Skip to main content
Jetzt Spenden

China: Starke Einschränkung des Rechts auf Freizügigkeit von Uigur*innen

Strenge Auflagen, von der Regierung organisierte Reisen, neue Maßnahmen zur Kontrolle der Bevölkerung in Xinjiang

Ein chinesischer Grenzpolizist bei seinem Dienst am Khunjerab-Pass in der nordwestchinesischen uigurischen Autonomen Region Xinjiang am 2. Januar 2025. © 2025 Hu Huhu/Xinhua via Getty Images


(New York) – Uigur*innen, die ins Ausland reisen wollen, müssen weiterhin starke Beschränkungen und Kontrollen durch die chinesische Regierung hinnehmen. Damit verletzt China ihr international geschütztes Recht auf Ausreise, so Human Rights Watch heute. Zwar hat die Regierung Uigur*innen in der Diaspora – mit vielen Einschränkungen – erlaubt, nach Xinjiang zu reisen. Doch verbirgt sich dahinter offenbar die Absicht, der Öffentlichkeit ein Bild der Normalität in der Region zu vermitteln.

Seit Beginn der repressiven „Strike Hard-Kampagne“ der chinesischen Regierung in der autonomen Region Xinjiang im Jahr 2016 haben die chinesischen Behörden Uigur*innen in der Region willkürlich Pässe abgenommen und einige von ihnen inhaftiert, weil sie Kontakt zu Personen im Ausland aufgenommen hatten. Zwar erlauben die Behörden nun einigen Uigur*innen, Pässe für Auslandsreisen zu beantragen, oder geben ihnen ihre Pässe zurück, doch werden diejenigen, die ausreisen, streng kontrolliert.

„Dank der minimalen Lockerungen der Reisebeschränkungen durch China konnten einige Uiguren kurzzeitig ihre Angehörigen im Ausland wiedersehen, nachdem sie jahrelang nichts von ihnen gehört hatten. Trotzdem setzt die chinesische Regierung noch immer Reisebeschränkungen als Mittel der Unterdrückung der Uiguren in Xinjiang und in der Diaspora ein“, sagte Yalkun Uluyol, China-Experte bei Human Rights Watch. „Die chinesische Regierung verweigert den Uiguren weiterhin das Recht, das Land zu verlassen, schränkt ihre Rede- und Vereinigungsfreiheit ein, wenn sie im Ausland sind, und bestraft sie für ihre Beziehungen zum Ausland.“

Human Rights Watch hat 23 Uigur*innen außerhalb Chinas befragt und einschlägige offizielle Dokumente geprüft.

Uigur*innen zufolge, die Xinjiang kürzlich verlassen oder Verwandte aus Xinjiang getroffen hatten, müssen Uigur*innen, die in China leben und ins Ausland reisen wollen, den Behörden den Zweck ihrer Reise mitteilen. Diejenigen, die aus familiären Gründen einen Ausreiseantrag stellen, müssen neben persönlichen Daten, Adresse, Arbeitsstatus und anderen Dokumenten eine Einladung eines Familienmitglieds im Ausland vorlegen.

Eine Ausreiseerlaubnis ist an strenge Regeln geknüpft. Reisende dürfen nicht mit Aktivist*innen im Ausland in Kontakt treten oder sich kritisch über die chinesische Regierung äußern und müssen innerhalb eines bestimmten Zeitraums – von einigen Tagen bis mehrere Monate – zurückkehren. Bei Geschäftsreisen dürfen Uigur*innen nur bestimmte Länder besuchen, wie etwa Kasachstan. Sie dürfen nicht in „sensible Länder“ mit einem hohen muslimischem Bevölkerungsanteil reisen, wie etwa der Türkei.

