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Chinesische Polizei versperrt den Zugang zu einem Platz, wo sich am 27. November 2022 Demonstrierende in Shanghai versammelt hatten. © 2022 AP Photo

(New York) – Die chinesische Regierung sollte die Grundrechte der Menschen in ganz China achten, die friedlich gegen die drakonische Null-Covid-Politik der Regierung protestieren und Freiheit und Menschenrechte einfordern. Die Behörden sollten alle zu Unrecht inhaftierten Demonstrierenden sofort freilassen und die Internetzensur von protestbezogenen Informationen einstellen.

Am 26. November 2022 gingen in Schanghai, Chinas größter Stadt und Finanzzentrum des Landes, Tausende von Menschen auf die Straße, um gegen die strengen Corona-Maßnahmen der Regierung und die autoritäre Herrschaft der Kommunistischen Partei Chinas zu protestieren. Die Demonstrant*innen trugen unbeschriebene Transparente, um das eigene Risiko zu minimieren und eine Verhaftung zu vermeiden, und skandierten Slogans wie „Nieder mit der Kommunistischen Partei“ und „Nieder mit Xi Jinping“, dem Staatschef des Landes. Am 27. November versammelten sich Student*innen vor Universitäten im ganzen Land, um zu demonstrieren, und in der Nacht gingen Hunderte von Menschen in Wuhan, dem Ursprungsort der Pandemie, sowie in Chengdu, Peking und anderen Großstädten auf die Straße.

„Die Menschen in ganz China gehen außergewöhnliche Risiken ein, um ihre Menschenrechte einzufordern“, sagte Yaqiu Wang, leitende China-Forscherin bei Human Rights Watch. „Die chinesischen Behörden sollten die Proteste nicht unterdrücken, sondern allen die Möglichkeit geben, ihre Meinung friedlich zu äußern.“

Die Proteste in Schanghai folgten auf den Brand eines Wohnhauses in Ürümqi, der Regionalhauptstadt der nordwestchinesischen Region Xinjiang, am 24. November, bei dem mindestens 10 Menschen starben. Viele gehen davon aus, dass es den Bewohner*innen aufgrund des Corona-Lockdowns nicht gelang, dem Brand zu entkommen, und dass die Rettungskräfte durch pandemiebedingte Einschränkungen behindert wurden. Human Rights Watch konnte dies allerdings nicht bestätigen.

Am darauffolgenden Tag trauerten die Einwohner*innen von Ürümqi vor einem Verwaltungsgebäude um die Toten und protestierten gegen den mehr als drei Monate anhaltenden Lockdown in der Stadt. Im Internet kursierten zahlreiche Berichte über Todesfälle, Krankheiten und Hunger aufgrund des fehlenden Zugangs zu Lebensmitteln und medizinischer Versorgung in Xinjiang.

In Peking versammelten sich Menschen unter der Sitong-Brücke, wo am Vorabend des 20. Parteitags der Kommunistischen Partei im Oktober ein einzelner Demonstrant Transparente aufrollte, auf denen stand: „Weg mit dem autoritären Verräter Xi Jinping“. Auf öffentlichen Plätzen im ganzen Land waren Protestbanner, Plakate und Graffiti unbekannter Herkunft zu sehen.

Im Internet waren Videos im Umlauf, die zeigen, wie Dutzende von Polizeibeamt*innen an verschiedenen Orten in Schanghai und anderswo versuchen, Menschenmengen auseinanderzutreiben und Demonstrierende in Polizeifahrzeuge zerren. In Schanghai legte die Polizei einem BBC-Journalisten, der über die Proteste berichtete, Handschellen an und brachte ihn auf eine Polizeiwache. Dort wurde er geschlagen und getreten. Auf einem Video ist zu sehen, wie ein nicht identifizierter Mann in Zivil eine alleinstehende Frau mit einem leeren Blatt Papier in der Hand auf den Stufen der Communication University of China in Nanjing ergreift.

Durch die Internetzensur sind in den sozialen Medien kaum Informationen über die Proteste zu finden, da entsprechende Beiträge entfernt und Konten gesperrt wurden. Auch über die Suchfunktion auf Social-Media-Plattformen lässt sich nur schwer an entsprechende Informationen kommen.

In China kommt es gelegentlich zu kleineren Protesten gegen bestimmte staatliche Übergriffe. Allerdings passiert es nur sehr selten, dass Menschen öffentlich den Rücktritt von Staatspräsident Xi Jinping oder das Ende der Herrschaft der Kommunistischen Partei fordern. Bei jeder vermeintlichen Kritik an der Partei oder der Regierung drohen lange Haftstrafen, bei denen die Betroffenen schweren Misshandlungen ausgesetzt sind.

