(New York) - Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat keine angemessene menschenrechtliche Prüfung durchgeführt, um das Risiko auszuschließen, dass olympische Kleidung und andere Produkte für die Winterspiele in Peking mit schwerwiegenden Rechtsverletzungen in der uigurischen Region Chinas in Verbindung stehen, so die Coalition to End Forced Labour in the Uyghur Region (EUFL) und Human Rights Watch heute. Der Koalition gehören über 400 Organisationen aus 40 Ländern an, darunter auch Familienangehörige von Menschen, die zu Unrecht in Chinas brutalen Massenlagern festgehalten werden.
Am 19. Januar 2022 - gut zwei Wochen vor Beginn der Spiele - veröffentlichte das IOC eine Erklärung, in der es die Sorgfaltspflicht gegenüber den Zulieferern für Peking 2022 beschreibt. Diese enthielt erhebliche Lücken, darunter eine unzureichende Transparenz der Prüfungsergebnisse und eine fehlende Analyse der verantwortungsvollen Beschaffungspraktiken der Zulieferer. Das IOC erläuterte auch nicht, wie es beurteilt, ob Zulieferer an Menschenrechtsverletzungen in ihren anderweitigen Geschäftsfeldern beteiligt sind, also bei der Herstellung von Waren, die nicht für das IOC bestimmt sind. Human Rights Watch und die EUFL haben das IOC am 31. Januar schriftlich um weitere Informationen gebeten, bislang jedoch keine Antwort erhalten.
„Das Internationale Olympische Komitee hat zum ersten Mal seine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht für seine Produkte für Peking 2022 öffentlich gemacht“, sagte Minky Worden, Direktorin für globale Initiativen bei Human Rights Watch. „Obwohl die Transparenz erhöht wurde, hat das IOC nicht glaubhaft versichert, dass es keine Produkte bezieht, die mit Zwangsarbeit und Menschenrechtsverletzungen in der uigurischen Region in China und anderswo in Verbindung stehen.“
Die Sorgfaltspflicht in Bezug auf die Menschenrechte ist ein wichtiger Bestandteil des Rahmens der Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte und steht im Einklang mit der Verpflichtung des IOC, einen strategischen Rahmen für die Menschenrechte zu schaffen.
Menschenrechtsgruppen wie Human Rights Watch und die EUFL Coalition fordern das IOC seit Monaten auf, die Schritte offenzulegen, die es unternimmt, um sicherzustellen, dass die unter dem olympischen Markenzeichen vertriebenen Waren keine Produkte enthalten, die aus Zwangsarbeit stammen. Forscher*innen und Menschenrechtsgruppen haben aussagekräftige Beweise für Zwangsarbeit im Baumwollanbau in Xinjiang (uigurische Region) gefunden, wo 85 Prozent der chinesischen und 20 Prozent der Baumwolle weltweit produziert werden. Die Better Cotton Initiative (BCI), eine Nachhaltigkeitsinitiative für Baumwolle, beendete im Oktober 2020 ihre Aktivitäten in der uigurischen Region aufgrund des Risikos von Zwangsarbeit.
Die Erklärung des IOC im Januar konzentrierte sich auf die Due-Diligence-Prüfung, die das IOC bei Produkten von zwei direkten Zulieferern durchgeführt hat, wie z.B. bei Kleidungsstücken und Geschenken, die es an Delegierte und andere Stakeholder verteilt. In der Erklärung ging es insbesondere um zwei Unternehmen, die Hengyuanxiang Group (HYX Group) und Anta Sports, von denen US-Gesetzgeber im Januar behaupteten, dass sie weiterhin in Xinjiang produzierte Baumwolle verwenden. Anta Sports trat im März 2021 aus der Better Cotton Initiative aus und erklärte, es werde weiterhin Baumwolle aus Xinjiang beziehen. Auf der Website des Unternehmens heißt es, dass es Maßnahmen zur Überwachung der Zulieferer, einschließlich der Risiken von Zwangsarbeit, ergriffen hat.
Das IOC erklärte, es habe die Produktionsstätten seiner Zulieferer, darunter HYX Group und Anta, durch Dritte prüfen lassen und dabei keine Form der Zwangs- oder Kinderarbeit festgestellt. Das IOC gab weiterhin an, dass es einen „Herkunftsnachweis“ für die in Bekleidung und Schuhen verwendeten Materialien verlangt. Das IOC fügte eine Erklärung der HYX Group bei, dass die Baumwolle, die für die IOC-Kleidung verwendet wird, nicht aus China stammt, und eine Erklärung von Anta Sports, dass die IOC-Kleidungsstücke keine Baumwolle enthalten.
