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Spanien: Im Kampf gegen Terrorismus Menschenrechte verletzt

Antiterrorismusmaßnahmen erfordern besseren Schutz der Rechte von Terrorismusverdächtigen

In einem heute erschienen Bericht kritisiert Human Rights Watch die Methoden Spaniens im Kampf gegen den Terrorismus. Zwar sei es lobenswert, dass mutmaßliche Terroristen über das Strafrechtssystem verurteilt werden, aber grundlegende Rechte der Angeklagten würden dabei dennoch verletzt.

Der 65-seitige Bericht „Setting an Example?: Counter-Terrorism Measures in
Spain", untersucht verschiedene Aspekte des spanischen Strafrechts, wie zum Beispiel die bedenkliche Praxis der Isolationshaft, der geheimen rechtlichen Verfahren, des eingeschränkten Rechts auf einen Anwalt in Untersuchungshaft sowie der langwierigen Untersuchungshaft, die nicht internationalen Menschenrechtsstandards entsprechen.

Der Bericht konzentriert sich auf das komplexe Strafverfahren gegen die Mitglieder einer angeblichen Al-Quaida-Zelle, sowie auf die anhaltenden Ermittlungen zu den verheerenden Bombenanschlägen, die sich am 11. März 2004 in Madrid ereigneten. Während Terrorismusverdächtige in den USA oder in Großbritannien ohne Hoffnung auf ein Gerichtsverfahren quasi auf unbestimmte Zeit festgehalten werden, begegnet Spanien dem Terrorismus fast ausschliesslich durch strafrechtliche Prozesse. Im Hinblick auf Terrorismusbekämpfung bei gleichzeitiger Wahrung der Menschenrechte versteht Spanien sich als Vorbild für andere Staaten.

„Natürlich ist es sehr lobenswert, dass Spanien dem Terrorismus durch Strafverfahren begegnet,“ sagte Rachel Denber, Direktorin der Europa- und Zentralasienabteilung von Human Rights Watch. „Aber die Regierung muss sicherstellen, dass Terrorismusverdächtige auch die vollen Prozessrechte genießen, die unerlässlich für eine effektive Verteidigung sind. Nur wenn diese Rechte gesichert sind, kann Spanien Vorbild im Kampf gegen den Terrorismus sein.“

Die Anschläge auf die Madrider Züge vom 11. März machen deutlich, dass es in Europa eine Terrorismusgefahr gibt. Terroristische Anschläge stellen eine schwere Menschenrechtsverletzung dar. Aber die Art und Weise wie in Spanien mit den mutmaßlichen Bombenlegern vom 11. März und Al-Quaida-Mitgliedern im allgemeinen umgegangen wird, zeigt auch eine andere Gefahr, die Umgehung der Menschenrechte im Namen der Terrorismusbekämpfung.

Spaniens Antiterrormaßnahmen, die ursprünglich als Antwort auf die Gewalt der baskischen Separatisten entwickelt wurden, schränken die Rechte von mutmaßlichen Terroristen in der Haft massiv ein. Bis zu 13 Tage lang kann ein Verdächtiger in Isolationshaft gehalten werden, ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand oder die Möglichkeit Familienmitglieder zu benachrichtigen zu haben. Vor November 2003 lag die Grenze noch bei 5 Tagen. Den Verdächtigen wird während der ersten Zeit zwar ein Pflichtverteidiger bestellt, der aber nicht vertraulich mit ihm sprechen darf. Aus diesem Grunde sind die Anwälte nicht viel mehr als „stumme Zeugen“, und es wird ihnen sehr schwer gemacht, etwa die Haftgründe anzufechten.

Die Maßnahmen zum Schutz der Häftlinge, wie zum Beispiel regelmäßige Besuche von Gerichtsärzten, genügen nicht den internationalen Standards, obwohl es den Inhaftierten seit einer Reform im November 2003 erlaubt ist, noch einen zweiten Arzt hinzuzuziehen. Verdächtige können bis zu fünf Tagen festgehalten werden, bevor sie einem Richter vorgeführt werden. Internationale Menschenrechtsorganisationen gehen davon aus, dass Isolationshaft die Betroffenen automatisch einem höheren Missbrauchsrisiko aussetzt. Die Tatsache, dass die spanischen Behörden bei Misshandlungsfällen oft nur sehr oberflächlich ermitteln, stellt noch ein zusätzliches Problem dar.

Durch den stark eingeschränken Zugang zu einem Rechtsbeistand während der Isolationshaft sowie durch die Geheimhaltung von rechtlichen Verfahren, ist vielen Terrorismusverdächtigen eine angemessene Verteidigung gar nicht möglich. Oftmals werden die relevenaten Dokumente derart unter Verschluss gehalten, dass viele Anwälte gar nicht wissen, warum ihr Mandant festgehalten wird.

Auch die zulässige Dauer der Untersuchungshaft ist ein Grund zur Sorge: Terrorismusverdächtige können bis zu vier Jahre inhaftiert bleiben, bevor ihr Hauptverfahren beginnt. Sie müssen sich gewöhnlich einer rigorosen Haftordnung unterordnen, die ihnen kaum Kontakt mit anderen Gefangenen ermöglicht und Aufenthalte außerhalb der Zelle stark einschränkt.

Die Bombenanschläge vom 11. März wurden von Human Rights Watch als Angriff auf die Grundprinzipien der Menschenrechte verurteilt. Die Menschenrechtsorganisation sprach den Opfern und ihren Familien sowie ganz Spanien ihr Mitgefühl und Beileid aus.

“Die Opfer der schrecklichen Ereignisse vom 11. März und anderer terroristischer Akte haben jedes Recht, die Verantwortlichen verurteilt zu sehen,“ erklärte Denber. „Spanien muss seine Bürger vor solchen Verbrechen schützen. Dabei darf aber der Respekt für die Grundrechte nicht auf der Strecke bleiben – und auch mutmaßliche Terroristen haben das Recht auf eine faire Behandlung vor und während ihres Prozesses.

Der Bericht enthält unter anderem folgende konkrete Empfehlungen an die spanische Regierung, die Spanien helfen sollen, seiner Verantwortung im Hinblick auf internationale Menschenrechtsnormen künftig gerecht zu werden:

  • Es ist sicherzustellen, dass alle Häftlinge unverzüglich nach ihrer Verhaftung Zugang zu einem Anwalt haben und auch unter vier Augen mit diesem sprechen können.
  • Es ist sicherzustellen, dass Pflichtverteidiger ermächtigt sind, im Namen ihrer Mandanten in allen Stadien des polizeilichen Gewahrsams und des Strafverfahrens einzuschreiten.
  • Die Zahl der geheimen Verfahren muss massiv zurückgehen.
  • Es muss darauf geachtet werden, dass die Gerichtsverfahren innerhalb der normalen 2-Jahresfrist beginnen, vor allem, wenn sich der Angeklagte in Untersuchungshaft befindet.
  • Außerdem ist sicherzustellen, dass die Haftbedingungen internationalen Standards entsprechen.

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