„Als mein Mann ins Gefängnis kam, war ich 38 Jahre alt. Jetzt bin ich 58“, so Holbika Juraeva. Unter Tränen spricht sie weiter und auch ich habe Mühe, meine Fassung zu bewahren: „Wenn ich ihn im Gefängnis sehe, dann bekomme ich Angst – er sieht wie ein Skelett aus.“
Juraevas Mann, der in den 90er-Jahren Mitglied der Opposition im usbekischen Parlament war, sitzt seit 1994 im Gefängnis. Er hatte sich friedlich gegen die Politik des Mannes ausgesprochen, der heute noch Präsident von Usbekistan ist, Islam Karimov.
Ich traf Juraeva während eines Besuchs in Taschkent, der Menschenrechtsorganisationen heute kaum mehr möglich ist. In Usbekistan ist eine autoritäre Regierung an der Macht, deren Menschenrechtsbilanz katastrophal ist. Freie, gerechte Wahlen finden nicht statt, es gibt kein Recht auf Proteste, die Medien unterliegen der staatlichen Kontrolle und auch das Internet wird massiv kontrolliert. Regelmäßig wird von Folterungen in den Gefängnissen berichtet. Die Arbeit von Organisationen wie Human Rights Watch wird seit Jahren unterbunden. Trotz allem wurde mir auf unseren Antrag, der Regierung einen neuen Bericht zu politisch motivierten Festnahmen wie der von Juraev zu präsentieren, ein Visum erteilt.
Unser Antrag selbst, unsere Bedenken bezüglich der Menschenrechtslage den entsprechenden Regierungsbeamten vorzutragen, wurde jedoch bedauerlicherweise abgelehnt. Auch durften wir die unrechtmäßig inhaftierten Aktivisten, die in unserem Bericht erwähnt werden, nicht im Gefängnis besuchen. Dies ist vielleicht ein Zeichen dafür, dass Usbekistan noch bei Weitem nicht dazu bereit ist, einen aussagekräftigen Dialog mit Menschenrechtsgruppen über schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen zu führen. Dennoch bot der Besuch die Gelegenheit, einen Eindruck aus erster Hand über die Menschenrechtslage im Land zu gewinnen, insbesondere über den Mut und die Entschlossenheit von Menschen wie Holbika Juraeva.
Sie sagte, der Fall ihres Mannes, den auch die Vereinten Nationen und viele Länder der usbekischen Regierung gegenüber thematisiert haben, trete nun in eine kritische Phase. Juraev hätte 2004 entlassen werden sollen. Es ist fast unfassbar, aber die Behörden haben seine Haftstrafe insgesamt viermal, jeweils um mehrere Jahre, verlängert. Grund hierfür waren immer sogenannte „Verstöße gegen die Gefängnisordnung“. Diese „Verstöße“, über die Juraev vorab nicht informiert wurde und gegen die er keinen wirksamen Einspruch einlegen konnte, sind absurd. Unter anderem wurde Juraev vorgeworfen, in der Gefängnisküche „Karotten nicht ordnungsgemäß geschält zu haben“.
„Wenn seine Haftstrafe noch einmal verlängert wird, befürchte ich, dass ich irgendwann nur noch seinen Leichnam aus dem Gefängnis abholen kann“, so Juraeva und fügt hinzu, dass Juraev, 62 Jahre alt, schwer krank ist und mehrfach im Gefängnis gefoltert wurde. Ein Aktivist, mit dem ich sprach, sagte, dass für viele, die aufgrund politischer Vorwürfe hinter Gittern sitzen, die Haftbedingungen „einem Todesurteil“ gleichkommen.
Dutzende Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, Oppositionelle und andere Menschen sitzen aufgrund derartiger Vorwürfe im Gefängnis. Es gibt Schätzungen, nach denen derzeit weitere Tausende Menschen hinter Gittern sitzen, da sie angeblich gegen die strikten Gesetze des Landes verstoßen haben, was die Ausübung des Islam betrifft.
