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China: Zweiklassensystem für Tibeter und andere abschaffen

Annullierung von Reisepässen schränkt Rechte religiöser Minderheiten ein

(New York) – Die chinesischen Behörden haben ein Zweiklassensystem für die Ausstellung von Reisepässen etabliert. Dadurch wird die Bewegungsfreiheit praktisch aller Bewohner von Regionen einschränkt, in denen hauptsächlich religiöse Minderheiten leben, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Aufgrund des diskriminierenden Verfahrens müssen Anwohner bestimmter Gebiete wesentlich mehr Dokumente vorlegen als andere Staatsbürger. Die seit dem Jahr 2012 bestehenden, zusätzlichen Einschränkungen im Autonomen Gebiet Tibet führen dazu, dass deren Bewohner praktisch nicht mehr ins Ausland reisen können, außer in Regierungsangelegenheiten.

"Die chinesischen Behörden sollen das offensichtlich diskriminierende Reisepasssystem unverzüglich abschaffen," so Sophie Richardson, Leiterin der Abteilung China bei Human Rights Watch. "Die Einschränkungen verletzen auch die Religionsfreiheit, weil sie Angehörigen religiöser Minderheiten die Möglichkeit nehmen oder stark einschränken, außerhalb von China auf Pilgerreisen zu gehen."

Der 53-seitige Bericht "One Passport, Two Systems: China’s Restrictions on Foreign Travel by Tibetans and Others" stellt die Entwicklung eines diskriminierenden, zweigleisigen Systems zur Beantragung von Reisepässen dar. In den Regionen, die von der ethnisch chinesischen Mehrheit bewohnt werden, existiert ein Schnellverfahren; in den meisten Regionen, in denen ethnische und religiöse Minderheiten leben, jedoch ist das Verfahren langwierig. Bis zum Oktober 2014 mussten nur noch weniger als 10 Prozent der Bezirksverwaltungen das langwierige Antragsverfahren anwenden, mit nur einer Ausnahme: alle Regionen mit sehr vielen Tibetern oder Muslimen. Die Befunde des Berichts basieren auf internen Verwaltungsvorschriften und Interviews mit Tibetern und anderen.
 
"Die chinesischen Behörden sollen das offensichtlich diskriminierende Reisepasssystem unverzüglich abschaffen. Die Einschränkungen verletzen auch die Religionsfreiheit, weil sie Angehörigen religiöser Minderheiten die Möglichkeit nehmen oder stark einschränken, außerhalb von China auf Pilgerreisen zu gehen."
Sophie Richardson

Leiterin der Abteilung China bei Human Rights Watch

Der Bericht dokumentiert, dass Anwohner von Regionen mit Langzeit-Verfahren bis zu fünf Jahre auf einen Reisepass warten mussten oder erlebten, dass ihre Anträge abgelehnt wurden, ohne dass ihnen dafür rechtlich vertretbare Gründe genannt worden wären. Alle Betroffenen gehören religiösen Minderheiten an.

Darüber hinaus untersucht der Bericht die Entscheidung der Behörden im Autonomen Gebiet Tibet, alle regulären Reisepässe einzuziehen. Als die chinesische Regierung im Frühjahr 2012 landesweit die Umstellung auf "E-Pässe" initiierte, erließen die Behörden im Autonomen Gebiet Tibet eine interne, als "Hinweis Nr. 22" bekannte Vorschrift. Darin kündigten sie an, dass "alle noch gültigen, regulären Reisepässe in unserer Region ausnahmslos eingezogen werden sollen."

Daraufhin forderte die tibetische Regierung alle Bewohner des Gebiets auf, ihre Reisepässe abzugeben, auch wenn diese noch mehrere Jahre gültig gewesen wären. Angeblich sollten diese dann durch E-Pässe ersetzt werden. Diese Aufforderung wurde nicht öffentlich gemacht, sondern mündlich von ortsansässigen Beamten kommuniziert, die die Besitzer von Reisepässen persönlich aufsuchten. Herkömmliche Reisepässe, die nach diesen Besuchen nicht abgegeben wurden, wurden annulliert.

