(London, 29. Juni 2010) - Frankreich, Deutschland und Großbritannien verwenden Informationen von ausländischen Geheimdiensten, die im Kampf gegen den Terrorismus unter Folter gewonnen wurden, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.
Der 69-seitige Bericht „Ohne nachzufragen - Geheimdienstliche Zusammenarbeit mit Ländern, in denen gefoltert wird“ untersucht die fortwährende Zusammenarbeit der Regierungen Frankreichs, Deutschlands und Großbritanniens mit den Geheimdiensten von Staaten, die Folter routinemäßig einsetzen. Die drei Regierungen verwenden durch Folter erlangte Informationen zu nachrichtendienstlichen und polizeilichen Zwecken. Das Völkerrecht verbietet Folter jedoch absolut und ohne jede Ausnahme.
„Berlin, Paris und London sollen sich für die Abschaffung der Folter einsetzen, statt sich auf geheimdienstliche Informationen zu verlassen, die im Ausland durch Folter gewonnen wurden“, so Judith Sunderland, Westeuropa-Expertin von Human Rights Watch. „Informationen aus Folterstaaten entgegenzunehmen ist rechtswidrig und schlichtweg falsch.“
Die französischen, deutschen und britischen Geheimdienste verfügen nicht über klare Richtlinien für die Beurteilung von und den Umgang mit Informationen aus Staaten, in denen bekanntermaßen gefoltert wird. Zudem ist die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste in allen drei Ländern unzureichend.
Die Geheimdienste aller drei Staaten behaupten, es sei unmöglich festzustellen, welche Quellen und Methoden hinter den übermittelten Informationen stünden. Doch haben Vertreter der Regierungen in Großbritannien und Deutschland öffentlich die Ansicht geäußert, dass die Verwendung von ausländischen Geheimdienstinformationen in manchen Fällen zulässig sei, selbst wenn das Material eindeutig durch Folter erlangt wurde. Solche Erklärungen senden ein falsches Signal an Regierungen, die die Menschenrechte verletzen.
In Frankreich und Deutschland wurde Beweismaterial, das durch Folter erlangt wurde, in Strafprozessen und anderen Verfahren verwendet, obwohl internationale wie auch nationale Gesetze den Einsatz solcher Informationen in allen Verfahren verbieten.
Der Bericht schildert den Fall von Djamel Beghal, der in Frankreich wegen der Planung eines Terroranschlags angeklagt wurde. In dem Verfahren wurden Aussagen gegen Beghal verwendet, die dieser in den Vereinigten Arabischen Emiraten unter Folter abgegeben hatte. In einem weiteren Fall wurde in einem französischen Verfahren das angebliche Geständnis eines gewissen Abu Attiya als Beweismittel gegen Terrorverdächtige zugelassen, das dieser in Jordanien unter Folter abgelegt hatte. In Deutschland erklärten Gerichte schriftliche Zusammenfassungen von Verhören mit drei hochrangigen Terrorverdächtigen für zulässig, die geführt worden waren, während diese sich in amerikanischer Isolationshaft befanden. Zudem wurden vor Gericht Beweismittel verwendet, die infolge von Aussagen von Aleem Nasir, einem Terrorverdächtigen Pakistani mit deutschem Pass, gewonnen wurden, die er im Gewahrsam des berüchtigten pakistanischen Geheimdiensts gemacht hatte.
Informationen, die durch Folter im Ausland erlangt wurden, können vor allem deshalb in Gerichtsverfahren verwendet werden, weil der Angeklagte zum Ausschluss solcher Informationen selbst den Nachweis erbringen muss, dass das Material durch Folter gewonnen wurde. In der Praxis ist es jedoch nahezu unmöglich, diesen Beweis zu führen.
„Die Regeln, durch die ‚Folter-Informationen‘ aus den Gerichtssälen verbannt werden sollen, funktionieren nicht“, so Sunderland. „Es sollte die Pflicht der Staatsanwaltschaft sein, nachzuweisen, dass Beweismittel aus Ländern, in denen bekanntermaßen gefoltert wird, nicht durch Folter gewonnen wurden.“
Durch die Verwendung fragwürdiger Informationen im Antiterrorkampf beschädigen Frankreich, Deutschland und Großbritannien die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union. Die Praktiken dieser führenden EU-Staaten widersprechen den Antifolterleitlinien der EU, die der Beseitigung von Folter und Misshandlung einen hohen außenpolitischen Stellenwert geben. Nach Ansicht von Human Rights Watch verschärfen Menschenrechtsverletzungen im Namen der Terrorismusbekämpfung auf lange Sicht Missstände, die der politischen Radikalisierung und der Rekrutierung zum Terrorismus Vorschub leisten.
