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USA: Soldaten berichten über die Misshandlung von Gefangenen im Irak

Misshandlungspraktiken wurden genehmigt und Beschwerden von Soldaten ignoriert

Folter und Misshandlung in amerikanischen Gefängnissen im Irak waren Routine und wurden von höherer Stelle autorisiert - selbst nach dem Abu-Ghuraib-Skandal 2004. Diese Erkenntnis basiert auf Aussagen von Soldaten, die in einem heute veröffentlichten Bericht von Human Rights Watch dokumentiert werden. Die Misshandlung von Gefangenen fand demnach in einer für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Einrichtung am Bagdader Flughafen und in anderen Gefangenenlagern im Irak statt.

In „No Blood, No Foul: Soldiers’ Accounts of Detainee Abuse in Iraq“ berichten Soldaten, wie Häftlinge regelmäßig misshandelt wurden. Sie wurden geschlagen, mussten schmerzhafte Haltungen einnehmen und wurden starkem Schlafentzug sowie sehr kalten oder heißen Temperaturen ausgesetzt. Diese Informationen stammen aus von Human Rights Watch geführten Interviews sowie aus Beschreibungen und vereidigten Aussagen, die in freigegebenen Dokumenten enthalten sind.

„Soldaten wurde mitgeteilt, dass die Genfer Konventionen keine Anwendung finden und dass bei Verhören von Gefangenen Misshandlungspraktiken angewendet werden können, um sie zum Sprechen zu bringen“, so John Sifton, Autor des Berichts und Senior Researcher von Human Rights Watch für den Bereich Terrorismus und Terrorismusbekämpfung. „Diese Aussagen entkräften die Behauptung der US-amerikanischen Regierung, dass Folter und Misshandlung im Irak nicht genehmigt waren und nur in Ausnahmefällen vorkamen. Genau das Gegenteil ist der Fall: Diese Praktiken wurden stillschweigend geduldet und häufig angewandt.“

Aus diesen Aussagen geht hervor, dass Häftlinge im Irak zwischen 2003 und 2005 bei der Festnahme und beim Verhör regelmäßig misshandelt wurden und dieses Verhalten offensichtlich genehmigt war. Zudem lassen die Informationen darauf schließen, dass Soldaten, die Misshandlungen melden wollten, abgewiesen oder ignoriert wurden.

Der Bericht von Human Rights Watch just zu dem Zeitpunkt veröffentlicht, in dem die Mitglieder der Bush-Regierung und die Abgeordneten des amerikanischen Kongresses intensiv darüber diskutieren, ob die Genfer Konventionen für die Behandlung von Gefangenen Anwendung findet. Im Bericht wird auf anschauliche Weise dargestellt, welche Formen der Misshandlung ausgeübt werden, wenn diese grundlegenden internationalen Standards ignoriert werden.

Einige der schlimmsten in diesem Bericht beschriebenen Misshandlungen beziehen sich auf eine Sondereinheit, die an unterschiedlichen Stellen „Task Force 20“, „Task Force 121“, „Task Force 6-26“ oder „Task Force 145“ genannt wird. Sie war in einer Einrichtung am Flughafen von Bagdad stationiert, die „Camp Nama“ hieß. Der Zutritt zu dem Camp war untersagt.

In dem Bericht werden auch schwere Misshandlungen dokumentiert, die in der Nähe des Flughafens von Mosul und in einem Stützpunkt nahe von Al-Qaim an der syrischen Grenze verübt wurden.

Laut Aussagen von Soldaten wurden die Gefangenen im Camp Nama nicht beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz registriert, was gegen das Völkerrecht verstößt. Sie wurden regelmäßig ausgezogen und geschlagen, mussten schmerzhafte Übungen machen und waren starkem Schlafentzug sowie anderen Formen menschenunwürdiger und demütigender Behandlung ausgesetzt.