Elena Urlaeva ist eine der sehr wenigen Menschenrechtsaktivisten, die sich in Usbekistan weiterhin für die Betroffenen einsetzen. Diese Frau mittleren Alters mit langen, rotblonden Haaren empfing mich lächelnd in ihrer gepflegten Wohnung in einem Vorort von Taschkent. „Trotz all der Schwierigkeiten bei meiner Arbeit, bin ich noch immer motiviert, Menschen in Not zu helfen.“
„Schwierigkeiten“ ist jedoch eine maßlose Untertreibung. Die Regierung gestattet fast keine unabhängige Beobachtung der Menschenrechtslage und schüchtert jene ein, die eine solche anstreben. Physische und elektronische Überwachungsmaßnahmen sind an der Tagesordnung. Urlaeva wurde eingesperrt, sie wurde gezwungen, sich psychiatrischen Behandlungen zu unterziehen, und sie wurde geschlagen während der friedlichen, kleinen Demonstrationen, die sie immer wieder organisiert.
Manchmal erfährt die Polizei schon im Vorfeld von den Demonstrationen und hindert Urlaeva daran, ihre Wohnung zu verlassen. Sie zeigt mir Bilder von Polizeibeamten in ihrem Wohnzimmer, die genau dort sitzen, wo wir zusammen Tee trinken.
Urlaeva leitet ein kleines Netzwerk von Aktivisten, die Human Rights Alliance of Uzbekistan. Eines der Ziele des Netzwerks ist, der durch die Regierung angeordneten Zwangsarbeit von Erwachsenen und Kindern auf den Baumwollfeldern Usbekistans ein Ende zu setzen. Baumwolle ist das wichtigste Agrarprodukt in Usbekistan. Jeden Herbst werden Millionen Menschen gezwungen, mehrere Wochen lang auf den Baumwollfeldern zu arbeiten. Die Arbeitsbedingungen sind katastrophal und die Menschen werden schlecht, wenn überhaupt, bezahlt.
In diesem Jahr dokumentierte Urlaeva zahlreiche Fälle von Zwangsarbeit von Kindern, aber auch von Krankenschwestern, Ärzten und Lehrern. Sie alle wurden zum Baumwollpflücken auf den Feldern gezwungen. „Manchmal müssen wir über den Boden der Baumwollfelder kriechen, um nicht von Sicherheitsbeamten entdeckt zu werden“, so Urlaeva.
In letzter Zeit hat die Regierung weniger Kinder auf die Felder geschickt, was anscheinend auf die internationale Aufmerksamkeit zurückzuführen ist, zu der unter anderem auch Urlaevas Gruppe beigetragen hat. Ein weiterer Grund ist der Druck durch die USA, die Europäische Union sowie durch Dutzende Unternehmen, um der Praxis der Kinderarbeit ein Ende zu setzen.
Es ist wichtig, dass weniger Kinder zum Baumwollpflücken gezwungen werden. Die Diplomaten in Taschkent, mit denen ich sprach, begrüßten diesen Trend verhalten, um die Regierung zu weiteren Verbesserungen in einem Land zu motivieren, das sie größtenteils als ein Brachland der Menschenrechte betrachten. Sie bestätigten, dass der Druck, der bei der Baumwollpolitik ausgeübt wurde, Wirkung gezeigt hatte und daher aufrechterhalten werden sollte. Der Rückgang der Kinderarbeit muss von Dauer sein und auch die Zwangsarbeit von Erwachsenen muss beendet werden. Diese ist angestiegen, um die Lücke zu schließen, die durch die Reduzierung der Kinderarbeit entstanden war.
Internationale diplomatische Bemühungen, Taschkent zur Einhaltung der Menschenrechte zu bewegen, sind zweifelsohne wichtig, zumal Usbekistan weiter stark isoliert ist. Dennoch darf das Engagement damit nicht enden.
Um wirkliche Fortschritte bei der Menschenrechtslage zu erzielen, muss mehr Druck ausgeübt werden. Die Erfahrungen von Juraeva und Urlaeva zeigen eindringlich, dass Bürger Usbekistans tagtäglich schreckliche Menschenrechtsverletzungen erleiden. Ihre Not und konkrete Verbesserungen der Menschenrechtslage, wie etwa die Freilassung von Juraev und anderen politischen Gefangenen, müssen im Zentrum internationaler Bemühungen mit Taschkent sein. Die Partner Usbekistans müssen einige schwere Entscheidungen treffen, wie diese Menschenrechtsverletzungen am besten thematisiert werden können.
Hugh Williamson ist Leiter der Europa- und Zentralasien-Abteilung von Human Rights Watch.