(Kinshasa, 25. November 2008) – Kongolesische Sicherheitskräfte haben seit den Wahlen vor zwei Jahren etwa 500 Menschen getötet und 1000 weitere inhaftiert, von denen viele gefoltert wurden, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Die brutale Unterdrückung mutmaßlicher Gegner begann während der Wahlen im Jahr 2006, die dem Kongo mehr Demokratie bringen sollten und in denen Präsident Joseph Kabila an die Macht kam, und dauert bis heute an.
Der 96-seitige Bericht „‘We Will Crush You’: The Restriction of Political Space in the Democratic Republic of Congo“ dokumentiert, wie die Regierung von Präsident Kabila politische Gegner mit Drohungen und Gewalt beseitigt hat. Die Untersuchungen von Human Rights Watch zeigen, dass Kabila dafür selbst verantwortlich war: Er ordnete an, „Feinde der Demokratie“ zu „brechen“ oder zu „neutralisieren“, und legitimierte damit indirekt den widerrechtlichen Einsatz von Gewalt.
„Während die Welt auf die Gewalt im Ostkongo blickt, bleiben die Übergriffe der Regierung auf Oppositionelle fast unbemerkt“, so Anneke van Woudenberg, Senior Researcherin der Afrika-Abteilung von Human Rights Watch. „Die Bemühungen, einen demokratischen Kongo aufzubauen, werden nicht nur von den Aufständischen, sondern auch durch die repressive Politik der Kabila-Regierung torpediert.“
Am zweiten Jahrestag von Kabilas Wahlsieg am 28. November 2006 herrschen im Kongo immer noch Armut und Krieg. Im Westen des Landes werden Kritiker der Regierung brutal unterdrückt. Im Osten hat der Konflikt mit Rebellengeneral Laurent Nkunda zu Gräueltaten auf allen Seiten geführt.
Der Bericht stützt sich auf monatelange Ermittlungen vor Ort, darunter Interviews mit über 250 Opfern, Augenzeugen und Offiziellen. Human Rights Watch dokumentiert, wie Kabilas Gefolgsleute mithilfe staatlicher Sicherheitsdienste gegen mutmaßliche Gegner in der Hauptstadt Kinshasa und in der Provinz Bas Congo vorgingen. Dabei kamen die paramilitärische Republikanische Garde, eine geheime Polizeiabteilung namens „Simba“ und die Geheimdienste zum Einsatz.
Nach den Wahlen von 2006, die größtenteils von der internationalen Gemeinschaft finanziert wurden, waren ausländische Regierungen vor allem an guten Beziehungen zu Kabilas neuer Führung interessiert. Sie schwiegen zu Menschenrechtsverletzungen und der zunehmend repressiven Politik der Regierung. UN-Berichte über die Verwicklung der Regierung in politisch motivierte Verbrechen wurden zurückgehalten oder so spät veröffentlicht, dass sie das Geschehen nicht mehr beeinflussen konnten.
Ins Visier der Sicherheitskräfte gerieten neben Personen aus der Provinz Equateur auch mutmaßliche Unterstützer des unterlegenen Präsidentschaftskandidaten Jean-Pierre Bemba und Anhänger der Bundu Dia Kongo (BDK), einer politisch-religiösen Gruppe, die sich für eine größere Autonomie der Provinz Bas Congo einsetzt und bei den jüngsten Wahlen einen beachtlichen Stimmenanteil gewinnen konnte.
Mindestens 500 angebliche Gegner der Regierung wurden ermordet oder ohne Verfahren hingerichtet. In der Phase stärkster Gewalt warfen staatliche Sicherheitskräfte Leichen in den Fluss Kongo oder verscharrten sie heimlich, um die Verbrechen zu verheimlichen. Regierungsbeamte verhinderten, dass die Verbrechen durch Menschenrechtsexperten der UN, kongolesischer und internationaler Organisationen und durch Angehörige der Opfer untersucht werden konnten.
In den vergangenen zwei Jahren kam es zu mehreren Wellen von Inhaftierungen. Häftlinge berichten über Folter durch Verprügeln, Auspeitschen, Scheinexekutionen und den Einsatz von Elektroschockgeräten an Genitalien und anderen Körperteilen. Einige Gefangene blieben tage- oder wochenlang angekettet. Viele wurden zu dem Geständnis gezwungen, dass sie in Umsturzplänen gegen Kabila verwickelt waren.
Mitte Oktober 2008 verhafteten Sicherheitskräfte in Kinshasa willkürlich 20 Menschen, mehrheitlich aus der Provinz Equateur, darunter eine Frau mit einem drei Monate alten Baby. Human Rights Watch schätzt, dass zurzeit mindestens 200 Menschen aus politischen Gründen und ohne Anklage in Haftanstalten in Bas Congo und Kinshasa festgehalten werden.
Auch Bemba nahe stehende Milizen und BDK-Anhänger waren für Morde an Staatsbediensteten und gewöhnlichen Bürgern verantwortlich, etwa in Bas Congo im Februar 2007 und in Kinshasa im März 2007. Bei diesen Vorfällen stellten Polizei und Armee die Ordnung wieder her, häufig jedoch mit maßloser Gewalt.