Ein Mitglied des Vernehmungspersonals in Camp Nama berichtete Human Rights Watch, dass sie von Vorgesetzten seiner für Verhöre zuständigen Einheit zu Misshandlungen ermutigt wurden. „[E]s sollte mit jedem so richtig harsch umgegangen werden“, so seine Worte. „Sie dachten, das sei ihr Job und man würde von ihnen erwarten, dass sie so vorgehen – in jedem einzelnen Fall.“

Die Berichte der Soldaten zeigen, dass viele Misshandlungspraktiken über den militärischen Befehlsweg genehmigt wurden. Ein weiteres Mitglied des Vernehmungspersonals, das 2004 in einer Einrichtung in der Nähe von Mosul stationiert war, berichtete Human Rights Watch von einem Fall, bei dem der für seine Verhöreinheit zuständige Offizier ihm und anderen befahl, bei einer Gruppe von Gefangene Misshandlungs¬praktiken anzuwenden. Dies waren laut dem Zeugen die Worte des Offiziers: „Wir werden folgendermaßen vorgehen: Wir werden sie die ganze Nacht lang auf Knien wach halten und ihnen keinen Schlaf gönnen.“

Der Soldat gab dazu folgende Aussage ab:

Er [der MI-Offizier (Militärgeheimdienst)] sprach klare Worte. Zwar sagte er nicht ‚Ich möchte, dass ihr euch diese Jungs vorknöpft‘, er ließ uns aber deutlich wissen, was er von uns erwartete. ... Später haben wir auch ein paar Hunde auf die Typen gehetzt [d.h. wir haben die Gefangenen mit Hunden eingeschüchtert] und was sonst noch dazu gehört. ... Er [der MI-Offizier] sagte, dass er ja diese Hundehalter - die Militärpolizisten - hätte, und sie bei den Verhören anwesend sein würden, damit wir sie entsprechend einsetzen könnten’. ... [W]ir ließen die Jungs MPT [Übungen] machen, was für sie nicht gerade angenehm war. Auch die Dehnpositionen waren für sie ziemlich schmerzhaft. ... Sie wissen schon ... im Kies knien, sich auf den Knien im Kies fortbewegen ... länger mit ausgestreckten Armen und Wasserflaschen in den Händen stehen ... auf Kies kriechen. Und die Gefängniswärter halfen uns dabei.

Der im Camp Nama stationierte Soldat, über den wir oben berichteten, erwähnte auch, dass der Kommandant seiner Verhöreinheit die Anwendung von Misshandlungspraktiken genehmigen musste. Die Genehmigung wurde so häufig erteilt, dass dafür ein vorgefertigtes Formular verwendete wurde:

Auf einem der Computer befand sich ein Genehmigungsformular. Dabei handelte es sich um ein Blatt, das man ausdruckte oder eigentlich einfach ausfüllte. Es war eine Art Liste zum Ankreuzen. ... Man kreuzte an, welche Methoden man anwenden wollte. Und wollte man beim Verhör harsche Methoden einsetzen, musste man es sich abzeichnen lassen. Ich habe kein einziges Blatt gesehen, das nicht unterschrieben wurde. Für das Abzeichnen war der jeweilige Kommandant zuständig. ... Er genehmigte diese Praktiken stets.

In dem Bericht wird an unterschiedlichen Stellen darauf hingewiesen, dass der Missbrauch von Häftlingen anscheinend militärischem Führungspersonal in Bagdad und Washington gemeldet wurde, dass jedoch wenig oder nichts dagegen unternommen wurde. Im Rahmen einer Untersuchung eines Gefangenenlagers in der Nähe des Flughafens von Mosul wurde Anfang 2004 beispielsweise ermittelt, dass Gefangene in Mosul regelmäßig misshandelt wurden. Diese Untersuchung wurde eingeleitet, nachdem ein Gefangener einen Kieferbruch erlitten hatte. Trotzdem wurden die Verantwortlichen nicht bestraft, und ein dort stationiertes Mitglied des Vernehmungspersonals sagte aus, dass im Laufe des Jahres 2004 weiterhin schwere Misshandlungen stattfanden. Ein Gefangener starb im Dezember 2003 während des Verhörs in der Einrichtung; ein weiterer kam im April 2004 ums Leben.

Die Misshandlungen wurden im Camp Nama während des Jahres 2004 fortgesetzt – selbst nachdem mehrere Militäroffiziere entsprechende Beschwerden eingereicht hatten. Col. Stuart A. Herrington, ein pensionierter Offizier des Militärgeheimdiensts, wurde in den Irak entsandt, um geheimdienstliche Informationen auszuwerten. Er informierte Gen. Barbara Fast, die Leiterin des Militärgeheimdiensts im Irak, in einem Memorandum darüber, dass die Task Force 121 Häftlinge misshandelte und sie weder in den Militäraufzeichnungen für Gefangene noch beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz registrierte.

Abschließend erklärte Herrington, „es scheint offensichtlich zu sein, dass die TF 121 hinsichtlich der Behandlung von Gefangenen gezügelt werden muss“. Trotz dieser Warnung fanden in dieser Sondereinheit weiter Misshandlungen statt.

