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Nach Jahrzehnten der Zurückhaltung findet Deutschland nun zu seiner Stimme in globalen Menschenrechtsfragen. Das Land und seine Regierung sind zunehmend ein wichtiger Verbündeter der Menschenrechtsbewegung geworden. Doch mit dem, was sie erreicht, bleibt die Bundesrepublik weit hinter ihren tatsächlichen Möglichkeiten zurück. Wie könnte eine aktivere deutsche Menschenrechtspolitik aussehen?

Deutschlands zentrale Rolle bei der Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) macht sein enormes Potenzial in Belangen der Menschenrechte deutlich. Keine andere Regierung hat sich so für eine weltweite Koalition zu Gunsten dieser Institution eingesetzt, die dafür sorgt, dass massenhaft begangene Verbrechen gegen die Menschlichkeit künftig nicht mehr ungestraft bleiben. Selbst als Washington alle Hebel in Bewegung setzte, um amerikanische Staatsangehörige vor dem Zugriff dieses Gerichts zu bewahren, stand die Bundesrepublik fest zu ihren Prinzipien, und ihr Widerstand wurde belohnt.

Auch für die Menschen in Darfur ist Deutschland entschieden eingetreten. Während dort Schätzungen zufolge jeden Monat 10 000 Zivilisten sterben, forderte Deutschland unermüdlich härtere Maßnahmen zur Verteidigung dieser Menschen. Dass die Vereinigten Staaten nach anfänglichem Widerstand dafür gewonnen werden konnten, die Verantwortlichen für die Menschenschlächterei in Darfur vor dem IStGH zur Rechenschaft zu ziehen, ist insbesondere der deutschen Politik zu verdanken. Dies ist nicht nur eine Frage rückwirkender Gerechtigkeit, sondern auch künftiger Abschreckung. Die Menschen in Darfur brauchen eine starke internationale Friedenstruppe, um vor dem sudanesischen Militär und den Milizen geschützt zu werden. Harte Sanktionen müssen angedroht werden, falls Khartum die Killer nicht zurückpfeift. Bisher war es der Afrikanischen Union (AU) überlassen, eine Schutztruppe für Darfur aufzustellen. Monate vergingen, bevor wenigstens zwei Drittel der genehmigten 3 300 Friedenskämpfer einsatzbereit waren. Mindestens drei- mal so viele sind nötig, um das Morden zu beenden. Berlin und seine Verbündeten sollten sich nicht hinter der AU verstecken, sondern selbst aktiv werden und eine Truppe aufstellen, die groß genug ist, um das Töten in Darfur zu stoppen.

In den vergangenen Jahren hat die Bundesrepublik ihre Zurückhaltung überwunden und wichtige Schritte unternommen, um eigene Friedenstruppen in Krisengebiete zu entsenden. Bosnien und Afghanistan waren bisher die Nutznießer. Doch was den Sudan betrifft, hat Berlin nur 75 unbewaffnete Militärbeobachter angeboten. Selbst diese sollen im Südsudan stationiert werden, wo der Krieg so gut wie beendet ist, und nicht in Darfur, wo die mörderischen Kämpfe toben. Die deutsche Regierung sollte unter ihren wichtigsten Partnern eine internationale Koalition initiieren, die sich bereit erklärt, der AU umgehend mit einer eigenen bewaffneten Schutztruppe beizustehen. Um die Einwilligung Khartums zu erlangen, könnte man ähnlich wie im Fall Indonesiens vorgehen, das 1999 der Stationierung von Friedenstruppen in Ost-Timor zustimmte: Der politischen Führung könnte mit Strafverfolgung wegen Komplizenschaft im Zusammenhang mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit gedroht werden, falls sie internationale Streitkräfte blockiert, die dem Massenmorden Einhalt gebieten wollen.

