Die serbische Regierung unternimmt nichts gegen die Welle der Gewalt gegenüber ethnischen und religiösen Minderheiten. Die Veröffentlichung eines neuen Berichts fällt mit dem Besuch des EU-Erweiterungskommissars in Belgrad zusammen.
Der 52-seitige Bericht "Dangerous Indifference: Violence Against Minorities in Serbia" (Gefährliche Gleichgültigkeit: Gewalt gegen Minderheiten in Serbien) dokumentiert Angriffe auf Minderheiten seit 2003, darunter Körperverletzung, Anschläge auf kulturelle und religiöse Einrichtungen und Grabschändungen. Die Reaktion der serbischen Regierung auf diese Übergriffe ist laut Human Rights Watch unzureichend. Die Behörden hätten die Vorfälle schnell verharmlost und die Polizei hätte es versäumt, Moscheen und Geschäfte vor Übergriffen zu schützen. Darüber hinaus seien die Angriffe kaum untersucht worden. Die wenigen Täter, die vor Gericht gestellt wurden, bekamen bedingte Gefängnisstrafen oder mussten nur kleine Geldbußen zahlen. "Gewalt gegen Minderheiten wird in Serbien immer mehr zum Problem", erklärte Holly Cartner, Leiterin der Abteilung für Europa und Zentralasien von Human Rights Watch. "Serbien kann nur dann näher an die Europäische Union rücken, wenn es diese Übergriffe ernst nimmt."
Der EU-Erweiterungskommissar, Olli Rehn, besucht am Montag Belgrad, um mit der serbischen Regierung Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen zu beginnen. Die Sicherheit für Serbiens Minderheiten ist ein wichtiger Schritt zur Annäherung an die EU.
Extremisten fühlen sich offensichtlich in den vergangenen eineinhalb Jahren durch die Gleichgültigkeit der Regierung bekräftigt. So reagierten serbische Ultranationalisten auf Nachrichten über anti-serbische Ausschreitungen im vorwiegend albanischen Kosovo mit Attacken auf Albaner, Muslime und Roma. Auch von Angriffen auf Ungarn und Kroaten in der Vojvodina ist mehrmals berichtet worden. Vergangenes Jahr kam es in dieser Region seit langem wieder zu Einschüchterungsversuchen und Gewalttätigkeiten gegenüber Slowaken und Ruthenen. In der Vojvodina sind ethnisch motivierte Übergriffe inzwischen zurückgegangen. Doch in anderen Teilen Serbiens nahmen sie zu, vor allem antisemitische und antimuslimische Schmierereien sowie Gewalttätigkeiten gegenüber Roma.
Opfer und Augenzeugen der Angriffe erzählten den Mitarbeitern von Human Rights Watch, dass die Polizei bei einigen der ethnisch motivierten Übergriffe nur sehr zögernd eingegriffen habe, wodurch die Täter entkommen konnten. Die Sicherheitskräfte hätten auch immer wieder ihre Zustimmung zu den Angriffen zum Ausdruck gebracht. Dagegen findet man bei der Polizei kaum Angehörige von Minderheiten, eine Altlast der nationalistischen Regierung unter Slobodan Milosevic. Im März 2004 durchbrachen Demonstranten eine Polizeiabsperrung und steckten Belgrads einzige Moschee in Brand.
In Serbien existieren keine Gesetze gegen Verbrechen, die aus Hass oder Vorurteilen begangen werden und die strengere Strafen für ethnisch motivierte Gewalt vorsehen. Angriffe auf Minderheiten werden oft nur mit Ordnungsstrafen bedacht, die selten mehr als umgerechnet 17 Euro betragen, und Gefängnisstrafen beschränken sich auf zehn Tage. Laut Human Rights Watch vermittelt die serbische Regierung dadurch ihrer Bevölkerung, dass sie Gewalt gegen Minderheiten nicht besonders ernst nimmt. "Die Regierung sollte den Tätern und Opfern beweisen, dass sie Gewalt gegen Minderheiten nicht toleriert", sagte Cartner. "Es ist äußerst wichtig, ethnisch motivierte Übergriffe als solche zu deklarieren und die Verantwortlichen vor Gericht zu bringen."
Im neuen Bericht empfiehlt Human Rights Watch der serbischen Regierung, ihre Politik und ihre Gesetze zu ändern, um dadurch die Gewalt gegen Minderheiten einzuschränken. Belgrad sollte Angriffe auf Minderheiten unmissverständlich verurteilen, Gesetze gegen Verbrechen erlassen, die aus Hass oder Vorurteilen begangen werden, und mehr Angehörige von Minderheiten in die Polizei aufnehmen sowie die bestehenden Gesetze gewissenhafter anwenden.