Eine uigurische Person, deren Verwandter*m in China der Pass verweigert wurde, sagte: „Die Polizei zeigte [der verwandten Person] mein Foto und fragte: ‚Kennen Sie diese Person?‘ [Die verwandte Person] bejahte dies. Daraufhin erklärte ihr die Polizei, dass sie das mit den Pässen vergessen könne.“

Mehrere Befragte berichteten, dass die Behörden ihnen gesagt hätten, dass nur „eine Person pro Familie reisen [könne]“. Deren unmittelbaren Familienangehörige werden damit praktisch zu Geiseln, die sicherstellen sollten, dass das andere Familienmitglied zurückkehrt. Einige sagten, die Behörden hätten von ihnen als Voraussetzung für die Reiseerlaubnis verlangt, eine „bürgende Person“ zu benennen. Typischerweise sind das Beamt*innen. Bei Nichteinhaltung dieser Vorgaben während der Reise drohen der eigenen Familie oder der bürgenden Person harte Strafen. Diejenigen, die ausreisen durften, wurden in der Zeit, in der sie sich im Ausland befanden, regelmäßig von Beamt*innen kontaktiert und mussten Auskunft über ihren Tagesablauf erteilen. Nach ihrer Rückkehr nahmen ihnen die Behörden die Pässe wieder ab und befragten sie über ihre Reise und die Uigur*innen in dem Land, das sie besucht hatten.

Einigen im Ausland lebenden Uigur*innen wurde die Einreise nach Xinjiang nach strengen Prüfverfahren erlaubt. Diejenigen mit ausländischen Pässen, die ohne Visum nach China einreisen dürfen, wurden von ihren Familien darauf hingewiesen, dass sie sich einem Background-Check unterziehen und eine vorherige Genehmigung des lokalen „Nachbarschaftskomitees“, einer lokalen, staatlich eingerichteten Struktur zur Selbstüberwachung der Bevölkerung, sowie der örtlichen Polizeistelle am Wohnort ihrer Familien einholen müssten. Als sie in ihrer Heimatstadt in Xinjiang ankamen, wurden einige von ihnen einer Befragung unterzogen oder mussten in Hotels übernachten, statt wie geplant bei ihren Verwandten.

Im Ausland lebende Uigur*innen, die für die Einreise nach China ein Visum benötigen, müssen ein viel längeres Antragsverfahren durchlaufen. Das Verfahren kann bis zu sechs Monate dauern, da die diplomatischen Vertretungen Chinas im Ausland ausführliche Background-Checks durchführen. Selbst die Teilnahme an unpolitischen Diaspora-Aktivitäten, etwa wenn die Kinder in uigurischen Sprachschulen eingeschrieben sind oder wenn eine Person an einer Hochzeit teilnimmt, bei der auch uigurische Aktivist*innen anwesend sind, kann zur Verweigerung des Visums führen.

Chinesische diplomatische Vertretungen haben einige im Ausland lebende Uigur*innen angewiesen, an offiziell organisierten Reisen nach Xinjiang teilzunehmen. Solche Touren werden von der Zentralabteilung Vereinigte Arbeitsfront des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas in Xinjiang veranstaltet. Um an diesen Reisen teilzunehmen, müssen die Personen den Veranstaltern eine Kopie ihres chinesischen Personalausweises, ihren Reisepass und ihre früheren Anschriften in Xinjiang vorlegen. Die Informationen werden dann nach China weitergeleitet, wo sie von verschiedenen Abteilungen geprüft werden, wie etwa der örtlichen Polizei, dem Büro für öffentliche Sicherheit, der für die Terrorismusbekämpfung zuständigen Einheit sowie den Nachbarschaftskomitees.

Nur Personen mit Erlaubnis dürfen an einer solchen offiziellen Tour teilnehmen. Uigur*innen mit ausländischen Pässen müssen außerdem ihre chinesische Staatsbürgerschaft aufgeben, um an diesen Touren teilnehmen zu können. Manche hätten sich dafür entschieden, weil diese Option sicherer sei und sie auch Visa schneller und einfacher bekämen, als wenn sie die Region auf eigene Faust besuchten und dabei Polizeiverhöre und eine mögliche Festnahme riskierten.

