- Ein von der britischen Regierung aufgesetzter Fonds zur Entschädigung der Opfer des „Windrush-Skandals“ versagt diesen die benötigte Hilfe und verletzt ihr Recht auf wirksame Abhilfe für erlittene Menschenrechtsverletzungen.
- Die Windrush-Generation, die seit Jahrzehnten im Vereinigten Königreich lebt, ist in den letzten Jahren plötzlich aufgefordert, mittels unmöglich zu erfüllender Auflagen ihren Aufenthaltsstatus zu belegen, und hat dadurch mit einschneidenden Verlusten zu kämpfen.
- Über die Einrichtung eines unabhängigen Entschädigungsfonds hinaus bedarf es aufgrund der erheblichen Verzögerungen im Antragsverfahren auch einer transparenten und unabhängigen Aufsicht, um Betroffenen Zugang zu Rechtsmitteln und Einspruchsrechten vor unabhängigen Gerichten zu gewähren, da der aktuelle Entschädigungsfonds von derselben Behörde verwaltet wird, die für das Problem verantwortlich ist.
(London, 17. April 2023) – Ein von der britischen Regierung eingerichteter Entschädigungsfonds für die Opfer des „Windrush-Skandals“ versagt diesen die benötigte Hilfe und verletzt ihr Recht auf eine wirksame Abhilfe für erlittene Menschenrechtsverletzungen durch das Innenministerium.
Am 17. Mai 2018 entschuldigte sich die damalige Premierministerin Theresa May für den Skandal, im Zuge dessen Angehörige der Windrush-Generation – Schwarze Brit*innen, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Karibik ins Vereinigte Königreich eingewandert waren und dort jahrzehntelang gelebt und gearbeitet haben – plötzlich aufgefordert waren, ihren Aufenthaltsstatus oder ihren Anspruch auf die britische Staatsangehörigkeit zu belegen. Dazu werden von den Behörden allerdings unmöglich zu erbringende Nachweise verlangt. Aufgrund des Behördenversagens haben viele ihre Arbeit, ihren Job, ihre Krankenversicherung, ihre Renten und ihren Anspruch auf staatliche Unterstützungsleistungen verloren. Opfer wurden oftmals verhaftet, abgeschoben und von ihren Familien getrennt.
„Fünf Jahre nach Bekanntwerden des Windrush-Skandals verschärft sich durch den Entschädigungsfonds des Innenministeriums die ungerechte Behandlung der Betroffenen, indem Kläger*innen das Recht auf Abhilfe für die einschneidenden Verluste und die sonstigen Beeinträchtigungen, die ihr Leben seit Jahren in Beschlag halten, verweigert wird“, sagte Almaz Teffera, Researcherin zu Rassismus in Europa bei Human Rights Watch. „Die britische Regierung sollte die Verwaltung des Entschädigungsfonds einer unabhängigen Stelle überlassen, die jedem Kläger eine faire und unabhängige Anhörung gewährleistet.“
Als Teil der Wiedergutmachungsbestrebungen der britischen Regierung richtete das Innenministerium im April 2019 den Windrush-Entschädigungsfonds ein, um Mitglieder und Familienangehörige der Windrush-Generation für die erlittenen Verluste und Notlagen zu entschädigen, nachdem sie ihren legalen Aufenthaltsstatus im Vereinigten Königreich nicht hatten nachweisen können. Die Windrush-Generation war, mit entsprechenden Rechten ausgestattet, nach dem Zweiten Weltkrieg ins Vereinigte Königreich eingewandert, um dort zu leben und zu arbeiten. Ihr Name leitet sich von der HMT Empire Windrush ab, dem Schiff, mit dem sie die Reise ins Vereinigte Königreich antraten.
Human Rights Watch sprach im Februar 2023 mit mehr als einem Dutzend Personen, die entweder unmittelbar Einsicht in den Klageprozess haben oder selbst als Kläger*innen auftreten, und kam zu dem Schluss, dass der Fonds seinem Zweck nicht genügt und dringend reformiert werden muss, um die Rechte der Kläger*innen angemessen zu schützen. Der Fonds sollte durch eine unabhängige Stelle verwaltet werden und Kläger*innen aufgrund des komplexen Antragsverfahrens die Inanspruchnahme rechtlicher Hilfe ermöglichen. Außerdem sollten die unangemessen hohe Beweislast für Antragsteller*innen gemindert und wirksame Rechtsmittel zur Verfügung gestellt werden, um Einsprüche gegen willkürliche Entscheidungen der Behörde zu ermöglichen. Stand Januar 2023 hatten gerade mal 12,8 Prozent der geschätzten 11.500 Anspruchsberechtigten eine Entschädigung erhalten.
Unter den Befragten stimmte eine ganz überwiegende Mehrheit darin überein, dass – so die Worte einer Kläger*in – der Entschädigungsfonds „so angelegt ist, dass er ausgerechnet denjenigen, die ihn in Anspruch nehmen sollen, die Hilfe versagt“.
