(Beirut) – Gesetze und Verfahrensweisen, durch die Frauen diskriminiert werden, beeinträchtigen das Recht von Iranerinnen zu arbeiten, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Frauen sind mit weitreichenden Einschränkungen konfrontiert, etwa beim Reisen, durch das Verbot, bestimmte Berufe auszuüben, und fehlenden Rechtsschutzes.
Der 59-seitige Bericht „‘It’s a Men’s Club‘: Discrimination Against Women in Iran’s Job Market“ untersucht detailliert die diskriminierenden Vorschriften und die unzureichenden Schutzbestimmungen im iranischen Rechtssystem, durch die Frauen keinen gleichen Zugang zum Arbeitsmarkt haben. In den vergangenen 40 Jahren hat sich die Zahl der Studentinnen stetig erhöht, heute stellen Frauen die Hälfte aller Universitätsabsolventen. Aber den jüngsten offiziellen Statistiken zufolge arbeiteten im Zeitraum März 2016 bis März 2017 nur 14,9 Prozent aller Frauen im Iran, während 64,1 Prozent aller Männer einen Beruf ausübten. Damit liegt der Iran unter dem Durchschnitt von 20 Prozent arbeitender Frauen im Nahen Osten und Nordafrika. Mit derzeit 20,7 Prozent sind doppelt so viele Frauen wie Männer arbeitslos.
„Was iranische Frauen an Hochschulen leisten, unterstreicht ihre Fähigkeit und ihren Willen, sich gleichberechtigt am Aufbau eines besseren Landes zu beteiligen, allerdings stehen ihnen diskriminierende Gesetze im Weg“, so Sarah Leah Whitson, Leiterin der Abteilung Naher Osten von Human Rights Watch. „Die Behörden sind zwar immer mehr dazu bereit, das Problem anzuerkennen. Aber sie sollten auch die notwendigen Schritte gehen, um die Hürden abzubauen, die Frauen an den Rand des Arbeitsmarktes drängen.“
Human Rights Watch befragte 44 Frauen und Männer, darunter Anwälte, Kleinunternehmer, Manager mit Personalverantwortung, Angestellte im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft und Wirtschaftsexperten, die derzeit im Iran leben oder das Land vor kurzem verlassen haben und die im Iran gearbeitet oder den Arbeitsmarkt untersucht haben. Der Bericht analysiert auch Gesetze, Verfahrensweisen und Aussagen von Regierungsvertretern.
Das iranische Zivilrecht ist eine wesentliche Basis für die rechtliche Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. In ihm wird der Ehemann als Kopf des Haushalts betrachtet. Er ist befugt, die wirtschaftlichen Entscheidungen seiner Ehefrau zu kontrollieren, etwa indem er ihr unter bestimmten Bedingungen verbieten kann, zu arbeiten.
„Ich bin eine Frau, die sehr viel Zeit in ihre Ausbildung investiert hat und sich nicht vorstellen kann, keinen Beruf auszuüben“, so eine Anwältin und Universitätsdozentin. „Indem er mich dazu drängt, meine Stelle aufzugeben, versucht mein Mann, mir einen Teil meiner Identität zu nehmen.“
Mehrere Anwälte berichteten, dass Ehemänner in Scheidungsverfahren häufig versuchen, einen Vorteil daraus zu ziehen, dass sie ihren Frauen vorwerfen, ohne ihr Einverständnis oder in Berufen gearbeitet zu haben, die sie als unpassenden erachten.
Das Gesetz schreibt auch vor, dass Frauen nur mit Erlaubnis ihres Ehemannes einen Reisepass erhalten können. Einige Arbeitgeber berichteten, dass sie wegen dieser Einschränkung Stellen, die umfangreichere Dienstreisen vorsehen, nicht mit Frauen besetzen.
Auch die Sozialversicherungsbestimmungen diskriminieren arbeitende Frauen. Frauen müssen nachweisen, dass ihr Ehemann arbeitslos ist oder eine Behinderung hat oder dass sie die alleinigen Erziehungsberechtigten ihrer Kinder sind, bevor sie die gleichen Leistungen wie Männer oder Familienbeihilfen erhalten.
Das iranische Recht verbietet die Diskriminierung von Frauen am Arbeitsplatz, aber das bezieht sich nicht auf Einstellungen und Beförderungen. In vielen Stellenausschreibungen wird auf der Grundlage willkürlicher oder diskriminierender Kriterien das bevorzugte Geschlecht der Bewerber angegeben, insbesondere bei Stellen im technischen Bereich oder bei Führungspositionen.