„Eine glaubwürdige Prüfung der Lieferkette ist in der uigurischen Region unmöglich“, sagte Allison Gill, Programmdirektorin für Zwangsarbeit bei Global Labor Justice-International Labor Rights Forum und Mitglied des Steuerungsausschusses der Koalition. „Indem das IOC das erhebliche Risiko uigurischer Zwangsarbeit bei olympischen Produkten ignoriert, stellt es in beschämender Weise Profit und politische Zweckmäßigkeit über Menschen und Prinzipien.“
Die Erklärung des IOC über seine Sorgfaltspflicht enthielt nur dürftige Informationen, keine Einzelheiten über die besuchten Fabriken und Produktionsstätten, die Audit-Methode und die Ergebnisse oder die Schritte, die unternommen wurden, um sicherzustellen, dass den Arbeiter*innen keine Repressalien drohen, wenn sie mit den Auditoren sprechen oder Verstöße melden. Im Lieferantenkodex des IOC heißt es, dass „das IOC sich verpflichtet, mit seinen Lieferanten offen, konstruktiv und transparent zusammenzuarbeiten“ und dass sich das IOC das Recht vorbehält, Informationen „über die sozialen, ökologischen und ethischen Kriterien eines Lieferanten, einschließlich vollständiger Angaben zu allen genutzten Standorten (z.B. Fabriken)“ offenzulegen.
„Die Due-Diligence-Prüfung des IOC ist von so geringer Tragweite, dass ihre Ergebnisse inakzeptabel sind“, sagte Bennett Freeman, Mitglied des Steuerungssausschusses der Koalition und ehemaliger stellvertretender US-Staatssekretär für Demokratie, Menschenrechte und Arbeit. „Entscheidend ist, dass die Erklärung des IOC vom Januar nicht einmal die Zwangsarbeit der Uiguren erwähnt, also das Hauptrisiko, das im Mittelpunkt der Untersuchung hätte stehen müssen.“
Die Erklärung des IOC enthielt auch keine Informationen darüber, ob und welche Schritte das IOC unternommen hat, um die Behauptungen der Unternehmen über die Herkunft der in IOC-Produkten verwendeten Materialien zu überprüfen. Das IOC machte keine Angaben dazu, ob und wie es die verantwortungsvollen Beschaffungspraktiken der Zulieferer analysierte, einschließlich ihrer Systeme zur Rückverfolgung und Nachverfolgung auf jeder Ebene ihrer Lieferketten. Auch gab es keine Informationen zur Durchführung einer Due-Diligence-Prüfung ihrer Zulieferer in Bezug auf die Menschenrechte und zur Ermittlung von Zwangsarbeit in ihren Lieferketten.
Ferner hat das IOC nicht erklärt, welche Schritte es unternimmt, um sicherzustellen, dass Zulieferer mit Betrieben oder Lieferketten in Xinjiang nicht an Menschen- oder Arbeitsrechtsverletzungen in ihrem sonstigen Geschäft beteiligt sind, also auch nicht bei Produkten, die nicht zu den Olympischen Spielen gehören. Der IOC-Lieferantenkodex verlangt von Lieferanten, dass sie „sicherstellen, dass sie nicht an Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind“, und besagt, dass „jegliche Verstöße gegen den IOC-Lieferantenkodex die Geschäftsbeziehung des Lieferanten mit dem IOC gefährden und zur Beendigung des Vertrags oder der Zusammenarbeit führen können“.
Da sich das IOC nur auf die Kleidung und Geschenke konzentrierte, die es direkt bezieht, ging es auch nicht auf die Tausende von Produkten ein, die vom Pekinger Organisationskomitee für die Olympischen Spiele (BOCOG) beschafft werden und die die fünf olympischen Ringe oder die Marke Olympia tragen. In ihrem Schreiben vom 31. Januar an das IOC fragten Human Rights Watch und die EUFL Coalition, ob Zulieferer des Organisationskomitees über Betriebe oder Lieferketten in Xinjiang verfügen, und baten um detaillierte Angaben über die Sorgfaltspflicht des Komitees gegenüber den Zulieferern angesichts des Risikos der Zwangsarbeit von Uigure*innen.
Im Vorfeld der Olympischen Spiele 2022 in Peking hatte sich das IOC monatelang geweigert, sich mit den Betroffenen über seine Sorgfaltspflichten in Bezug auf Menschenrechte auszutauschen. Darunter war auch die EUFL-Koalition, die Opfer willkürlicher Haftstrafen der chinesischen Regierung und Uiguren, die seit Jahren keine Familienangehörigen mehr gesehen haben, zu Wort kommen lässt. Sinnvolle Konsultationen mit betroffenen Gruppen sind ein grundlegender Bestandteil einer wirksamen Sorgfaltspflicht, wie sie in den UN-Leitprinzipien verankert ist.
„Ich habe vielleicht Tanten und Onkel, die in Fabriken unter Zwangsbedingungen arbeiten, um olympische Markenartikel und Kleidung herzustellen“, sagte Zumretay Arkin, World Uyghur Congress Program and Advocacy Manager. „Das IOC muss nachweisen, dass seine Kleidung und andere Textilien, die die fünf olympischen Ringen tragen, nicht in Zwangsarbeit hergestellt werden.“