Bundespräsident in die ehemalige Sowjetunion auf dieses Angebot reagiert, ist von immenser Bedeutung. Er muss klar signalisieren, dass sich Kasachstan, wenn es als verlässlicher und vollwertiger Partner Deutschland betrachtet werden will, an die internationalen Menschen- und Arbeitsrechtsstandards halten muss, die es freiwillig unterzeichnet hat, und dass diese Normen für die UN- und EU-Institutionen elementar sind, mit denen es sich verbünden will.
 
Die Menschenrechtslage in Kasachstan ist noch immer weit davon entfernt, internationalen Standards zu genügen. Nasarbajew setzte nach der Unabhängigkeit auf die Devise „Wirtschaft zuerst, Politik später“. Dadurch ist Kasachstan noch immer ein Land ohne freie Wahlen. Zivilgesellschaftliche Aktivisten werden aus politischen Gründen verfolgt, freie Rede erfährt wenig Toleranz, und die Behörden verfolgen und inhaftieren oft sogar diejenigen, die kleinste, völlig friedliche Proteste organisieren. Diese massiven Einschränkungen unterminieren die hohen Ambitionen der kasachischen Regierung. Steinmeiner muss sich nicht einmal nur an Menschenrechtsorganisationen halten, um das bestätigt zu bekommen. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte warnte vor „negativen Folgen“ eines neuen Gesetzes, das zivilgesellschaftliche Arbeit einschränkt, und die Internationale Arbeitsorganisation hat Astana wiederholt aufgefordert, die Rechte von Gewerkschaften nicht länger massiv zu beschneiden.
 
Kasachstans Strategie, sich neben Deutschland und anderen an den wichtigsten internationalen Tischen zu positionieren, ist nicht unattraktiv, denn Astana versucht, sich bei globalen Problemen nützlich zu machen. Aber wenn das nicht von einem entsprechenden Engagement und konkreten Maßnahmen begleitet wird, um die Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land zu beenden, dann bleibt diese Strategie eine zynische Show, die Deutschland durchschauen sollte.
 
Für die Menschenrechte einzustehen ist schon für sich genommen essential. Aber im Kontext der von Krisen geprägten Weltpolitik ist es auch in Deutschlands Interesse, als weltweite Führungsmacht, die neue Verbündete sucht, klare Worte gegenüber Staaten zu finden, die international eine größere Rolle spielen wollen. Diese müssen verstehen, dass es von großer Bedeutung ist, wie sie ihre eigenen Bürger behandeln, und dass jeder zukünftigen Zusammenarbeit enge Grenzen gesetzt sind, wenn sie diese schlecht behandeln. Diese Sichtweise entspricht Steinmeiers Format und seinem politischen Ansatz als Bundespräsident. Seine Kasachstan-Reise ist eine gute Gelegenheit, um darüber zu sprechen.

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