Ich bin eine US-Amerikanerin, die in Mailand lebt. Das bedeutet, dass mein Telefon und mein E-Mail-Konto quasi explodierten wegen der vielen Gedanken, ob das, was in Italien zurzeit geschieht, nun vernünftig, übertrieben oder einfach unvermeidbar ist.
Italien verzeichnet nach China die höchste Zahl an Menschen, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben. Bis zum 15. März wurden in Italien 27.980 Fälle registriert, wobei 23.073 Menschen derzeit erkrankt und 2.158 gestorben sind. Daher haben die italienischen Behörden die restriktivsten Maßnahmen aller Länder nach China zur Eindämmung des neuartigen Coronavirus ergriffen. Mittlerweile folgen viele andere Länder in Europa diesem Beispiel, angefangen mit Spanien und Frankreich. Auch die USA haben ähnliche Schritte eingeleitet.
Seit dem 11. März sind alle Bars, Restaurants sowie die meisten Geschäfte im ganzen Land geschlossen. Lebensmittelgeschäfte und Apotheken haben weiterhin geöffnet, ebenso wie einige Zeitungskioske und – wir sind schließlich in Italien - Tabakläden. Da alle Menschen aufgefordert sind, zu Hause zu bleiben, sind die Straßen leer im sonst so lauten und verschmutzten Mailand. Schilder in den Schaufenstern der Supermärkte fordern die Menschen dazu auf, einen Meter Abstand voneinander zu halten, und Sicherheitspersonal kontrolliert, wie viele Personen auf einmal einen Laden betreten dürfen. Ich stand kürzlich an, um Milch und Nudeln zu kaufen. Ich stand in in einer ordentlichen Schlange von etwa 20 Leuten, die einmal um den ganzen Häuserblock ging, da wir alle den entsprechenden Abstand zueinander hielten. Um ihre Großeltern zu schützen, halten viele junge Menschen sich von ihnen fern, auch wenn dies eine schmerzhafte Maßnahme ist.
Meine Söhne, 11, 17 und 18 Jahre alt, haben seit dem 21. Februar keinen Fuß in die Schule hier in Mailand gesetzt. Gemäß einer kürzlich erlassenen Verordnung wurden alle Schulen und Universitäten im ganzen Land bis mindestens 3. April geschlossen. Ich habe buchstäblich Hunderte von Whatsapp-Nachrichten erhalten. Alle versuchen, herauszufinden, was los ist, verwirrende Anweisungen für das Fernstudium zu entziffern, und schicken einander Emojis mit Atemschutzmasken oder lustige Memes. (Eins der besten zeigt eine junge Frau, die in einen dicken Wintermantel eingemummelt ist und ihrer Mutter sagt, sie würde in der Küche spazieren gehen).
Erst jetzt, drei Wochen nach Beginn der Krise, fangen die Schulen meiner Kinder ernsthaft mit dem Online-Unterricht an. Und trotzdem wirkt alles noch recht planlos. Meine Söhne haben insgesamt 26 Lehrer. Bisher versuchen nur neun von ihnen, Online-Kurse abzuhalten. So viele Scherze sie auch darüber machen, wie toll es ist, nicht zur Schule zu müssen, so sehe ich doch, wie die Augen meiner Söhne bei diesen Videoanrufen mit Klassenkameraden und Lehrern aufleuchten. Ich sehe, wie sich diese Zwangsisolation auf ihr Wohlbefinden auswirkt, und ich mache mir Sorgen, ob eine längere Zeit außerhalb der Schule sie zurückwerfen wird.
Meine Söhne haben Glück; sie haben Computer und Internet und Eltern, die ihnen helfen, die Schulaufgaben zu erledigen. Ich mache mir Sorgen um die Kinder, für die die Schließung der Schulen eine echte Tragödie ist. Um die jüngeren Kinder, die nicht die eine warme Mahlzeit am Tag in der Schulkantine bekommen. Die Mittelschüler, die zu Hause kein Internet oder keinen Computer haben, der ihnen zur Verfügung steht, wann immer sie ihn brauchen, oder die keine Eltern oder Geschwister haben, die ihnen helfen können, sich auf den Online-Plattformen zurechtzufinden, die ihnen ihre Lehrer aufzwingen. Die unzufriedenen Oberstufenschüler, für die dies der perfekte Anlass ist, aufzugeben und die Schule abzubrechen.