Teilnehmer*innen solcher Touren berichteten, dass sie von der für sie zuständigen Person der Vereinigten Arbeitsfront genau beobachtet wurden. Sie mussten für einen Besuch ihrer Familie eine Erlaubnis beantragen und wurden gezwungen, Mandarin-Chinesisch zu sprechen, auch wenn sie unter sich waren. Sie seien auch gezwungen worden, an Propaganda-Aktivitäten teilzunehmen, in der die Kommunistische Partei für ihre Politik in Xinjiang gelobt wurde. Dafür hätten sie sogar ein Skript bekommen mit Pinyin, der phonetischen Umschrift der chinesischen Schrift für diejenigen, die kein Mandarin-Chinesisch sprechen.

Mittels dieser überwachten Besuche und Touren übt die chinesische Regierung weiterhin Kontrolle über die uigurische Diaspora aus. Einige Uigur*innen schweigen lieber oder sehen von Aktivismus und sogar von uigurischen Kulturaktivitäten ab, um sich nicht der Chance zu berauben, den Kontakt zu ihren Familien wieder aufnehmen und die Region besuchen zu können. Die chinesischen Behörden unterdrücken im Ausland lebende Uigur*innen schon seit Langem. Mit Menschenrechtsverletzungen jenseits der Landesgrenzen, sogenannter transnationaler Repression, will die chinesische Regierung Dissens zum Schweigen bringen. Dabei geraten vor allem Aktivist*innen und Regierungskritiker*innen sowie deren Familien in Xinjiang ins Visier.

Im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen Chinas sollte die chinesische Regierung den Uigur*innen Reisefreiheit gewähren, die Bestrafung von Personen mit Beziehungen ins Ausland einstellen und die Repression gegen die uigurische Diaspora beenden. Die betroffenen Regierungen sollten dafür sorgen, dass die Menschenrechte ihrer Bürger*innen und aller Menschen, die in ihrem Staatsgebiet leben, geachtet werden und sie vor allen Formen transnationaler Repression durch die chinesische Regierung schützen.

„Uiguren sehen sich mit strengen Bedingungen und Auflagen konfrontiert, wenn sie ihre Familienangehörigen in China kurzzeitig wiedersehen oder auch nur mit ihnen kommunizieren wollen“, sagte Uluyol. „Die Möglichkeit, geliebte Menschen im Ausland zu kontaktieren oder zu besuchen, sollte kein Privileg einiger weniger Uiguren sein, sondern ist ein Recht, das die chinesische Regierung zu respektieren hat.“

Reisebeschränkungen und Schikanen gegen Uigur*innen 

Die chinesische Regierung diskriminiert Uigur*innen schon seit Langem mit Reisebeschränkungen, etwa durch besonders strenge Verfahren bei der Beantragung von Reisepässen. Seit Beginn der repressiven „Strike Hard“-Kampagne im Jahr 2016 haben die chinesischen Behörden Einwohner*innen von Xinjiang gezwungen, ihre Pässe zur „sicheren Aufbewahrung“ abzugeben, und sich geweigert, Pässe für im Ausland lebende Uigur*innen zu erneuern.

Die Uigur*innen, die ins Ausland reisen dürfen, stammen aus der Hauptstadt Ürümqi und zwei anderen Städten im Norden Xinjiangs. Die meisten Uigur*innen können die Region weiterhin nicht verlassen. Viele im Ausland lebende Uigur*innen haben nach wie vor keine Nachrichten von ihren Familienmitgliedern, vor allem nicht von denen, die seit Langem inhaftiert sind.

Die chinesische Regierung wirbt sowohl in den offiziellen Medien als auch in Social-Media-Posts regierungsnaher Uigur*innen mit den staatlich organisierten Reisen, offensichtlich in dem Bemühen, über ihre Menschenrechtsverletzungen in der Region hinwegzutäuschen. In diesen Beiträgen schwärmen uigurische Reiseteilnehmer*innen in der Regel von „den erfreulichen Veränderungen in Xinjiang“ und sagen, dass sie „eine tiefe Wärme … für das Heimatland empfinden“.