Trotz Ermittlungen der Nationalversammlung, der Medien und anderer Bürgerrechtsgruppen weigern sich kongolesische Regierungsvertreter einzugestehen, dass staatliche Kräfte hinter den Menschenrechtsverletzungen stehen. Sie behaupten, die Opfer hätten einen Putsch geplant oder die Staatsgewalt auf andere Weise bedroht, liefern jedoch dafür keine überzeugenden Beweise. Nur wenige Fälle führten zu einer Anklage.
Journalisten, die mit der Opposition in Kontakt stehen oder die Gewalt offen kritisieren, werden bedroht, willkürlich verhaftet und teilweise gefoltert. Die Regierung schloss Radio- und Fernsehsender, die mit der Opposition in Verbindung stehen oder über sie berichten. Einigen dieser Stationen durften später wieder senden.
Die Nationalversammlung hat sich bemüht, ihre Kontrollfunktion gegenüber der Regierung zu erfüllen. Aus Protest gegen die Übergriffe boykottierten Oppositionsabgeordnete Sitzungen – jedoch mit wenig Erfolg. Ihre Kritik konnte die Morde und die groß angelegten Verhaftungen nicht beenden.
Human Rights Watch ruft die Regierung auf, einen hochrangigen Krisenstab zu bilden, der dem Justizministerium untersteht und sich von Menschenrechtsexperten beraten lässt. Das Gremium soll die Übergriffe staatlicher Kräfte dokumentieren und die Freilassung der rechtswidrig Inhaftierten veranlassen. Von der kongolesischen Regierung forderte Human Rights Watch, eine öffentliche Untersuchung der von den Sicherheitskräften verübten Menschenrechtsverletzungen einzuleiten und die Verantwortlichen zu verfolgen.
„Das kongolesische Volk verdient eine Regierung, die demokratische Rechte schützt und nicht Oppositionelle unterdrückt“, so van Woudenberg. „Ein wichtiger erster Schritt wäre die Strafverfolgung der Beamten, die für Morde und Folter verantwortlich sind.“
Ausgewählte Zeugenaussagen aus dem Bericht:
„Während sie mich peitschten und mit Knüppeln schlugen, riefen die Soldaten immer wieder: 'Wir machen euch fertig! Wir machen euch fertig!' Dann drohten sie, mich und andere, die gegen Kabila waren, zu töten.“
- Ein politisch engagierter Bürger, der im März 2007 von der Republikanischen Garde von Präsident Kabila verhaftet und gefoltert wurde.
„Um drei Uhr morgens kamen sieben Soldaten der Republikanischen Garde in das Gefängnis. Sie nahmen zehn Häftlinge mit, fesselten ihre Hände, verbanden ihnen die Augen und klebten ihnen den Mund mit Kartonstücken zu. Der Hauptmann, der dies tat, sagte, er befolge nur Befehle. Er sagte, er werde in dieser Nacht das Blut der Equateurianer trinken. Dann nahmen die Soldaten sie mit... Ich kannte einen der Wächter und fragte ihn, was geschehen sei. Er antwortete, die anderen seien bei Kinsuka ans Ufer des Kongo gebracht und getötet worden.“
- Ein kongolesischer Armeeoffizier aus der Volksgruppe der Ngwaka, der von der Republikanischen Garde am 23. März 2007 festgenommen und im Lager Tshatshi interniert wurde.
„Sie begannen, mich zu schlagen. Dann zogen sie mich aus. Sie nahmen vier Paar Handschellen und fesselten mir die Hände hinter dem Rücken - zuerst aneinander, dann an meine Füße. In dieser Haltung wurde ich auf den Boden geworfen. Sie gaben mir Elektroschocks am ganzen Körper. Sie steckten einen Schlagstock, der Elektroschocks abgab, in meinen Anus und hielten ihn an meine Genitalien. Ich schrie so laut, dass mir schwarz vor Augen wurde. Ich rief, dass ich alles unterschreiben würde, was sie wollten.“
- Ein ehemaliger Häftling, der auf Befehl der „Geheimkommission“ im Kin-Mazière Gefängnis festgehalten wurde.
„Kabila entschied sich, Bemba eine zu verpassen und ihm eine Lektion zu erteilen.“
- Ein Vertrauter Kabilas kurz vor den Gewaltakten in Kinshasa im August 2006 nach dem ergebnislosen ersten Wahlgang.
„Wir rechneten alle damit und doch haben wir zu wenig unternommen, um die Krise abzuwenden.“
- Ein europäischer Militärberater mit guten Verbindungen zur kongolesischen Armee über die Gewalt in Kinshasa im März 2007, der Hunderte zum Opfer fielen.
„Für wen halten Sie sich eigentlich? Wenn Sie nicht mit der Regierung einverstanden sind, gehen Sie ins Exil und warten bis ihr Kandidat das Ruder übernimmt. Wenn Sie nicht verschwinden, werden wir Ihnen helfen, für immer den Mund zu halten. Wir werden Sie nicht verfehlen. Genug ist genug. Wir haben Sie gewarnt.“
- Ein Drohbrief, den die Organisation „Journalistes en Danger“ im Juni 2007 erhielt, nachdem sie sich besorgt über die Unterdrückung der Medien gezeigt hatte.