Skip to main content

Fairer Prozess für einen Massenmörder

Die Verbrechen Saddam Husseins müssen nach internationalen Standards beweisbar sein

Am heutigen Mittwoch beginnt in Bagdad der Prozess gegen den früheren irakischen Präsidenten Saddam Hussein. Die Bedeutung des Gerichtsverfahrens vor dem Obersten Irakischen Strafgerichtstribunal kann kaum überschätzt werden. Dieser Prozess verschafft den irakischen Behörden eine nie da gewesene Gelegenheit, die Wahrheit ans Licht zu bringen und den Opfern der unsäglichen Menschenrechtsverbrechen unter Saddams Regime Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Angesichts der Bekanntheit des Angeklagten und der politischen Umstände im Irak wird das Geschehen vor dem Obersten Straftribunal in Bagdad wohl noch Jahre später analysiert werden. Um der Gerechtigkeit willen wird der Prozess deshalb fair sein und auch von außen als fair erkennbar sein müssen.

Der Erfolg wird dem irakischen Gericht nicht in den Schoß fallen. Die Verbrechen, die unter Saddam Hussein begangen wurden, lassen darauf schließen, dass ein glaubwürdiger Gerichtsprozess gegen den Diktator sehr komplex und zeitaufwändig sein wird. Das neu entstehende irakische Gerichtswesen stellt dieser Prozess daher vor enorme Herausforderungen rechtlicher, praktischer und verfahrenstechnischer Art. Anders als bei den Strafprozessen im ehemaligen Jugoslawien, in Ruanda und Sierra Leone ist das Oberste Irakische Straftribunal ein nationales Gericht. Es wird im Rahmen eines neu aufgebauten nationalen Rechtssystems eine Mischung aus internationalem und irakischem Strafrecht anwenden. Die Tatsache, dass der Prozess vor einem lokalen Strafgericht des betroffenen Landes stattfindet, bringt einen positiven Aspekt mit sich: Die Opfer und die irakische Gesellschaft können dadurch Anteil an der Rechtsprechung nehmen. Andererseits bergen national geführte Gerichtsverfahren auch Gefahren: Die "Lokalisierung" darf nicht die Übereinstimmung mit internationalem Recht beeinträchtigen.

Von Human Rights Watch wurden die Verbrechen von Saddam Husseins Regime über einen langen Zeitraum dokumentiert. Die Menschenrechtsorganisation rief wiederholt dazu auf, die Verantwortlichen für die Gräueltaten im Irak vor Gericht zu stellen. Veranlasst durch die Feldforschung über den Vernichtungskrieg gegen die Kurden wurde schon frühzeitig versucht, Regierungen von der Notwendigkeit zu überzeugen, den irakischen Staat wegen Völkermordes anzuklagen. Deshalb sind alle Anstrengungen zu begrüßen, gegen die früheren politischen Führer des Irak zu ermitteln und sie vor Gericht zu stellen. Doch die Entwicklung des Obersten Irakischen Straftribunals während der vergangenen zweieinhalb Jahre gibt Anlass zur Sorge: Es ist ungewiss, ob dieses Gericht tatsächlich zur Führung eines fairen und unparteiischen Prozesses in der Lage sein wird.

Das Strafgericht stützt sich auf ein Recht, das in Menschenrechtsfragen nicht immer mit internationalen Standards übereinstimmt. Wenn über diese Mängel nicht offen debattiert wird, könnten sie international garantierte Rechte untergraben und die Legitimität der irakischen Gerichtsverfahren gefährden. Die Richter in Bagdad werden Saddam Hussein allein auf Grund "befriedigender" Beweise schuldig sprechen können. Doch in einem fairen Verfahren reicht dies für eine Verurteilung nicht aus. Nach internationalen Standards sind höhere Maßstäbe an den Wert von Beweisen anzulegen. Die Überzeugung der Richter von der Schuld des Angeklagten muss begründet sein, das heißt, ein Verbrechen muss in allen Einzelheiten und über jeden Zweifel hinaus beweisbar sein. Das Prinzip "über jeden berechtigten Zweifel hinaus" wird von allen internationalen Strafgerichtshöfen angewandt, die wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen oder Völkermord verhandeln.

Ein weiterer Punkt, der Sorge bereitet: Das Oberste Irakische Strafgericht darf die Weigerung des Angeklagten, auf Richterfragen zu antworten, als Schuldbeweis werten. Nach internationalem Recht steht einem Angeklagten dagegen ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Er kann nicht verpflichtet werden, sich mit seinen Aussagen selbst zu belasten. Entsprechend kann seine Weigerung, eine Aussage zu seinen Ungunsten zu machen, nicht als Schuldbeweis gegen ihn verwendet werden. In dem vom Obersten Tribunal in Bagdad angewandten Strafrecht gelten andere Regeln.

Ferner wurde bei den Prozessvorbereitungen durch das Straftribunal das Recht des Angeklagten auf rechtlichen Beistand durch einen Anwalt nicht ausreichend gewürdigt. Nach internationalem Recht hat der Angeklagte Anspruch auf eine angemessene Verteidigung. Hierzu zählt das Recht auf uneingeschränkten und regelmäßigen Zugang zu rechtlicher Beratung während aller Stadien des Verfahrens. Saddam Hussein war indes zunächst ohne Beisein eines Anwaltes verhört worden. Wir raten dem Bagdader Tribunal deshalb dringend davon ab, vor Gericht Beweise gegen Angeklagte zu verwenden, die gewonnen wurden, ehe diese ihr Recht auf angemessenen juristischen Beistand frei ausüben konnten.

Und noch etwas: Das Tribunal kann die Todesstrafe verhängen. Aus der Menschenrechtsperspektive ist die Todesstrafe als grausam und unmenschlich abzulehnen. Keines der internationalen Strafgerichte lässt diese Strafe zu. Nach den Regeln des Bagdader Tribunals kann die Todesstrafe dagegen bei einem breiten Spektrum von Verbrechen ausgesprochen werden. Möglichkeiten einer Begnadigung gibt es nicht. Überdies fordern die irakischen Gesetze vom Staat, Todesurteile innerhalb von 30 Tagen nach dem endgültigen Urteil zu vollstrecken. Die Prozesse sind von überwältigender und einzigartiger Bedeutung für das irakische Volk, für die Menschen in der Region und auf der Welt. Deshalb ist eine faire und gerechte Abwicklung der Verfahren so wesentlich. Hiervon hängt ab, welche Rolle künftig die Justiz und die Herrschaft des Gesetzes im Irak spielen werden. Diese Prozesse sind vielleicht die einzige Form von Gerechtigkeit, auf welche die Opfer von Saddams Regime zählen können. Wenn durch die bevorstehenden Verfahren Gerechtigkeit und nicht Rache geübt werden soll, muss das Oberste Straftribunal in Bagdad die Iraker wie die internationale Gemeinschaft von seiner Glaubwürdigkeit überzeugen und darlegen, dass es sich den Prinzipien von Unparteilichkeit, Unabhängigkeit und Fairness verpflichtet fühlt. Andernfalls würde durch diese Prozesse zu viel aufs Spiel gesetzt.

Your tax deductible gift can help stop human rights violations and save lives around the world.