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Social Audits sind kein Gegenmittel für Arbeitsrechtsverletzungen in Lieferketten

Gesetzesvorschläge in der EU und darüber hinaus sollten ein durchdachtes Maßnahmenpaket vorsehen

Arbeiterin aus Bangladesch in einer Bekleidungsfabrik am Rande von Dhaka, Bangladesch, am 2. November 2022. © 2022 Habibur Rahman/Abaca/Sipa USA (Sipa via AP Images)

(Brüssel) – Social Audits und Zertifizierungen von Lieferanten reichen nicht aus, um Arbeitsrechtsverletzungen in globalen Lieferketten zu verhindern und entsprechende Abhilfe zu schaffen, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.

Der 28-seitige Bericht, „‘Obsessed with Audit Tools, Missing the Goal’: Why Social Audits Can’t Fix Labor Rights Abuses in Global Supply Chains“ (dt. etwa: Besessen von Audits, verfehlte Ziele: Warum Social Audits keine Abhilfe bei Arbeitsrechtsverletzungen in globalen Lieferketten schaffen) beleuchtet die Probleme mit Social Audits und Zertifizierungen für Lieferanten, auch im Bekleidungssektor, wobei der Fokus auf Arbeitsrechtsverletzungen liegt. Politische Entscheidungsträger*innen in der Europäischen Union und anderswo, die gesetzlich sicherstellen wollen, dass Unternehmen Rechte und Umweltstandards in ihren eigenen Betrieben und globalen Wertschöpfungsketten einhalten, sollten solche Audits oder Zertifizierungen nicht als ausreichenden Nachweis der Einhaltung betrachten.

„Politische Entscheidungsträger und Unternehmen sollten Social Audits und Zertifizierungen von Zulieferern nicht mit einem Nachweis erfüllter umweltbezogener und menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten verwechseln“, erklärte Aruna Kashyap, stellvertretende Direktorin der Abteilung Wirtschaftliche Gerechtigkeit und Rechte bei Human Rights Watch. „Unternehmen sollten sich der Probleme im Zusammenhang mit Social Audits und Zertifizierungen bewusst sein und kluge Entscheidungen darüber treffen, welche Ressourcen sie in die menschenrechtliche Sorgfaltsprüfung investieren.“

Viele globale Marken und Einzelhändler beziehen ihre Produkte aus Fabriken in der ganzen Welt und verlassen sich auf Social Audits von Lieferanten, wohlbemerkt durch private Unternehmen, und auf Zertifizierungssysteme, die auf solchen Audits basieren, um zu ermitteln, ob freiwillige Verhaltenskodizes auch tatsächlich eingehalten werden. Diese Kodizes haben entweder die Marken selbst im Rahmen von Multistakeholder-Initiativen erstellt oder sie wurden im Rahmen bestimmter Audit- oder Zertifizierungsprogramme entwickelt.

Internationale Arbeitsrechtsstandards werden dabei in unterschiedlichem Maße berücksichtigt. Social Audits und Zertifizierungen kommen zwar vermehrt zum Einsatz, sind aber auch umstritten, da sie nicht wirklich als unabhängig gelten, sondern von den Marken und Zulieferern selbst stark beeinflusst und oft auch finanziert werden.

Human Rights Watch hat mit 20 aktuellen oder ehemaligen Auditor*innen gesprochen, von denen viele über zehn Jahre lang Social Audits bei Zulieferern in zahlreichen Ländern und verschiedenen Branchen, einschließlich der Bekleidungsindustrie, durchgeführt haben, sowie mit weiteren Expert*innen aus der Bekleidungsindustrie. Human Rights Watch hat außerdem Berichte über Social Audits analysiert und wissenschaftliche Analysen zu solchen Berichten geprüft.

Social Audits, die nur wenige Tage dauern, bergen ebenso wie die daraus resultierenden Zertifizierungen ein größeres Risiko dafür, dass Arbeitsrechtsverstöße, insbesondere Diskriminierung und Belästigung, Zwangsarbeit, Kinderarbeit sowie Einschränkungen der Vereinigungsfreiheit, unentdeckt bleiben, so Human Rights Watch.

Verschiedenen Auditor*innen und Branchenexpert*innen zufolge werden deutlich häufiger „traditionelle“ oder „Standard“-Social Audits, die nur ein paar Tage dauern, in Auftrag gegeben als teure umfassende Audits, die von spezialisierten „Boutique-Beratungsfirmen“ durchgeführt werden. Der hohe Druck, die Kosten zu senken, beschneide zudem die Zeit, die Auditor*innen zur Verfügung steht, um Mitarbeiter*innen außerhalb des Unternehmens in sicheren Umgebungen zu befragen und Nachforschungen anzustellen, Hinweisen nachzugehen und Beweise für Verstöße gegen Arbeitsrechte zu sammeln. Einer befragten Person zufolge geben Marken nur dann ausführliche Audits in Auftrag, „wenn die Marken der Auffassung sind, dass permanente, gravierende Probleme vorliegen“.

Laut Auditor*innen in verschiedenen Ländern können Interessenkonflikte zwischen dem Audit-Unternehmen und dem zahlenden Kunden zu einer Verzerrung des Audit-Verlaufs führen. Sie hatten zudem den Eindruck, dass dies umso mehr der Fall sei, wenn die Audit-Unternehmen nicht von den Marken selbst, sondern von Lieferanten bezahlt und beauftragt werden. So habe man die Auditor*innen aufgefordert, Feststellungen zu streichen oder schwerwiegendere Verstöße mündlich oder separat in E-Mails zu kommunizieren, sie aber im Audit-Bericht selbst unerwähnt zu lassen.

