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(Kabul, 15. September, 2005) – Der politische Prozess, der die Wahlen am 18. September einleitete, sei durch die Gewalt und die Einschüchterungsversuche der verschiedenen Kriegsherrn behindert worden, erklärte Human Rights Watch in einem neuen Bericht.

Die technischen Wahlvorbereitungen seien großteils erfolgreich gewesen, attestierte die Menschenrechtsorganisation, und die Wahlen würden wahrscheinlich ohne ernsthafte Unterbrechungen stattfinden – abgesehen von Angriffen durch aufständische Kräfte, die den Urnengang in einigen Gegenden stören könnten.

Trotzdem hätten viele Wähler und Kandidaten Angst, besonders in abgelegenen Gegenden, stellte Human Rights Watch in dem neuen Bericht „Afghanistan on the Eve of Parliamentary and Provincial Election" (Afghanistan am Vorabend der Parlaments- und Regionalwahlen) fest. Diese Atmosphäre der Furcht hätte das politische Klima im Vorfeld der Wahlen negativ beeinflusst. Viele Menschen in Afghanistan seien auch wegen der Tatsache besorgt, dass vermutliche Kriegsverbrecher und Missachter der Menschenrechte kandidieren, beziehungsweise im Hintergrund als Partei- und Fraktionsführer die Fäden ziehen.

„Die Menschen in Afghanistan haben großes Interesse an den Wahlen und hoffen, dass die Gewalt dadurch ein Ende findet“, erklärte Sam Zarifi, stellvertretender Leiter der Asienabteilung von Human Rights Watch. „Aber sie sind auch enttäuscht, dass die Regierung und ihre internationalen Verbündeten nicht erfolgreicher gegen die Kriegsherrn und andere Missachter der Menschenrechte vorgehen konnten.“

Human Rights Watch kritisierte die Taliban und die Milizen unter Gulbuddin Hekmatyar für ihre Angriffe auf Wahlhelfer, Kandidaten und Zivilisten – darunter auch islamische Kleriker, die sich positiv über die Regierung und die Wahlen äußerten. „Die Taliban und andere Milizen versuchen um die Wahlen herum ein Klima der Angst zu schaffen“, sagte Zarifi, indem sie Wahlhelfer, Kandidaten und Kleriker angreifen.“

Darüber hinaus stellte die Menschenrechtsorganisation fest, dass Frauen im politischen Leben mit zusätzlichen Hürden zu kämpfen haben. Laut einem im August veröffentlichten Bericht von Human Rights Watch können Kandidatinnen nicht ungehindert reisen oder öffentliche Wahlreden halten. (Campaigning against Fear: Women’s Participation in Afghanistan’s 2005 Elections. https://www.hrw.org/backgrounder/wrd/afghanistan0805/index.htm)

Der neue Bericht stützt sich auf mehr als einhundert Gespräche mit Kandidaten, Wahlorganisatoren und -beobachtern sowie Menschenrechtsaktivisten. Human Rights Watch zufolge sind viele Wähler und Kandidaten durch die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen und Einschüchterungsversuchen der Kriegsherrn verunsichert. Aus den Interviews würde hervorgehen, dass in vielen Teilen des Landes Selbstzensur herrscht. Mehrere Kandidaten sagten Human Rights Watch gegenüber, dass sie lokale Kommandanten und Kriegsherrn nicht öffentlich kritisieren würden, um sich nicht in Gefahr zu bringen. „Wenn wir eine Rede halten, wagen wir nicht die Namen dieser Leute zu erwähnen oder sie zu kritisieren“, erklärte ein Kandidat. „Wir beziehen uns nur entfernt auf sie und auf das Kriegsherrntum im Allgemeinen.“ Ein anderer erzählte: „Wir sprechen von vergangenen Verbrechen und davon, dass wir Experten statt Waffen brauchen. Das ist alles, was wir sagen können, ohne uns in Gefahr zu bringen.“

Mehrere Wahlkandidaten beschrieben, dass sie Angst hätten in ländliche Gebiete zu fahren, um ihre Wahlkampagne zu betreiben. Sie würden einerseits lokale Milizen und die Taliban fürchten sowie Angriffe von Aufständischen.

Wähler und Kandidaten im ganzen Land kritisierten laut Human Rights Watch, dass bekannte Militärkommandanten und Armeeführer zu den Wahlen antreten, obwohl sie in die Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen der vergangenen 25 Jahre verwickelt waren.

Abdul Rabb al-Rasul Sayyaf, Burhanuddin Rabbani, Mullah Taj Mohammad, Younis Qanooni, Haji Almas und Mullah Ezatullah – Kandidaten in Kabul und Umgebung – standen mit der Jamiat-e Islami-Fraktion in Verbindung, die Anfang der 90er Jahre in Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen während den Kämpfen in Kabul verwickelt war.

Sayed Mohammad Gulabzoi, Parlamentskandidat, war in den 80er Jahren als Minister in der von der Sowjetunion unterstützten afghanischen Regierung für die brutale Polizeieinheit zuständig.

Zu den Kandidaten, die ehemalige hohe Beamte und Kommandanten der Taliban waren gehören: Mohammed Khaksar, stellvertretender Innenminister, Wakil Ahmad Mutawakil, Außenmminister, und Qalamuddin, Minister für Sitte und Anstand, dessen Ministerium für die strengen sozialen Vorschriften zuständig war.

Die Wahlbehörden ließen 32 Personen nicht zu den Wahlen antreten, weil sie noch immer mit bewaffneten Gruppierungen in Verbindung standen. Aber dies galt nicht für höhere Kommandanten. Laut derzeitigem Wahlrecht können Personen nicht ausgeschlossen werden, wenn nur Vermutungen wegen begangenen Verbrechen bestehen.

Human Rights Watch appellierte an Beobachter, den Wahlvorgang mit internationalen Standards zu vergleichen. „Gewalt und Angst beeinflussen diese Wahlen“, kritisierte Zarifi, „wie sehr, ist schwierig festzustellen. Aber eine klare und gründliche Analyse dieser Wahlen wird notwendig sein, um in Zukunft einen besseren Wahlvorgang, der internationalen Standard entspricht, zu ermöglichen.“

Human Rights Watch forderte auch die afghanische Regierung und ihre internationalen Verbündeten auf, die Sicherheitsmaßnahmen und die Bemühungen zum Schutz der Menschenrechte während und nach den Wahlen zu verdoppeln, und appellierte an die Vereinten Nationen mehr Menschenrechtsarbeiter einzusetzen. Am wichtigsten sei aber, dass der Stand der ausländischen Truppen beibehalten wird, um vor möglichen Gewaltausbrüchen nach den Wahlen zu schützen. „Die Zahl der Soldaten darf nach den Wahlen nicht zu schnell reduziert werden“, betonte Zarifi. „Ein Ausbruch der Gewalt könnte den politischen Prozess zum Stagnieren bringen. Es ist wichtig, dass die internationalen Sicherheitskräfte im Land bleiben.“

Auch die sogenannte „Hinrichtungsklausel“ macht der Menschenrechtsorganisation Sorgen. Das afghanische Wahlrecht sieht vor, dass, wenn ein gewählter Kandidat stirbt, ein nicht gewählter Kandidat seinen Sitz einnehmen kann. „Diese Klausel muss gestrichen werden“, forderte Zarifi. „Das Letzte, was Afghanistan braucht, ist, dass die Wahlverlierer die -gewinner ermorden, um ihre Sitze einzunehmen.“

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