(Brüssel) – Die 2024 immer stärker auf Abschreckung ausgerichtete Migrations- und Asylpolitik der Europäischen Union untergräbt die Rechte von Menschen entlang ihrer Grenzen und darüber hinaus, so Human Rights Watch heute in seinem World Report 2025. Infolge dieser Politik starben mehr Menschen auf hoher See und es kam zu illegalen Pushbacks an den Grenzen sowie zur Rückführung von Asylsuchenden in Länder, in denen ihnen Menschenrechtsverletzungen drohen.
Für die 546-seitige 35. Ausgabe des World Report nahm Human Rights Watch die Menschenrechtspraktiken in mehr als 100 Ländern unter die Lupe. In einem Großteil der Welt, so schreibt die geschäftsführende Direktorin Tirana Hassan in ihrem Einleitungsessay, gingen Regierungen repressiv gegen politische Oppositionelle, Aktivist*innen und Journalist*innen vor, nahmen sie unter fadenscheinigen Vorwänden fest und inhaftierten sie. Bewaffnete Gruppen und staatliche Streitkräfte töteten unrechtmäßig Zivilist*innen, vertrieben viele aus ihren Heimatorten und blockierten den Zugang zu humanitärer Hilfe. Bei vielen der über 70 nationalen Wahlen im Jahr 2024 konnten autoritäre Politiker*innen mit ihrer diskriminierenden Rhetorik und Politik Zugewinne verzeichnen
„Migrant*innen, Asylsuchenden und Geflüchteten drohen Gewalt, illegale Pushbacks und sogar der Tod aufgrund der im Rahmen der EU-Politik verfolgten Abschreckung und Externalisierung“, sagte Benjamin Ward, stellvertretender Direktor für Europa und Zentralasien bei Human Rights Watch. „Die EU-Regierungen sollten auf diese verheerenden Maßnahmen verzichten und sich nicht länger mitschuldig an Menschenrechtsverletzungen derer machen, die sich jenseits ihrer Grenzen auf der Flucht befinden. Stattdessen sollten sie sichere und legale Routen einrichten, auf denen Menschen Schutz und Asyl finden können.“
- Das im Mai 2024 von der EU angenommene Migrations- und Asylpaket enthält Bestimmungen, die die Rechte von Asylsuchenden deutlich begrenzen werden. Es wird schwieriger werden, einen Asylantrag zu stellen, mehr Menschen werden an den Grenzen inhaftiert werden und EU-Mitgliedsländer können den Zugang zu Asyl in vage definierten Situationen aussetzen oder komplett verweigern.
- Im Anschluss an ein Abkommen von 2023 mit Tunesien und der fortgesetzten Zusammenarbeit im Bereich der Migrationssteuerung mit libyschen und marokkanischen Behörden – ohne wirksame Garantien im Menschenrechtsbereich – hat die EU 2024 neue Migrationspartnerschaften mit Ägypten und Mauretanien verkündet und das Budget für das sog. Grenzmanagement durch beide Länder ebenso wie für den Libanon erhöht.
- Mit Unterstützung der Frontex-Luftüberwachung haben Italien und Malta wiederholt libyschen Sicherheitskräften zugearbeitet und ihnen ermöglicht, Boote mit Migrant*innen abzufangen und die Menschen in Länder zurückzuschicken, in denen ihnen schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.
- Zahlreiche EU-Länder haben ihr Interesse ausgedrückt oder Maßnahmen unterstützt, die Verantwortung für Asylverfahren auszulagern. Im Oktober und November 2024 brachte Italien erste Gruppen von Migrant*innen nach Albanien. Im Rahmen eines Abkommens sollen Männer bestimmter Nationalitäten, die von Italien auf See aufgegriffen werden, zur weiteren Bearbeitung ihrer Asylanträge nach Albanien gebracht werden. Nach der Intervention italienischer Gerichte wurden allerdings beide Gruppen später wieder nach Italien zurückgebracht.
Die EU und ihre Mitgliedsstaaten hatten 2024 auch mit Problemen in anderen Bereichen zu kämpfen. Human Rights Watch hat EU-weit Fälle von Diskriminierung und Intoleranz, Armut und Ungleichheit sowie Versuche untersucht, Rechtsstaatlichkeit zu untergraben. Zwar haben EU-Institutionen und -Regierungen diese Herausforderungen erkannt und sich in manchen Fällen verpflichtet, ihnen entgegenzuwirken. Doch waren die konkreten Maßnahmen ineffizient und wurden zu langsam umgesetzt.
Der World Report enthält Kapitel zu Frankreich, Deutschland, Griechenland, Ungarn, Italien, Polen und Spanien sowie zu Nicht-EU-Ländern wie Großbritannien.
„In einer Zeit, in der sich ein Großteil der Welt in der Krise befindet, ist eine wertegeleitete und auf menschenrechtsbasierte Politik in Europa wichtiger denn je“, sagte Ward. „Und dafür ist es notwendig, dass die europäischen Institutionen ebenso wie die neu besetzte Europäische Kommission das EU-Recht und internationale Menschenrechtsabkommen zur Grundlage ihres Handelns machen und darauf drängen, dass die Mitgliedsstaaten dies ebenfalls tun.“