Methodik

Zwischen Oktober 2024 und Februar 2025 hat Human Rights Watch 23 Uigur*innen in neun Ländern befragt – Kanada, Frankreich, Deutschland, Japan, Kirgisistan, Norwegen, den Niederlanden, dem Vereinigten Königreich und der Türkei. Außerdem hat die Organisation zwei Expert*innen interviewt, die sich mit der uigurischen Diaspora beschäftigen. Die Befragten haben Familienmitglieder, die kurzzeitig ins Ausland reisen durften, oder hatten Xinjiang im Rahmen der offiziell veranstalteten Reisen selbst besucht. Ein Ehepaar hatte Xinjiang in den letzten Jahren dauerhaft verlassen, nachdem es einen langen Prozess der Beschaffung von Pässen und Reisegenehmigungen durchlaufen hatte.

Human Rights Watch hat auch Fotos, Dokumente und Chatverläufe in den sozialen Medien im Zusammenhang mit den von der Regierung organisierten Touren gesichtet. Außerdem hat die Organisation öffentlich zugängliche Online-Quellen, einschließlich Presseartikeln der chinesischen Regierung und Videos auf Douyin, der chinesischen Version von TikTok, überprüft, die von denjenigen gepostet wurden, die Xinjiang besucht hatten.

Die persönlichen Daten der Befragten wurden zu ihrem Schutz anonymisiert.

Human Rights Watch legte der chinesischen Regierung seine Ergebnisse vor und bat um eine Stellungnahme, erhielt jedoch keine Antwort.

Uigur*innen, die von Xinjiang aus ins Ausland reisen

Eine im Ausland lebende uigurische Person berichtete, dass sie ihre Mutter nach acht Jahren der Trennung wiedersehen konnte, allerdings nur in einem Drittland, in das die Mutter aus geschäftlichen Gründen einreisen durfte. Sie durfte allerdings erst ausreisen, nachdem sie sich einem strengen Background-Check unterzogen und einer Verschwiegenheitserklärung zugestimmt hatte:

Sie durfte nur für 15 Tage ins Ausland reisen. Nachbarschaftskomitees und die örtliche Polizei rieten ihr, sich nicht mit „gefährlichen Leuten“ einzulassen, nichts Schlechtes über die Regierung zu sagen und vor Ablauf der genehmigten Zeit zurückzukommen. Ich wünschte mir, sie könnte für immer bei uns bleiben, aber ich musste sie zurückschicken, weil sonst unser Vermögen beschlagnahmt und andere Verwandte bestraft werden könnten.

Eine andere Person berichtete, dass die Polizei ihre Familienmitglieder praktisch als „Geiseln“ hielt, damit ihr Vater ausreisen konnte:

Mein Vater hatte einen alten Reisepass, der ihm vor einigen Jahren vom Nachbarschaftskomitee abgenommen wurde. Er hatte einen Bürgen, der bei der Regierung arbeitete. Die Behörden erlaubten nur ihm die Ausreise. Sie sagten: „Ihre Frau kann vielleicht reisen, wenn Sie wieder zurück sind“. Nach einem strengen Background-Check und der Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung [zur Einhaltung der Beschränkungen] wurde ihm ein einmonatiger Besuch gestattet. Er versuchte, seinen Aufenthalt zu verlängern, aber er bekam keine Genehmigung, also kehrte er zurück, in der Hoffnung, dass meine Mutter dann reisen könnte. Die Behörden stellten jedoch keinen Reisepass für meine Mutter aus. Man sagte ihr, sie solle warten.