Deutschlands Stimme und Einfluss werden auch in anderen Krisenherden der Welt stärker als bisher benötigt. Die Bundesregierung nutzt ihre besondere Beziehung zu Wladimir Putin zu wenig, um Druck auf den russischen Präsidenten auszuüben, damit er die abscheulichen Gräueltaten in Tschetschenien beendet, und um der zunehmenden Einengung des politischen Pluralismus im übrigen Russland entgegenzuwirken.

Durch ihr Streben nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat ist die Bundesrepublik so sehr darauf bedacht, sich keine Feinde zu machen, dass sie sich auch in anderen bedeutenden Menschenrechtsfragen lieber bedeckt hält. Bei der Tagung der UN-Menschenrechtskommission diesen Monat in Genf wurde mit Hilfe der deutschen Delegation eine gemeinsame Erklärung der Europäischen Union blockiert, die das öffentliche Einschreiten gegen Repressionen in Usbekistan forderte. Als Vertreter der EU knickten deutsche Delegierte unter dem Druck der USA ein und lehnten die Verlängerung des Mandats für einen unabhängigen Experten in Afghanistan ab.

Auch zu den Folterungen und unmenschlichen Verhörmethoden der Bush-Administration schwieg die Bundesregierung meist - ein Verhalten, das eine der elementaren Säulen des internationalen Menschenrechtsschutzes untergräbt.

Deutschland sollte auch einmal seine Bereitschaft überdenken, Menschen aus anderen Ländern an Regierungen auszuliefern, die sie misshandeln könnten. Berlin beruft sich in solchen Fällen auf die diplomatische Zusicherung der anderen Regierung, die ihr ausgelieferte Person menschlich zu behandeln und ihr einen fairen Prozess zu machen. Doch wie glaubwürdig sind solche Zusagen?

Die deutsche Stimme fällt auch ins Gewicht, wenn es darum geht, die Architektur des Menschenrechtsschutzes, insbesondere bei den Vereinten Nationen, zu verbessern. Die Bundesrepublik sollte den unlängst von der UN-Reformkommission unterbreiteten Vorschlag mittragen, der vorsieht, dass ständige Mitglieder des Sicherheitsrates bei Völkermord oder ähnlichen massenhaften Gräueltaten auf ihr Vetorecht verzichten. Der mit diesem Recht betriebene Missbrauch ist eine der wichtigsten Ursachen für die Behinderung effektiver Maßnahmen des Rates in Notsituationen, in denen Menschenrechte mit Füssen getreten werden.

Ferner sollte die Bundesrepublik UN-Generalsekretär Kofi Annans Empfehlung unterstützen, die bisherige UN-Kommission für Menschenrechte durch einen Rat für Menschenrechte zu ersetzen. Die Kommission wurde zu einem Hafen für misshandelnde Regierungen, die es darauf anlegten, die Verteidigung der Menschenrechte ins Leere laufen zu lassen. Statt wie bisher für sechs Wochen jährlich zu tagen, würde sich der ständige Menschenrechtsrat das ganze Jahr über treffen und könnte so viel schneller auf Notsituationen reagieren sowie die Einhaltung früherer Empfehlungen dauerhafter überprüfen. Die Forderung, die Ratsmitglieder mit Zwei-Drittel-Mehrheit von der UN-Vollversammlung wählen zu lassen, würde auch zu mehr Glaubwürdigkeit des Rates bei der Verteidigung der Menschenrechte führen.

In all diesen und anderen Menschenrechtsfragen verfügt Deutschland über ein enormes Führungspotenzial. Um Deutschland darin zu bestärken, wird Human Rights Watch demnächst in Berlin ein Büro eröffnen. Durch den täglichen Kontakt mit der deutschen Regierung und der Bevölkerung wird die Arbeit der Organisation erleichtert. Wir freuen uns darauf, unsere fruchtbare Partnerschaft mit Deutschland weiter zu vertiefen und weltweit auf eine noch effektivere Verteidigung der Menschenrechte hinzuarbeiten.

Übersetzung: Eva C. Koppold

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