Angesichts des aktuellen Ausbruchs müssen wir möglicherweise Einschränkungen der Bewegungsfreiheit akzeptieren, um die Ausbreitung der Infektion zu verlangsamen. Neben den Kindern, die unter den Schulschließungen leiden, denke ich an alle Menschen, die von dieser Krise besonders stark betroffen sind. Ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen, Arbeiterfamilien, die keinen Lohn bekommen, und Menschen hinter Gittern gehören zu den am stärksten Betroffenen. Frauen, die die Mehrheit der Betreuungskräfte sowie des Gesundheits- und Pflegepersonals und der Lehrerschaft ausmachen, haben am ehesten mit zusätzlichen Aufgaben der Kinderbetreuung aufgrund von Schulschließungen und einem erhöhten Ansteckungsrisiko zu kämpfen. Migranten ohne Papiere und Asylsuchende haben keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung, abgesehen vom Gang in die Notaufnahme. Obdachlose, die nirgendwo mehr hingehen können, da Tageszentren und Suppenküchen geschlossen sind.
Häftlinge in überfüllten Gefängnissen in ganz Italien und ihre Familien, auch in einem nahe gelegenen Untersuchungsgefängnis, protestieren gegen das Besuchsverbot für Familienangehörige und des Freigangs unter Aufsicht und fordern mehr Möglichkeiten für Hausarrest. Auch Menschen, die in überfüllten, unhygienischen Einwanderungshaftanstalten festgehalten werden, sind ernsthaft von einem unkontrollierten Ausbruch bedroht. Italiener chinesischer Abstammung, chinesische Einwanderer und alle Menschen, die als Chinesen wahrgenommen werden, werden stigmatisiert, beleidigt und körperlich angegriffen, ihre Geschäfte werden gemieden und müssen schließen.
Die italienische Regierung erwägt eine Reihe finanzieller Maßnahmen, die dazu beitragen sollen, einige der schlimmsten Auswirkungen der Sperre abzuschwächen, auch für Familien mit niedrigem Einkommen und für diejenigen, die ihre Kinder betreuen lassen müssen. Es könnten besondere Maßnahmen ergriffen werden, um Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu unterstützen, um bezahlten Urlaub zu ermöglichen und zu verhindern, dass Menschen entlassen werden müssen. Jedoch ist weiterhin unsicher, was mit Freiberuflern sowie Vertrags- und Saisonarbeiters passiert, die möglicherweise ungeschützt bleiben.
Es wäre gut, mehr darüber zu hören, was die Regierung tun will, um Rassismus zu bekämpfen, die Rechte von Häftlingen zu schützen, um sicherzustellen, dass Lebensmittel und Medikamente die Bedürftigen erreichen, und um zu gewährleisten, dass Migranten und Asylsuchende Zugang zu Informationen und Gesundheitsversorgung haben, und dabei zu helfen, den Überblick über Studenten zu behalten, die möglicherweise nicht berücksichtigt werden.
Doch selbst in diesem dystopischen Nebel, der sich über Mailand gelegt hat, gibt es ein Gefühl der Solidarität und der Sinnhaftigkeit. Am 13. März lehnten sich die Menschen hier und im ganzen Land aus ihren Fenstern und standen auf ihren Balkonen, um zu singen, Musikinstrumente zu spielen und mit freudiger Entschlossenheit auf Töpfe zu schlagen. Auch wir haben mitgemacht. Die Menschen schlossen sich (durch den Abstand voneinander) aus einem Pflichtgefühl heraus zusammen, die am meisten gefährdeten Menschen vor schwerer Krankheit zu schützen und das stark belastete öffentliche Gesundheitssystem und all die Ärzte und Pflegekräfte zu unterstützen, die seit Wochen unermüdlich arbeiten. Dieses Coronavirus hat das System einer schweren Schockprüfung unterzogen und gleichzeitig die Bedeutung einer robusten und für alle zugänglichen, öffentlichen Gesundheitsversorgung unter Beweis gestellt.
Im Nachhinein lässt es sich leicht sagen, aber es ist gut möglich, dass ein früheres Handeln mit einer konsequenten und klaren Botschaft weniger drakonische Einschränkungen bedeutet hätte. Die raschere Verbreitung von Hinweisen zur Hygiene und Vorbeugung und die Förderung freiwilliger Strategien zur sozialen Distanzierung, so etwa, dass Menschen von zuhause aus arbeiten sollten, falls möglich sowie ein Verbot großer Veranstaltungen und Zusammenkünfte, hätten die Verbreitung des Virus vielleicht früher verlangsamt und es uns ermöglicht, die derzeitige Sperre zu umgehen.
Aber das ist nun die Realität. Deshalb werde ich, wie die Menschen in ganz Italien, so oft wie möglich zu Hause bleiben, beim Einkaufen Abstand halten und mir oft die Hände waschen. Und ich werde meine Freunde, die um die Ecke wohnen, auf Skype treffen.