Die chinesische Regierung blickt auf eine lange Tradition der gewaltsamen Unterdrückung von Protesten zurück. Das bekannteste Beispiel ist das Tian'anmen-Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Jahr 1989, bei dem das Militär unzählige friedliche Demonstrierende der Pro-Demokratiebewegung in Peking tötete. Seitdem sind die Behörden landesweit gegen zahlreiche friedliche Proteste vorgegangen. Nach den Protesten in Xinjiang im Jahr 2009 nahmen die Sicherheitskräfte Hunderte von Menschen wegen des Verdachts der Teilnahme an den Unruhen fest. Dutzende dieser Inhaftierten und möglicherweise noch viele mehr sind einfach verschwunden.

Nach einem Protestaufruf im Internet im Jahr 2011, es den Aufständen des Arabischen Frühlings nachzumachen, kam es zu kleinen Menschenansammlungen in Peking und mehreren anderen Städten. Die Behörden reagierten darauf mit der Verhaftung von mehr als 100 der bekanntesten Regierungskritiker*innen des Landes, die wochenlang verschwunden waren, ohne dass ein Gerichtsverfahren gegen sie eingeleitet worden wäre. Für die Olympischen Spiele 2008 und 2022 in Peking erklärten sich die Behörden bereit, bestimmte Protestzonen einzurichten. Von den wenigen Personen, die sich 2008 um eine Genehmigung bemühten, wurde eine sofort festgenommen. Im Jahr 2022 schließlich gab es kaum noch Anträge für solche Genehmigungen.

In den letzten Jahren haben die Behörden die Internetzensur verschärft, den Einsatz von Überwachungstechnologien ausgeweitet, zivilgesellschaftliche Gruppen aufgelöst und viele unabhängige Aktivist*innen inhaftiert, was dazu geführt hat, dass Großdemonstrationen kaum noch möglich sind. In den letzten Monaten gab es – sowohl innerhalb Chinas als auch durch chinesische Staatsbürger*innen im Ausland – sporadische Proteste gegen die Covid-Politik, Wirtschaftskrise, Zensur und die Machtausweitung Xis.

Die chinesische Regierung ist auf nationaler und internationaler Ebene verpflichtet, Proteste zuzulassen und die Rechte von Demonstrierenden zu schützen. Artikel 35 der chinesischen Verfassung garantiert Bürger*innen das Recht auf „Versammlungs-, Vereinigungs-, Prozessions- und Demonstrationsfreiheit“. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, in der sich das Völkergewohnheitsrecht widerspiegelt, und der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, den China zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert hat, schützen das Recht auf friedliche Versammlung sowie die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit.

Der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen stellt in seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 37 zum Recht auf friedliche Versammlung fest, dass Regierungen friedliche Versammlungen „ohne ungerechtfertigte Eingriffe zulassen, die Ausübung des Rechts erleichtern und die Teilnehmenden schützen“ müssen. Wird die Versammlungsfreiheit nicht gewährt, ist dies „in der Regel ein Zeichen für Unterdrückung“.

Jede Reaktion der Strafverfolgungsbehörden auf die Proteste muss internationalen Standards genügen. In den UN-Grundprinzipien für die Anwendung von Gewalt und den Gebrauch von Schusswaffen durch Beamt*innen mit Polizeibefugnissen heißt es, dass „Beamte mit Polizeibefugnissen bei der Wahrnehmung ihrer Pflichten soweit als möglich nichtgewaltsame Mittel einzusetzen haben, bevor sie Gewalt anwenden“. Wenn dies für einen legitimen Zweck der Strafverfolgung während einer Versammlung erforderlich ist, darf nur das erforderliche Mindestmaß an Gewalt angewendet werden. Die Behörden müssen auch das Recht von Journalist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen respektieren, Versammlungen zu beobachten und darüber zu berichten.

Regierungen und internationale Organisationen, die sich mit den Menschenrechten in China befassen, sollten das Recht der Menschen auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit unterstützen und die chinesischen Behörden auffordern, die Proteste nicht zu unterdrücken, so Human Rights Watch.

„Die chinesischen Behörden haben die Bereitschaft der Menschen in ganz China, für ihre Rechte und Freiheiten alles zu riskieren, stark unterschätzt“, sagte Wang. „Die Menschen in China zeigen der Kommunistischen Partei Chinas und der Welt mit unglaublichem Mut, dass sie, wie alle anderen auch, das Recht haben, mitzubestimmen, wie sie regiert werden.“

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