Human Rights Watch dokumentiert in dem neuen Bericht, wie Soldaten, die Misshandlungen als falsch oder gesetzeswidrig betrachteten, immer wieder auf große Hindernisse stießen, wenn sie Missbrauch melden oder Informationen darüber bekannt geben wollten. Einem Militärpolizisten, der in der Einrichtung nahe Al-Qaim stationiert war und sich bei einem Offizier über Gewalt und andere Formen des Missbrauchs beschwerte, wurde beispielsweise gesagt, er solle „es vergessen“.

Der Polizist berichtete Human Rights Watch gegenüber, dass man ihm „mehrmals ausdrücklich mitteilte, dass dies keine kluge Handlung sei“. ... Man legte ihm nahe, er solle sich „hinsichtlich dieser Untersuchung an keine andere Stelle wenden“. „Sie sollten die Angelegenheit definitiv vergessen. Tun Sie sich so etwas nicht an.“

In einem anderen Fall baten Kommandanten Militäranwälte, eine Power Point-Präsentation für das Vernehmungspersonal zu erstellen, nachdem sich ein Mitarbeiter über den Missbrauch in einer Einrichtung in der Nähe des Bagdader Flughafens beschwert hatte. Im Rahmen dieser Präsentation wurde dem Vernehmungspersonal von Anwälten fälschlicherweise mitgeteilt, dass die Genfer Konventionen für die Häftlinge ihrer Einrichtungen keine Anwendung fänden und die angewandten Praktiken akzeptabel seien.

„Man sagte uns, sie seien feindliche Kämpfer und keine Kriegsgefangene, weshalb es gerechtfertigt sei, dass wir all dies mit ihnen machten“, so der Zeuge.

Human Rights Watch hat bereits früher irakischen Aufständischen vorgeworfen, regelmäßig gegen das humanitäre Völkerrecht zu verstoßen, da sie Zivilisten und Mitarbeiter humanitärer Hilfsorganisationen entführen und angreifen sowie Hunderte von Bomben auf Basaren, in Moscheen und an anderen zivilen Orten detonieren lassen. Human Rights Watch fordert, dass für die Verantwortlichen (einschließlich der Anführer dieser Gruppen) im Falle einer Gefangennahme Untersuchungen eingeleitet und Gerichtsverfahren wegen des Verstoßes gegen irakisches Recht und Kriegsrecht durchgeführt werden.

„Die Verbrechen von Aufständischen sind keine Rechtfertigung“, so Sifton. „Vergehen einer Konfliktpartei - so widerwärtig sie auch sein mögen - dürfen von der anderen Partei nicht als Ursache für weitere Verstöße betrachtet werden. Dies ist ein grundlegendes Prinzip des Kriegsrechts.“

Human Rights Watch weist auf die Erkenntnis aus diesem Bericht hin, dass bei strafrechtlichen Untersuchungen von Misshandlungen die militärische Befehlsstruktur zu beachten ist und man sich nicht auf Soldaten niedrigen Ranges konzentrieren soll. Bisher wurde noch kein einziger Offizier des Militärgeheimdiensts wegen Misshandlung im Irak vor ein Kriegsgericht gestellt. Human Rights Watch ist kein Fall bekannt, bei dem strafrechtliche Untersuchungen gegen Offizieren eingeleitet wurden, die für Verhöre und Festnahmen im Irak zuständig waren.

Der amerikanische Kongress ist von Human Rights Watch dazu aufgefordert worden, eine unabhängige, parteiübergreifende Kommission einzurichten. Sie soll das tatsächliche Ausmaß des im Irak begangenen Häftlingsmissbrauchs, die Mitschuld von Offizieren höheren Ranges sowie die Systemmängel untersuchen, die es für Soldaten schwierig machen, von ihnen erlebte Misshandlungen zu melden. Ferner hat Human Rights Watch den US-Präsidenten gebeten, einen unabhängigen Staatsanwalt einzusetzen, um Fälle des Missbrauchs zu untersuchen und die Täter vor Gericht zu stellen – auch wenn es sich um militärische und zivile Entscheidungsträger handelt, die Misshandlungen genehmigt oder stillschweigend geduldet haben.

Es ist nun klar, dass Entscheidungsträger für Misshandlungen im Irak verantwortlich waren,“ so Sifton. „Sie sollten jetzt zur Rechenschaft gezogen werden.“

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