Eine andere Person berichtete, dass ihr Vater nach seiner Rückkehr nach Xinjiang von Beamt*innen verhört wurde:

Mitglieder des Nachbarschaftskomitees, der örtlichen Polizeistation und des Büros für öffentliche Sicherheit haben meinen Vater nach seiner Rückkehr aufgesucht. Sie fragten ihn, wen er getroffen habe, wohin er gegangen sei und was er den Leuten erzählt habe. Er sagte: „Ich habe niemanden getroffen.“ Und das stimmte auch. Wir sind noch nicht einmal in uigurische Restaurants gegangen, um nicht aufzufallen und von den chinesischen Behörden überwacht zu werden.

Im Ausland lebende Uigur*innen, die nach Xinjiang reisen

Individualreisen

Uigur*innen berichteten, dass sich selbst Menschen mit ausländischem Pass, der zur visumfreien Einreise nach China berechtigt, vor einem Besuch in Xinjiang einer Hintergrundüberprüfung unterziehen müssen. Eine Person, die mit der Situation vertraut ist, sagte:

Viele Uiguren mit europäischem Pass reisen für kurze Familienbesuche in ihr Heimatland. Sie müssen zwar kein Visum beantragen, allerdings muss jede Person, die eine Reise plant, vorher eine Genehmigung von seinem früheren Nachbarschaftskomitee und der Polizei einholen und das Genehmigungsschreiben an der Grenze vorlegen. Einige von ihnen wurden einer Befragung unterzogen und andere wurden von den Behörden angewiesen, in einem Hotel, statt bei ihren Familien zu übernachten. Die meisten reisten nach Urumqi und in einige andere Städte im Norden Xinjiangs.

Eine Lehrkraft an einer uigurischen Schule im Ausland berichtete, dass den Eltern ihrer Schüler*innen das Visum für die Einreise nach China verweigert wurde, nur weil sie ihre Kinder auf die uigurische Schule geschickt hatten:

Mindestens zwei Eltern unserer Schüler wurden von der chinesischen Polizei und den diplomatischen Vertretungen Chinas darauf hingewiesen, dass der Besuch einer uigurischen Sprachschule [in diesem Land] für sie und ihre Familien ein „Hindernis“ für Reisen [nach Xinjiang] darstellt. Es gab auch Fälle, in denen Visa aus diesem Grund verweigert wurden. Jetzt schicken viele ihre Kinder nicht mehr zur Sprachschule. Unsere Schule gibt es seit 2014, und seit Januar 2025 haben wir den Betrieb eingestellt, da unsere Klassenräume mittlerweile leer sind.

Eine andere Person sagte:

Vor Kurzem baten die Gastgeber einer Hochzeitsfeier einige uigurische Aktivisten, nicht zu kommen, da es enge Verwandte des Bräutigams und der Braut gäbe, die [nach oder von Xinjiang] reisten. Es kann nicht sein, dass sogar soziale Anlässe von der chinesischen Regierung überwacht werden. Das stärkt das Misstrauen unter den Mitgliedern der Community.

Von der Regierung organisierte Reisen nach Xinjiang

Ein Uigure, der vor Kurzem an einer offiziellen Reise nach Xinjiang teilnahm, sagte:

Ich wusste nicht, ob ich jemals wieder die Chance haben würde, meine Familie zu sehen, deshalb habe ich mich für diese Reise entschieden. Mir war bewusst, dass alles inszeniert war, die Tour wurde von der Polizei streng überwacht, und ich musste das Nachbarschaftskomitee und die örtliche Polizei um Erlaubnis bitten, um nach der Tour bei meiner Familie bleiben zu dürfen.