Aus dem völkerrechtlich festgeschriebenen weltweiten Verbot von Folter gehen eindeutige Verpflichtungen für alle Staaten hervor: Sie dürfen niemals foltern oder sich an Folter mitschuldig machen. Jeder Staat muss sich für die weltweite Verhütung und Beseitigung von Folter einsetzen. Regierungen dürfen Folter weder innerhalb ihres Hoheitsgebiets zulassen noch die Folter in anderen Staaten unterstützen oder gutheißen. Die grenzüberschreitende Geheimdienstzusammenarbeit ist zweifellos ein wichtiger Bestandteil des internationalen Kampfes gegen den Terrorismus, sie darf jedoch nicht im Widerspruch zu diesen völkerrechtlichen Verpflichtungen erfolgen.
Nach Ansicht von Human Rights Watch können Frankreich, Deutschland und Großbritannien auch weiterhin notwendige geheimdienstliche Kooperationen betreiben, ohne das weltweite Folterverbot zu untergraben. Dazu müssen sie ernst gemeinte Nachforschungen in den Herkunftsländern der Informationen durchführen, um festzustellen, ob diese durch Folter gewonnen wurden und welche Schritte die Behörden ergriffen haben, um die Verantwortlichen für bekannt gewordene Misshandlungen zur Rechenschaft zu ziehen.
Die Zusammenarbeit sollte abgebrochen werden, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass zur Gewinnung der übermittelten Informationen Folter und Misshandlungen eingesetzt wurden. Zudem sind eine strengere parlamentarische Kontrolle der geheimdienstlichen Kooperationen und eindeutige Gesetze erforderlich, die verhindern, dass durch Folter gewonnenes Material in den Rechtsprozess einbezogen wird.
„Europa wurde gezwungen, sich mit seiner Komplizenschaft bei Misshandlungen im Antiterrorkampf der USA auseinanderzusetzen“, so Sunderland. „Es ist an der Zeit, dass auch Frankreich, Deutschland und Großbritannien sich zu ihrer Rolle bei Misshandlungen in Drittstaaten bekennen und dafür sorgen, dass ihre geheimdienstliche Kooperation nicht zu einer Weiterführung der Verstöße beiträgt.“
Human Rights Watch appelliert an die Regierungen von Frankreich, Deutschland und Großbritannien:
- die Verwendung von Geheimdienstmaterial, das in anderen Staaten durch den Einsatz von Folter oder durch grausame, unmenschliche oder herabwürdigende Behandlung erlangt wurde, öffentlich abzulehnen;
- das absolute Verbot der Verwendung von „Folter-Informationen“ in allen Verfahren zu bekräftigen;
- klare Verfahrensregeln zum Ausschluss von „Folter-Beweisen“ in Zivil- und Strafrechtsprozessen zu schaffen, die eindeutig festlegen, dass bei Folterverdacht die Staatsanwaltschaft die Beweislast trägt und nachweisen muss, dass die betreffenden Aussagen nicht unter Folter gewonnen wurden;
- dafür zu sorgen, dass ihre nationalen Geheimdienste über klare Richtlinien verfügen, die die Zusammenarbeit mit Partner-Diensten regeln, die bekanntermaßen Folter einsetzen;
- Vereinbarungen zur Zusammenarbeit mit Geheimdiensten anderer Staaten sollen klare Bestimmungen zum Schutz der Menschenrechte enthalten,einschließlich der Selbstverpflichtung, die Zusammenarbeit abzubrechen, wenn glaubwürdige Foltervorwürfe erhoben werden;
- die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste zu stärken;
- dafür zu sorgen, dass jede Form der Komplizenschaft bei Folter im nationalen Recht als Straftat geahndet wird und dass Staatsbeamte, die sich im Ausland mitverantwortlich machen, strafrechtlich verfolgt werden;
- letzteres soll auch für Beamte gelten, die systematisch Informationen von Staaten und Behörden annehmen, die bekanntermaßen foltern.