Tausende Stellen im öffentlichen Dienst werden auf der Grundlage von Prüfungen vergeben, die eine staatliche Begutachtungsstelle durchführt. Human Rights Watch hat die 7.026 Stellenausschreibungen für die letzten drei Prüfungen zum Eintritt in den öffentlichen Dienst untersucht und festgestellt, dass etwa 60 Prozent ausdrücklich männliche Bewerber bevorzugten, nur fünf Prozent weibliche.
Shahindokht Mowlaverdy, Vizepräsidentin im Ressort Frauen und Familie, machte die Regierung im April 2015 auf diese Diskriminierung aufmerksam. Präsident Hassan Ruhani setzte daraufhin die für Juli 2016 angesetzte Prüfung für 2.545 zu besetzende Stellen aus. Die Prüfung wird im November 2017 stattfinden, mit 300 zusätzlichen für Frauen offenen Stellen. Diese minimale Verbesserung ändert nichts daran, dass Frauen bei den Einstellungsverfahren im öffentlichen Dienst diskriminiert werden.
Die für den Bericht befragte Frauen schildern ähnliche Erfahrungen in der Privatwirtschaft. Viele haben den Eindruck, dass ihre Chancen, eine Stelle mit Führungsverantwortung zu finden oder in eine Führungsposition befördert zu werden, gering sind. „Einmal sagte mir mein Chef, ich solle zu einem Meeting kommen und meine Einschätzung darlegen, aber er zog diesen Vorschlag sofort wieder zurück, weil das keine gute Idee sei, schließlich sei das ein Männer-Club“, so eine Frau, die auf mittlerer Ebene in einer Beratungsfirma angestellt ist.
Der fehlender Rechtsschutz trägt ebenfalls dazu bei, dass Frauen am Arbeitsplatz mit Hürden konfrontiert sind. Angaben iranischer Behörden zufolge verloren mehr als 48.000 Frauen ihre Arbeit, nachdem sie von ihrem Recht auf Elternzeit Gebrauch gemacht hatten. Sowohl Manager als auch Angestellte gaben an, dass sie von keinen Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung an ihrem Arbeitsplatz wissen, und Frauen berichteten von sexueller Belästigung und der willkürlichen Durchsetzung diskriminierender Kleidungsvorschriften.
Frauen sind auch in politischen Entscheidungsprozessen massiv unterrepräsentiert. Derzeit sind nur 5,8 Prozent der Parlamentarier Frauen. Derweil hat der Wächterrat, ein mit islamischen Geistlichen und Juristen besetztes Gremium, das die Zulassung von Kandidaten zu Wahlen überwacht, de facto ausgeschlossen, dass Frauen für das höchste gewählte Amt im Land kandidieren können. Der Rat lehnte alle Frauen ab, die sich für die Präsidentschaftswahl am 19. Mai aufstellen lassen wollten.
Der Iran soll unverzüglich umfassende Antidiskriminierungsgesetze erlassen, diskriminierende Vorschriften im bestehenden Rechtssystem abschaffen und Frauen auf dem Arbeitsmarkt den gleichen Schutz zukommen lassen wie Männern.
Nach dem Übereinkommen über das iranische Atomprogramm sind mehr internationale Unternehmen und ausländische Investitionen in das Land gekommen, und es ist eine Priorität der Regierung Rohani, die beschädigte Wirtschaft des Landes zu sanieren. Aber von all dem wird die Wirtschaft nur begrenzt profitieren, solange die Hürden nicht beseitigt werden, mit denen Frauen auf dem Arbeitsmarkt konfrontiert sind.
Private Unternehmen und ausländische Investoren haben ebenfalls die Pflicht, sicherzustellen, dass sie im Einklang mit den Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen handeln. Sie sollen aktiv klare Richtlinien etablieren und durchsetzen, die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz verbieten, Geschlechtergleichheit bei Einstellungen und Beförderungen gewährleisten und Männer und Frauen gleichberechtigt Zugang zu beruflicher Weiterentwicklung ermöglichen.
Im Wahlkampf kritisierte Rohani die Ungleichheit der Geschlechter im Iran.
„Jetzt, wo Präsident Ruhani seine zweite Amtszeit antritt, soll er sein Versprechen einhalten“, so Whitson. „Es ist längst an der Zeit, dass Iranerinnen endlich von dem Schutz und den Rechten profitieren, die ihnen zustehen.“