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Heute untersucht sie Menschenrechtsverletzungen in aller Welt: Hinrichtungen, Verschleppungen, Folter, politische Verhaftungen, Diskriminierung, Verletzungen der Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit. Nach eigenen Angaben der Nichtregierungsorganisation arbeiten für sie mehr als 190 Anwälte, Journalisten und Länderfachleute. Der einstige Staatsanwalt Kenneth Roth, dessen jüdischer Vater 1938 aus Frankfurt ins amerikanische Exil floh, ist seit 1993 Direktor von Human Rights Watch. Mit ihm sprach in Berlin Wulf Schmiese.

Herr Roth, welche Regierung ist derzeit die kriminellste?

Es gibt eine lange Reihe höchst krimineller Regime, die ihre Völker brutal quälen. Sudan ist eines der gewalttätigsten Länder der Welt, die Regierung in Khartum tritt die Menschenrechte mit Füßen. Aber auch in Ost-Kongo ist die Todesrate astronomisch hoch.

In Nordkorea lässt die Regierung die Bevölkerung verhungern, dort herrscht ein stiller Tod. Die Überwachung der Gesellschaft ist extrem. Das gilt auch für Burma, wo seit Jahrzehnten gewissenlose Militärs regieren. In Usbekistan gibt es extremen Staatsterror, der die Bevölkerung massiv unterdrückt, Turkmenistan wird ebenfalls äußerst totalitär geführt.

Und in der westlichen Welt?

Die gewaltsamste Gesellschaft der westlichen Hemisphäre ist sicherlich Kolumbien. Dort ist die politisch motivierte Gewalt am größten.

Sie sprachen soeben mit Außenminister Steinmeier. Wie wichtig ist Deutschland für Ihre Ziele?

Deutschland ist traditionell einer der wichtigsten Verbündeten im Kampf um die Menschenrechte, es fühlt sich ihnen aus seiner Geschichte heraus verpflichtet. Deutschland ist es vor allem zu danken, dass es heute den internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gibt. Berlin drang darauf, dass die Menschenrechtsverletzer verurteilt werden. Trotzdem haben wir mit der Bundesregierung Meinungsverschiedenheiten.

Inwiefern?

Wir finden, die Bundesregierung setzt zu sehr auf Dialog, selbst wenn diese Dialoge inhaltsleer sind. Wir wünschen uns ein härteres Herangehen mit klaren Maßstäben: Es darf keine Kuhhändel geben, etwa mit China, Russland und den zentralasiatischen Staaten.

Was konkret meinen Sie?

Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft wurden zum Beispiel die Sanktionen gegen Usbekistan gelockert. Steinmeier drang darauf, weil es „Anzeichen“ gebe zur Besserung der Menschenrechtslage. Dabei hatte es nicht einmal eine internationale Untersuchungskommission über das Massaker von Andischan gegeben, dessentwegen die Sanktionen im Oktober 2005 verhängt worden waren. Wir halten diesen Umgang mit Diktaturen, das Hoffen auf Wandel durch Handel, für viel zu entgegenkommend. Deutschland sollte seine Vorreiterrolle innerhalb der Europäischen Union kompromissloser ausfüllen.

Seine Zentralasienstrategie hält der deutsche Außenminister für eines der wichtigsten Projekte der EU-Ratspräsidentschaft.

Steinmeier fürchtet zu Recht Putins Einfluss auf die zentralasiatischen Staaten. Aber bedingungsloser Dialog wird das nicht verhindern können. Deutschland sollte hier den eigenen Werten treu bleiben und staatliche Unterdrückungsmechanismen scharf kritisieren. Nicht zuletzt, weil der totalitäre Regierungsstil einen unerwünschten Nebeneffekt hat: In den zentralasiatischen Ländern formieren sich extremistische, islamistische Gegenbewegungen gegen die säkularen Diktatoren. Die Moscheen sind die einzigen Orte, wo sich die Unzufriedenen sammeln können.

Steinmeier sieht einige der fünf Staaten als künftige Energiepartner. Es gehe für beide Seiten um Unabhängigkeit von Russland.

Energiepartner, die Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit einhalten, sind weit zuverlässiger als solche, die sie missachten, weil die Regierungen sich dann im Zweifel länger halten. Steinmeier rechtfertigt Deutschlands Politik aber nicht ausschließlich mit dem Energiebedarf. Er sagt, dass er die Tür für Demokratie aufhalten und russischen Einfluss mindern wolle. Da hat er recht; doch Deutschland kann dieses Ziel selbstbewusst einfordern und muss kein Auge zudrücken bei den Menschenrechten. Die zentralasiatischen Staaten brauchen die EU, schon, weil sie weder Russland noch China wirklich trauen.

Wo sonst auf der Welt sollte Deutschland mehr tun?

Deutschland sollte williger sein, sein Militär weltweit einzusetzen im Kampf um die Menschenrechte. Afghanistan ist da ein positives Beispiel. Auch wenn der Einsatz der Bundeswehr kontrovers diskutiert wird: Damit wird Deutschland seiner internationalen Verantwortung gerecht.

Aus afrikanischen Konflikten hält sich Deutschland weitgehend heraus. Es sollen keine Soldaten nach Tschad geschickt werden, um Flüchtlingen aus Sudan zu helfen.

Deutschland muss seine Rolle bei internationalen Einsätzen wohl erst noch finden. Die beste Antwort auf seine eigene Geschichte sollte sein, woanders in der Welt Massenmorde zu verhindern. Deutschland sollte ebenso selbstverständlich an internationalen Einsätzen teilnehmen wie Frankreich oder England. Selbst kleinere Nationen wie Kanada oder Australien tun das. Bei aller Kritik an den Vereinigten Staaten: Sie scheuen nie vor humanitären Einsätzen in der Welt zurück. Aber gerade weil die Vereinigten Staaten und Großbritannien so feststecken in dem Irak-Desaster, würde die Bundeswehr woanders dringend gebraucht.

Sie halten Krieg für gerechtfertigt im Kampf um die Menschenrechte?

Ja, so schrecklich Krieg auch ist: Ich bin dennoch kein Pazifist. Wir dürfen nicht wegsehen, wenn eine Regierung ihrem Volk Grausamkeiten antut. Wir müssen eingreifen, zur Not auch mit Waffen.

Ist denn die Menschenrechtssituation im Irak heute besser als unter Saddam Hussein?

Auf keinen Fall! Es sind zu viele Menschen gestorben nach Saddams Sturz, obgleich er ein fürchterlicher Tyrann war. Der Völkermord an den Kurden und mehr als eine Million Tote gehen auf sein Kerbholz. Der Irak-Krieg wurde jedoch nicht als humanitäre Intervention begonnen. Erst im Nachhinein nennt Präsident Bush dies als Hauptgrund. Wir können ihm das nicht glauben. Der Irak zeigt leider, dass Chaos zuweilen noch schlimmer sein kann als organisierte Unterdrückung.

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