Human Rights Watch und andere Organisationen haben festgestellt, dass viele Zulieferer, die natürlich an guten Social Audit-Berichten oder an einer Zertifizierung interessiert sind, versucht haben, die tatsächlichen Arbeitsbedingungen während der Audits zu verschleiern. Wurde ein Audit im Voraus angekündigt, war das Risiko einer fingierten Arbeitsumgebung noch höher.

Mehrere Auditor*innen erklärten, dass zahlreiche Beratungsfirmen in unterschiedlichen Ländern dazu beitragen, das Social Audit-System zu „manipulieren“, indem sie Fabriken bei der „Vorbereitung“ auf das eigentliche Audit unterstützen. Dazu schulen sie Mitarbeiter*innen und Management hinsichtlich der Beantwortung von Fragen und unterstützen sie bei der Erstellung gefälschter Unterlagen.

Human Rights Watch fand heraus, dass Geschäftspraktiken, die darauf abzielen, die Kosten niedrig zu halten oder die für die Herstellung von Produkten benötigte Zeit zu verkürzen, Arbeitsrechtsverstöße begünstigen können. Dadurch werden falsche Anreize für Zulieferer geschaffen, auf entsprechende Beratungsfirmen zurückzugreifen, um sich auf das Audit „vorzubereiten“ und irreführende Angaben zu machen.

Auch bei einem gründlichen Audit erhält nur die Partei, die für das Audit bezahlt hat – sei es ein Zulieferer, eine Marke oder ein Multistakeholder-Gremium –, Zugang zu den Ergebnissen und vorgeschlagenen Korrekturmaßnahmen. Welche Maßnahmen zur Abhilfe ergriffen werden, hängt wiederum davon ab, wie der Lieferant und die Marken, die von ihm beziehen, auf die Audit-Ergebnisse reagieren.

Unternehmen, die Waren von Zulieferern beziehen, sollten zumindest auf Korrekturmaßnahmen hinarbeiten und eine Reihe von Warnungen und Konsequenzen aussprechen. Bei mangelndem Fortschritt sollten sie die Geschäftsbeziehungen auf eine verantwortungsvolle Art und Weise beenden, um den Schaden für die Arbeiter*innen zu minimieren, so Human Rights Watch.

Die Audit- und Zertifizierungsbranche ist weitgehend undurchsichtig, so Human Rights Watch. So sind Social Audit-Berichte über Zulieferer zum Beispiel nicht öffentlich zugänglich. Im Falle von Zertifizierungen ist oft nicht klar, warum und wie ein bestimmtes Werk zertifiziert wurde. Sie dienen jedenfalls nicht dazu, Vertrauen bei den relevanten Interessengruppen, insbesondere den Arbeitnehmer*innen, aufzubauen. Darüber hinaus haben lokale Gewerkschaften und Organisationen für Arbeitnehmerrechte keine Möglichkeit, den Fortschritt von Abhilfemaßnahmen zu überwachen.

Unternehmen, die Social Audits und Zertifizierungen in Auftrag geben, sollten nicht nur die Ergebnisse und Abhilfemaßnahmen veröffentlichen, sondern auch offenlegen, wer für das Audit bezahlt hat und was die Kosten abdecken. Sie sollten darüber hinaus offenlegen, wer die Firma mit der Durchführung des Audits beauftragt hat, wie sich das Auditteam zusammensetzt – bezogen auf die Geschlechtervielfalt, aber auch auf dessen Sprachkenntnisse – und welche Fachkenntnisse die Auditor*innen im Bereich des zu prüfenden Gegenstands mitbringen. Auch sollte die angewandte Methodik beschrieben werden, einschließlich der Frage, ob ausführliche Interviews mit Arbeitnehmer*innen außerhalb des Unternehmens durchgeführt wurden, sowie der Umfang des Audits, beispielsweise die dafür vorgesehene Zeit und die abgedeckten Themen.

Unternehmen sollten gesetzlich verpflichtet werden, im Rahmen der menschenrechtlichen Sorgfaltsprüfung ein gemeinsam mit entsprechenden Interessengruppen, wie Gewerkschaften und Basisorganisationen, sorgfältig zusammengestelltes Paket an Instrumenten zu verwenden. Unternehmen sollten verpflichtet sein, ihre Lieferketten offenzulegen und wirksame und zugängliche Mechanismen zur Beseitigung von Missständen in dem Land zu entwickeln, in dem die Unternehmen einkaufen. Außerdem sollten Unternehmen sicherstellen, dass die Einkaufspraktiken ihrer menschenrechtlichen Verantwortung gerecht werden. Unternehmen, die Social Audits und Zertifizierungen in Auftrag geben, sollten gesetzlich verpflichtet werden, die Ergebnisse und Korrekturmaßnahmen zu veröffentlichen.

Schließlich sollten Unternehmen auch gesetzlich verpflichtet werden, klare Richtlinien und Verfahren zur Behebung von Missständen zu entwickeln. Werden diese nicht behoben, sollten die Unternehmen entsprechende Maßnahmen ergreifen, etwa die Zusammenarbeit mit einem Zulieferer auf verantwortungsvolle Art und Weise beenden. Dabei sind vor allem Schäden für Arbeitnehmer*innen und lokale Gemeinschaften zu vermeiden.

„Unternehmen sollten die Einhaltung von Menschenrechtsstandards in ihren eigenen Betrieben oder globalen Lieferketten nicht ausschließlich mithilfe von Social Audits und Zertifizierungen belegen“, so Kashyap. „Politische Entscheidungsträger und Regulierungsbehörden sollten Unternehmen nicht von verwaltungsrechtlichen Sanktionen oder zivilrechtlicher Haftung befreien, nur weil sie sich einem Audit unterzogen haben oder zertifiziert wurden.“

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