(Dschalalabad, Kirgisien, 27. Mai 2005) – Es ist die Pflicht der kirgisischen Regierung, usbekische Flüchtlinge zu versorgen, betonte Human Rights Watch in einer Aussendung. Menschen, die vor der tödlichen Gewalt der Sicherheitskräfte in Usbekistan fliehen mussten, dürfen nicht zur Rückkehr gezwungen werden.
Die Menschenrechtsorganisation forderte, dass sich die kirgisische Regierung klar und unmissverständlich – in Worten und Taten – zu den Asylsuchenden aus dem Nachbarland bekenne. Auch das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) sollte eng mit der Regierung von Kirgisien zusammenarbeiten, um die Flüchtlinge von der Grenze an einen sichereren Ort mit besseren Lebensbedingungen zu bringen.
„Kirgisien hat richtig gehandelt, als sie die erste Flüchtlingswelle in ihr Land gelassen haben“, erklärte Holly Cartner, Leiterin der Abteilung für Europa und Zentralasien von Human Rights Watch. „Aber die kirgisische Regierung muss auch das Recht auf Asyl respektieren. Wenn Menschen an der Grenze zurück nach Usbekistan gedrängt werden, kann das für sie Folter oder den Tod bedeuten.“
2003 stellte das UN-Komitee gegen Folter fest, dass Folter in Usbekistan systematisch ist.
Seit usbekische Sicherheitskräfte am 13. Mai in Andischan auf Demonstranten das Feuer eröffneten sind mehr als 500 Usbeken auf der Flucht. Berichten zufolge wurden bei den Auseinandersetzungen hunderte Menschen getötet und viele weitere verletzt. Die Flüchtlinge sind in der Region Dschalalabad im Süden von Kirgisien untergebracht. Laut Human Rights Watch werden sie jedoch wie Gefangene behandelt und dürfen das Lager kaum verlassen. Außerdem befände sich das Lager in einem umstrittenen Grenzgebiet.
Äußerungen des Gouverneurs von Djalalabad machen Human Rights Watch Sorgen. Angeblich erklärte er bei einer öffentlichen Versammlung, dass er es nicht gestatten würde, dass die usbekischen Flüchtlinge in der Region bleiben. „Es gehört zu unserer Tradition, Fremde wie Gäste zu behandeln. Aber nur für die ersten drei Tage, nicht länger. Diese Leute sollen in ihrem eigenen Land leben.“
„Diese feindselige Aussage eines hohen Beamten verdeutlicht leider auch die Einstellung der kirgisischen Regierung gegenüber Schutz suchenden Flüchtlingen“, erläuterte Cartner.
Mitarbeiter von Human Rights Watch besuchten das Flüchtlingslager im Grenzort Kara-Daria. Das Lager untersteht den kirgisischen Sicherheitskräften (SNB, Nachfolger des KGB). Laut der Menschenrechtsorganisation werden die Flüchtlinge wie Gefangene behandelt. Sie könnten nicht einfach kommen und gehen und dürften auch keine Handys benutzen. Im Lager herrschten auch unmenschliche Bedingungen und eine unzureichende Infrastruktur. Für 500 Flüchtlinge stünden nur zehn Zelte zur Verfügung und die Verpflegung sei unzureichend. Als Nahrung diente unter anderem von Schädlingen befallenes Getreide.
„Diese bedauernswerten Zustände bringen diese Menschen in Gefahr. Denn sie könnten gezwungen sein, zwischen Hunger in Kirgisien und Lebensgefahr in Usbekistan zu wählen“, so Cartner.
Die Menschenrechtsgruppe drückte ihre Besorgnis über diese Zustände aus und drängte die kirgisische Regierung sowie den UNHCR, das Lager an einem sichereren Ort neu zu errichten. Derzeit befindet sich die Zeltstadt im Niemandsland an der Grenze zu Usbekistan.
„Das Lager muss in ein besseres Gebiet verlegt werden“, forderte Cartner. „Die internationale Gemeinschaft sollte Kirgisien bei der Versorgung aller Flüchtlinge und Asylsuchenden unterstützen.“
Berichten zufolge gaben kirgisische Behörden Personendaten von Asylsuchenden an Usbekistan weiter. Human Rights Watch befürchtet, dass usbekische Behörden diese Informationen benutzen könnten, um gegen diese Personen vorzugehen, sobald sie wieder in ihrem Heimatland sind.
„Das Prinzip des Asyls wird zur Farce, wenn Kirgisien Personendaten an Usbekistan weitergibt“, kritisierte Cartner. Human Rights Watch forderte die kirgisische Regierung auch dazu auf, Auslieferungen nach Usbekistan abzulehen und den UNHCR den Status der Antragsteller mitbestimmen zu lassen.
Als Mitglied der Flüchtlingskonvention von 1951 ist Kirgisien verpflichtet, seine Grenzen offen zu halten und Personen, die verfolgt werden und denen Misshandlungen drohen, zumindest vorübergehend Zuflucht zu gewähren, bis der jeweilige Fall überprüft werden kann. Jemanden in ein Land zurückzusenden, wo die Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese Person gefoltert wird, ist eine Verletzung der Anti-Folter-Konvention. Kirgisien ratifizierte diese Konvention.