Seitdem ist kein einziger Fall bekannt, in denen eine tibetische Behörde ein Ersatzdokument oder einen neuen Reisepass ausgestellt hätte, außer für in Regierungsangelegenheiten reisende Personen und wenige andere, die offensichtlich übersehen worden sind. Dem wichtigsten Internetportal der Gebietsregierung zufolge wurden im ganzen Jahr 2012 in einer einzigen von sieben Bezirksverwaltungen genau zwei Reisepässe ausgestellt.

Augenscheinlich hält die Regierung nach dem Jahr 2002 auch deshalb in einigen Minderheitengebieten an ihrer restriktiven Reisepass-Politik fest, um Reisen wegen religiöser Studien und Pilgerreisen zu verhindern. Die im Jahr 2012 im tibetischen Autonomiegebiet erlassenen, weiteren Vorschriften zur Einschränkung von Auslandsreisen verdeutlichen, dass es der Regierungen um die religiöse Praxis tibetischer Buddhisten geht. Den neuen Vorschriften zufolge ist die Teilnahme an einer religiösen Veranstaltung im Ausland, nämlich an Unterweisungen durch den Dalai Lama, dem geistlichen Oberhaupt der Tibeter, eine subversive politische Aktion.

Die chinesischen Behörden leugnen, dass es ein Verbot gibt, Bewohnern des Autonomen Gebiets Tibet Reisepässe auszustellen. Vielmehr behaupten sie, das Verfahren dauere nur deshalb länger, weil es komplizierter sei.

Derweil häufen sich Berichte über ähnliche Einschränkungen, wenn Uiguren und andere, mehrheitlich muslimische Bewohner des Uigurisches Autonomes Gebiet Xinjiang ins Ausland reisen wollen. In mindestens zwei der autonomen Gebiete der Hui wurde das Schnellverfahren ebenfalls nicht eingeführt.

Auch die International Campaign for Tibet veröffentlicht heute einen Bericht darüber, dass Tibeter diskriminiert werden, wenn sie einen Reisepass beantragen wollen. Der Bericht "A Policy Alienating Tibetans" erläutert die Hintergründe dafür, wie die chinesischen Behörden die Autorität des Dalai Lamas untergraben und ihre Kontrolle über die Tibeter festigen wollen. Zudem werden neue Erkenntnisse aus Diskussionen in den sozialen Medien präsentiert.

Das chinesische Reisepass-System im tibetischen Autonomiegebiert verletzt internationale Standards zum Schutz der Reise- und Bewegungsfreiheit. Die Vorschriften sind so verfasst, dass sie Menschen auf Grund ihrer Religion oder ethnischen Zugehörigkeit diskriminieren. Die vorliegenden Belege zeigen, dass die Behörden mit den Vorschriften bewußt diskriminieren wollen. Zudem setzen sie die Vorschriften in einer Weise um, so dass die Betroffen gesetzeswidrig diskriminiert werden.

Die chinesische Regierung soll gewährleisten, dass die Kriterien und Verfahren zur Ausstellung von Reisepässen für alle Staatsbürger gleich sind. Sie soll das Schnellverfahren unverzüglich in den tibetischen, uigurischen Autonomiegebieten und anderen Regionen einführen und die Teilnahme an religiösen Veranstaltungen oder Unterrichtungen nicht mehr als illegale Aktivität brandmarken.

"Anscheinend glauben die chinesischen Behörden, dass sie das Autonome Gebiet Tibet stabilisieren, indem sie den Tibetern systematisch das Reisen verbieten," so Richardson. "Aber es ist nur die Achtung der Menschenrechte, einschließlich des gleichen Zugangs zu einem Reisepass, die dazu führen könnte, dass sich das Misstrauen der Tibeter gegenüber der Regierung verringert."

 

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