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Griechenland: Irakischen Asylsuchenden wird Schutz verweigert

EU-Mitgliedsstaaten sollen Überstellungen nach Griechenland stoppen

(Athen, 26. November 2008) - Irakische Asylsuchende und Migranten werden in Griechenland systematisch festgenommen, unter schlechten Bedingungen in überfüllten Lagern inhaftiert und unter Gewaltanwendung heimlich in die Türkei abgeschoben, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Nach EU-Richtlinien müssen irakische Staatsangehörige, die über Griechenland in die Europäische Union einreisen, auch dort ihren Asylantrag stellen.

Der 121-seitige Bericht „Stuck in a Revolving Door: Iraqis and Other Asylum Seekers and Migrants at the Greece/Turkey Entrance to the European Union" dokumentiert, wie Beamte der griechischen Küstenwache Migranten aus griechischen Hoheitsgewässern zurückdrängen, bisweilen ihre Schlauchboote zerstechen oder die Boote anderweitig seeuntauglich machen. Wenn es Migranten trotzdem gelingt, in Griechenland an Land zu gehen, versperren die Behörden den Zugang zum Asylverfahren und nahezu alle Asylanträge werden abgelehnt.

„Griechenland verweigert schutzbedürftigen Personen Hilfe und misshandelt sie in der Haft", so Bill Frelick, Direktor der Abteilung Flüchtlingspolitik von Human Rights Watch und Autor des Berichts. „Solange in Griechenland keine Verbesserung des Asylsystems und der Asylpraxis erkennbar ist, sollen die Mitgliedsstaaten der EU keine Asylsuchenden dorthin zurückschicken."

Der Bericht dokumentiert darüber hinaus Misshandlungen von Migranten durch die türkischen Grenzbehörden, einschließlich deren Inhaftierung unter unmenschlichen und erniedrigenden Bedingungen. Aus Griechenland überstellte Migranten haben in der Türkei praktisch keine Chance auf Asyl und werden oft auf unbestimmte Zeit inhaftiert. Die Türkei überstellt irakische Staatsangehörige weiterhin in den Irak und gewährleistet ihnen keinen Zugang zu effektivem Schutz.

Das europäische Asylsystem, das durch die so genannte Dublin II-Verordnung geregelt wird, beruht auf der irrigen Annahme, dass alle EU-Mitgliedsstaaten über die gleichen Verfahrensstandards für die Bestimmung des Flüchtlingsstatus verfügen, und überträgt die Zuständigkeit für die Prüfung eines Asylantrags in der Regel dem Land, in das der Asylsuchende zuerst einreist.

Folglich wollen die griechischen Behörden Asylsuchende daran hindern, über Griechenland in die EU einzureisen. Falls ihnen die Einreise dennoch gelingt, versuchen sie, ihnen den Zugang zum Asylverfahren zu versperren. Falls die Asylsuchenden dennoch einen Antrag stellen können, werden sie fast immer abgelehnt. Von 25.111 Asylerstanträgen, die Griechenland im Jahr 2007 entgegen genommen hat, wurde in acht Fällen der Flüchtlingsstatus gewährt. Das entspricht einer Anerkennungsquote von 0,04 Prozent. Die Anerkennungsquote im Rechtsmittelverfahren lag bei 2 Prozent.

„Das Dublin-System hat zur Folge, dass die Asylsuchenden in einem Teufelskreis gefangen sind", sagt Frelick. „Sie können in kein anderes Land weiterreisen, da für Asylsuchende die Dublin II-Verordnung gilt, nach der in der Regel der EU-Mitgliedsstaat, den man zuerst betreten hat, für den Asylantrag zuständig ist. Sie können aber auch nicht in ihre Heimat zurückkehren, weil dort Krieg herrscht oder ihnen Verfolgung droht. In Griechenland erhalten sie so gut wie nie Asyl."