Eine andere Person sagte:

Wir wurden von der Zentralabteilung Vereinigte Arbeitsfront in Xinjiang empfangen. Dann ging es sofort los mit dem Programm. Solche Touren dauern zwischen 7 und 15 Tagen, je nach Programm. Alle in der Gruppe waren Uiguren, auch die Reiseleiter. Trotzdem mussten alle Chinesisch sprechen. Wir haben Geschäfte, Museen und Moscheen besucht, wie auf einer typischen Propagandatour, die man sich auf YouTube ansehen kann. Am letzten Tag fand ein Treffen mit hochrangigen Beamten statt. Einige von uns bekamen vorformulierte Texte, mit denen wir unsere Dankbarkeit für die chinesische Regierung ausdrücken sollten. Nach der Tour konnte ich, nachdem ich mich beim örtlichen Nachbarschaftskomitee und der Polizeistation angemeldet und deren Genehmigung eingeholt hatte, ein paar Tage mit meiner Familie verbringen.

Einer weiteren Person erging es ähnlich:

Alles wirkte fingiert und war für uns vorbereitet. Aber als ich schließlich durch die Stadt ging, sah ich die leeren Moscheen, Männer ohne Bärte, kleine Kinder, die kein Uigurisch mehr sprechen konnten. Ich erkannte die Stadt, wie ich sie einst kannte, kaum wieder.

Auswirkungen auf die uigurische Diaspora

Viele Uigur*innen in der Diaspora haben immer noch keinen Kontakt zu ihren Familienangehörigen. Eine uigurische Person sagte:

Einige Leute, die Chinas diplomatischen Vertretungen hier nahestehen, haben mich gefragt, ob ich im Rahmen einer von der Regierung organisierten Gruppenreise mein Heimatland besuchen wolle. Ich bin kein Aktivist, und ich habe einen ausländischen Pass. Vielleicht kann ich zurückkehren, wenn ich es wirklich will. Als ich ihnen jedoch von meinen Eltern erzählte, die jetzt grundlos lange Haftstrafen verbüßen, brachen sie den Kontakt zu mir ab. Ich frage mich, ob ich überhaupt noch eine Familie habe, zu der ich zurückkehren kann.

Eine andere Person machte eine ähnliche Erfahrung und wollte nicht riskieren, nach Xinjiang zu reisen:

Jemand, der dem chinesischen Konsulat nahesteht, kontaktierte mich und schlug vor, meine Familie in der Heimat zu besuchen. Er versuchte, mich einer „Gehirnwäsche“ zu unterziehen. So sei es vollkommen unproblematisch dorthin zu reisen, und man könne meine sichere Rückkehr garantieren. Ich kenne jedoch Leute, die zurückgekehrt sind und die Situation in der Heimat schockierend fanden. Öffentlich sagten sie nichts Negatives über ihre Erfahrungen, da sie von der Regierung zum Schweigen verpflichtet worden waren, aber privat haben mir mindestens drei Personen erzählt, dass sie bei ihrer Rückkehr verhört und gezwungen wurden, einige Papiere zu unterschreiben. Sie sagten, sie würden nie wieder zurückkehren. Ich habe nicht vor zu gehen.

Viele Uigur*innen, die nach Verwandten suchen, die während der „Strike Hard“-Kampagne verhaftet wurden oder verschwunden sind, haben berichtet, dass sie noch immer keine Nachricht von ihnen haben. Sie zeigten sich besorgt darüber, dass die Bemühungen der chinesischen Regierung, ein Bild der Normalität in Xinjiang zu vermitteln, sich negativ auf die Diaspora auswirken:

Menschen, die auf Linie mit der chinesischen Regierung sind, werden solche „privilegierten“ Besuche gestattet. Die politische Aktivität nimmt ab, da immer mehr Menschen die Erwartung haben, zurückkehren zu können, und es deshalb vorziehen, „Ärger“ aus dem Weg zu gehen und den Anweisungen der Regierung zu folgen.

Eine Person, die ihre Familie für kurze Zeit besuchen durfte, sagte:

„Es war unglaublich. Ich konnte es nicht glauben [dass ich meine Angehörigen wiedersehen durfte]. Es schien vorher undenkbar. Gleichzeitig war ich sehr traurig, weil ich an meine Freunde dachte, die nicht einmal Kontakt zu ihren Familien haben. Wie konnte ich so tun, als sei in den letzten sieben Jahren nichts geschehen?

Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Xinjiang

Die Bevölkerung in Xinjiang erlebt seit mehreren Jahren massive Repression durch die chinesische Regierung, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt. Damit verfolgt China offenbar das Ziel, die Uigur*innen zwangsweise dazu zu bringen, die Han-chinesische Leitkultur zu assimilieren. Zu den Rechteverletzungen gegen Uigur*innen und andere turksprachige Muslim*innen gehören willkürliche massenhafte Verhaftungen und Inhaftierungen, Folter, Verschwindenlassen, Massenüberwachung, kulturelle und religiöse Verfolgung, Familientrennung, Zwangsarbeit, sexuelle Gewalt und Verstöße gegen reproduktive Rechte. Auch Uigur*innen im Ausland erleiden verschiedene Formen der transnationalen Repression durch die chinesischen Behörden. Seit 2016 stehen Verbindungen zum Ausland in Xinjiang unter Strafe. Uigur*innen, die in eines der „26 sensiblen Länder“ gereist sind, zu denen hauptsächlich Länder mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit wie Kasachstan, Ägypten, die Türkei, Malaysia und Indonesien gehören, dort Familienangehörige haben oder anderweitig mit Menschen dort kommunizieren, wurden verhört, festgenommen und in vielen Fällen strafrechtlich verfolgt und inhaftiert.

Chinesisches und internationales Recht

In Artikel 12(5) des chinesischen Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungsgesetzes (Exit and Entry Administration Law) heißt es allgemein, dass Bürger*innen, die „die nationale Sicherheit oder die nationalen Interessen gefährden können“, die Ausreise untersagt werden kann. Gemäß Artikel 13 Passgesetz können Behörden zudem die Ausstellung von Pässen verweigern, wenn insgesamt davon auszugehen ist, dass die Ausreise einen „Schaden für die nationale Sicherheit oder erhebliche Verluste für die nationalen Interessen“ verursacht.

Das Recht auf Freizügigkeit wird in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die als Grundlage des Völkergewohnheitsrechts gilt, sowie im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR), den China unterzeichnet hat, anerkannt. Gemäß Artikel 12 des ICCPR steht es „jedem Menschen frei, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen“.

Der UN-Menschenrechtsausschuss stellte in seiner Allgemeinen Bemerkung zum Recht auf Freizügigkeit fest: „Da Auslandsreisen in der Regel entsprechende Dokumente voraussetzen, insbesondere einen Reisepass, muss das Recht auf Ausreise das Recht einschließen, die erforderlichen Reisedokumente zu erhalten.“ Regierungen dürfen die Freizügigkeit nur dann einschränken, wenn dies „gesetzlich vorgesehen“ ist und wenn es „zum Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, der Volksgesundheit, der öffentlichen Sittlichkeit oder der Rechte und Freiheiten anderer“ notwendig ist.

Solche Beschränkungen dürfen nicht diskriminierend sein, müssen zur Erreichung eines oder mehrerer rechtmäßiger Ziele erforderlich sein, müssen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einhalten und müssen das am wenigsten einschränkende Mittel zur Erreichung dieser Ziele darstellen. Wenn Beschränkungen mit rechtmäßigen Zielen gerechtfertigt werden, muss deutlich formuliert werden, in welcher Form beispielsweise die nationale Sicherheit bedroht wäre, wenn die Personen, denen die Ausreise verweigert wird, ausreisen dürften.

Die derzeitigen Praktiken in Xinjiang verletzen das Recht der Uigur*innen auf Ausreise, da sie willkürlich und diskriminierend sind.

Your tax deductible gift can help stop human rights violations and save lives around the world.

Donate today to protect and defend human rights

Human Rights Watch operates in over 100 countries, where we work to investigate and document human rights abuses, expose the truth and hold perpetrators to account. Your generosity helps us continue to research abuses, report on our findings, and advocate for change, ensuring that human rights are protected for all.

Region/Land
Tags