Der Windrush-Skandal wurde 2017 aufgedeckt und im April 2018 einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Betroffen waren Tausende Staatsbürger*innen und Menschen, die seit Langem legal im Land leben. Sie waren ab 1948 als britische Bürger*innen oder als Bürger*innen ehemaliger britischer Kolonien ins Vereinigte Königreich gekommen, sind aber im Zeitraum von 2010 bis heute der sogenannten Politik der feindseligen Umgebung („hostile environment policy“) zum Opfer gefallen. Damit wird eine Reihe staatlicher Verordnungen in der britischen Einwanderungsgesetzgebung bezeichnet, die darauf abzielt, Personen, die ihren legalen Einwanderungsstatus nicht nachweisen können, aus allen sozialen Sicherungssystemen auszuschließen. Erklärtes Ziel war es dabei, die Anforderungen so strikt zu definieren, dass betroffene Menschen sich dafür entscheiden, das Land zu verlassen.
Obwohl der aus der Karibik eingewanderten Windrush-Generation dauerhafte Aufenthalts- und Arbeitstitel zugestanden wurden, hatte das Innenministerium es versäumt, ihnen entsprechende Papiere als Nachweis ihres rechtmäßigen Aufenthaltsstatus auszustellen.
2022 gelangte eine vom Innenministerium in Auftrag gegebene und unter Verschluss gehaltene Stellungnahme eines Historikers an die Öffentlichkeit. Im geleakten Dokument heißt es, dass „im Zeitraum 1950 bis 1981 jede einzelne Rechtsvorschrift in den Bereichen Einwanderung oder Staatsbürgerschaft zumindest zum Teil darauf ausgerichtet war, die Zahl der Menschen mit schwarzer oder brauner Hautfarbe zu reduzieren, die rechtmäßig im Vereinigten Königreich leben und arbeiten konnten“. Effektiv wurden damit die Bürger*innen ehemaliger Kolonien nicht als Teil des Vereinigten Königreichs definiert. Gegenüber Human Rights Watch verwies das Innenministerium darauf, dass die in dem Bericht geäußerten Ansichten ausschließlich die des Autors und damit keine offizielle Position der Behörde seien.
Wendy Williams zufolge, Autorin des Untersuchungsberichts „Windrush Lessons Learned Review“, spiegelt die Schaffung einer feindseligen Umgebung in der Migrationspolitik „institutionelle Ignoranz und Gedankenlosigkeit gegenüber der Frage von ‚Race‘ und der Geschichte der Windrush-Generation im [Innenministerium wider … und erfüllt] zum Teil die Definition für institutionellen Rassismus“.
Das Innenministerium räumte später ein, dass sich die erlassenen Richtlinien unverhältnismäßig stark auf ethnische Minderheiten auswirken würden.
2020 verließ eine Schwarze leitende Beamtin des Innenministeriums die für die Bearbeitung der Windrush-Entschädigungen zuständige Abteilung – in Reaktion auf den, wie sie es nannte, „vollständigen Mangel an Mitmenschlichkeit“ gegenüber den Windrush-Kläger*innen. Im Innenministerium habe sie eine Kultur des Rassismus erlebt.
Human Rights Watch übersandte am 10. März 2023 dem Innenministerium eine Zusammenfassung seiner Erkenntnisse mit der Bitte um Stellungnahme. Eine Antwort lag am 4. April vor.
Auf Grundlage der britischen Menschenrechtscharta steht im Inland das Recht auf wirksame Abhilfe bereit. Dieses Recht, das im Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährt wird, erfordert, dass Beschwerdemechanismen angemessen, zeitnah und zugänglich sind. Ein ähnliches Recht ist auch im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte sowie im Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung enthalten, die beide im Vereinigten Königreich rechtlich bindend sind.
Der UN-Ausschuss gegen Folter griff den Windrush-Skandal in seiner letzten Überprüfung des Vereinigten Königreichs 2019 auf und bemängelte die „über Jahre währende schlechte Behandlung von Menschen aus der Karibik und anderen Teilen des Commonwealth durch Migrationsbeamte und andere offizielle Stellen im Vereinigten Königreich [… Dazu zählten auch] Inhaftierung und Vorenthaltung des Zugangs zu Gesundheitsleistungen und Unterkunft“.
Die UN-Arbeitsgruppe von Sachverständigen für Menschen afrikanischer Abstammung sagte nach ihrem Besuch des Vereinigten Königreichs im Januar 2023, dass die Windrush-Generation „irreparablen Schaden“ erlitten habe und dass Abhilfe „zwingend geboten“ sei. Sie empfahl: „Entschädigungen und die Wiederherstellung der Rechte von Windrush-Klägern sollten ebenso einfach erfolgen, ohne komplexe Antragsstellung oder Meldepflichten, wobei im Zweifel im Sinne der Kläger gehandelt werden sollte.
„Das Versagen des Windrush-Entschädigungsfonds und der Skandal selbst sind eng verwoben mit einem nicht aufgearbeiteten institutionellen Rassismus, der seit der Zeit des Britischen Empires besteht“, sagte Teffera. „Um weitere Skandale im Stile von Windrush zu vermeiden, sollte die britische Regierung ihr Migrationssystem dringend reformieren, um Bedenken im In- und Ausland hinsichtlich eines tief verwurzelten Rassismus Rechnung zu tragen.“