Ein irakischer Kurde aus Kirkuk, einer der vielen von Human Rights Watch interviewten Personen, versuchte fünf Mal, von der Türkei nach Griechenland zu gelangen. Dort wurde er geschlagen und im Schnellverfahren des Landes verwiesen. Von den türkischen Behörden wurde er ebenfalls geschlagen und inhaftiert. Nachdem die griechischen Behörden ihn endlich registriert hatten, nahmen sie ihn in Haft, um ihn von davon abzuhalten, einen Asylantrag zu stellen. „Sie sagten mir, dass ich länger als 25 Tage im Gefängnis bleiben müsse, wenn ich einen Antrag auf die Rote Karte, also auf Asyl stellen würde. Wenn ich jedoch auf die Rote Karte und damit auf Asyl verzichtete, würde man mich nach 25 Tagen aus der Haft entlassen. Ich habe mich also gegen die Rote Karte entschieden und 25 Tage später entließen sie mich. Ich erhielt einen weißen Zettel, auf dem stand, dass ich das Land innerhalb von 30 Tagen zu verlassen hätte.

Ich wollte in einem anderen Land Asyl beantragen, aber dann erzählte mir ein Bekannter, man würde mich nach Athen zurückschicken, weil man hier meine Fingerabdrücke genommen hatte. Ich bin jetzt seit einem Monat hier, ohne Papiere. Ich stecke in einer Zwickmühle. Ich kann nicht ausreisen. Ich kann aber auch nicht hier bleiben. Jeden Tag denke ich, es war ein Fehler, dass ich mein Land verlassen habe. Ich würde gerne zurückkehren, nur wie? Man würde mich dort umbringen. Hier wird man jedenfalls wie ein Stück Vieh behandelt. Ich habe nichts. Keine Rechte. Keine Freunde."

Die griechischen und türkischen Asylbehörden scheinen aufgrund der verfahrenen Situation genauso frustriert wie die Asylsuchenden selbst. Ihr Frust angesichts eines Systems, das keinen Ausweg aufzeigt, kommt in ihrem missbräuchlichen, oft brutalen Verhalten zum Ausdruck, wenn sie beispielsweise Migranten - und auch potenzielle Flüchtlinge - über die Grenze zurückdrängen.

Ein weiteres typisches Beispiel liefert ein 34-jähriger Turkmene aus Kirkuk. Er habe zehn Versuche gestartet, bis es ihm gelungen sei, nach Griechenland zu kommen: „Einmal überquerte ich den Grenzfluss, um nach Griechenland zu kommen, und erreichte Komotini. Wir wurden fünf Tage lang inhaftiert, dann brachte man uns wieder zum Fluss und drängte uns zurück. Wir waren insgesamt 60 Personen. Man setzte uns in Zehnergruppen in kleine Motorboote, mitten in der Nacht. Es regnete heftig und die griechischen Polizisten fingen an, auf uns einzuschlagen, damit wir uns schneller bewegten. Ich habe gesehen, wie ein Mann versuchte, sich zu wehren, er wollte nicht ins Boot steigen. Sie schlugen ihn und warfen ihn in den Fluss. Uns trieben sie mit Schlagstöcken in die Boote." 

Der Bericht beinhaltet unter anderem folgende Empfehlungen an die griechische Regierung und an die Europäische Union:

  • gemäß der dringenden Bitte des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen sollen die Mitgliedsstaaten der EU bis auf Weiteres von Überstellungen von Asylsuchenden nach Griechenland nach der DublinII-Verordnung absehen und die Asylanträge selbst prüfen;
  • die griechische Regierung soll sich öffentlich dazu verpflichten, dass Migranten, die auf griechischem Hoheitsgebiet oder an der griechischen Grenze - zu Wasser oder zu Land - aufgegriffen werden, human und würdig behandelt werden, dass sie einen Asylantrag stellen können, wenn sie dies wünschen, und dass sie nicht gegen ihren Willen in die Türkei überstellt werden;
  • Griechenland soll mit sofortiger Wirkung die routinemäßige und systematische Praxis der Polizei in der Evros-Region beenden, wo Migranten in Polizeirevieren zusammengedrängt, mit Lastwagen an den Grenzfluss Evros gebracht und dann heimlich in kleinen Booten über die Grenze zurückgeschickt werden.

„Eine gerechtere und bessere Handhabung durch die EU hätte die Belastung für Griechenland vielleicht verringert und zu einem wirksameren Schutz für die irakischen Flüchtlinge beigetragen", so Frelick. „Welche Versäumnisse die EU auch immer zu verantworten hat, sie entbinden Griechenland nicht von der Verpflichtung, alle Menschen menschenwürdig zu behandeln, Flüchtlinge und Asylsuchende vor Verfolgung zu schützen und die Gefahr von unmenschlicher und erniedrigender Behandlung oder Schlimmerem abzuwenden."

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