- Türkische Behörden schränken das Aufenthaltsrecht von Uigur*innen, die vor der chinesischen Regierung Schutz suchen, zunehmend ein.
- Bis vor Kurzem fühlten sich Uigur*innen, die der Repression in ihrer Heimat entkommen waren, in der Türkei sicher. Doch mit der politischen Annäherung zwischen China und der Türkei und dem harten Vorgehen der Erdoğan-Regierung gegen Geflüchtete und Migrant*innen wächst bei vielen die Angst.
- Die türkische Regierung muss die Abschiebung von Uigur*innen in Drittländer einstellen und sie als Geflüchtete anerkennen. Andere Regierungen sollten die Überstellung von Uigur*innen in die Türkei stoppen und die Umsiedlung von Uigur*innen aus der Türkei in Erwägung ziehen.
(Istanbul) – Die türkischen Behörden schränken den legalen Aufenthalt von Uigur*innen zunehmend ein, die vor der chinesischen Regierung Schutz suchen, erklärte Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.
Der 52-seitige Bericht „Protected No More: Uyghurs in Türkiye“ (dt. etwa: Kein Schutz mehr: Uiguren in der Türkei) stellt fest, dass der bisherige Zugang der Uigur*innen zu internationalem Schutzstatus und sogar eine bevorzugte Behandlung im türkischen Einwanderungssystem aufgehoben wird. Behörden kennzeichnen ihre Polizei- und Einwanderungsakten willkürlich mit so genannten „Restriktionscodes“, die sie als „Bedrohung der öffentlichen Sicherheit“ einstufen. Die Regierung hält einige Uigur*innen unter unmenschlichen und erniedrigenden Bedingungen fest und zwingt sie, freiwillige Rückkehrformulare zu unterzeichnen, wodurch sie Gefahr laufen, in Drittländer abgeschoben zu werden, die Auslieferungsabkommen mit China haben.
„Bis vor Kurzem fühlten sich Uiguren, die der Repression in ihrer Heimat entkommen waren, in der Türkei sicher. Doch mit der Verbesserung der Beziehung zwischen den Regierungen in China und der Türkei und dem gleichzeitig harten Vorgehen der Erdoğan-Regierung gegen Geflüchtete und Migranten wächst bei vielen die Angst“, sagte Elaine Pearson, Asien Direktorin bei Human Rights Watch. „Einige Uiguren sagen, sie trauen sich nicht mehr, ihre Häuser zu verlassen, aus Angst vor Festnahmen und der Überstellung in Abschiebezentren, während andere gefährliche Reisen auf sich nehmen, um anderswo Sicherheit zu finden.“
Human Rights Watch hat 13 Uigur*innen, 6 Anwält*innen und einen türkischen Regierungsbeamten mit Kenntnis der Situation interviewt, sowie türkische Regierungsrichtlinien und Dokumente wie Abschiebungsentscheidungen, Fallakten und Rundschreiben überprüft. Außerdem wurden öffentlich zugängliche Fälle von 33 Uigur*innen untersucht, die zwischen Dezember 2018 und Oktober 2025 in Abschiebezentren festgehalten wurden.
„Jetzt kann ich nicht mal mehr rausgehen, nicht einmal zum Einkaufen, da ich keine amtlichen Dokumente habe und weil ich nicht wieder im Abschiebezentrum landen möchte“, sagte ein Uigure, dessen Aufenthaltserlaubnis willkürlich von den türkischen Behörden annulliert wurde.
Im Zuge des harten Vorgehens gegen die Migration werden Uigur*innen – wie andere Geflüchtete und Migrant*innen in der Türkei – häufig mit „Restriktionscodes“ (typischerweise Code „G87“) belegt, was eine Reihe negativer und oft verheerender Konsequenzen nach sich zieht. Dazu gehören die Ablehnung von Anträgen auf internationalen Schutz oder eines anderen Status, der zum Aufenthalt berechtigt, sowie die Verweigerung der Staatsbürgerschaft. Uigur*innen gelten faktisch als „irreguläre Migranten“ und einige werden schließlich zur Abschiebung verurteilt. Bei jeder Interaktion mit Polizei- oder Einwanderungsbeamt*innen droht ihnen die Überstellung in ein Abschiebezentrum.
Die befragten Uigur*innen und Anwält*innen berichteten, dass Uigur*innen in Abschiebezentren misshandelt und häufig unter Druck gesetzt werden, „freiwillige“ Rückkehrformulare zu unterzeichnen, die ihre Rückführung oder Abschiebung in ein anderes Land ermöglichen. Mindestens drei der befragten Uigur*innen hatten das Formular unterzeichnet, und einer von ihnen wurde in die Vereinigten Arabischen Emirate abgeschoben, die ein Auslieferungsabkommen mit China haben.
Anfragen von Human Rights Watch am 23. September und 27. Oktober 2025 an den Präsidenten der Migrationsbehörde, mit der Bitte um Stellungnahmen zu den Ergebnissen des Berichts und Informationen über Uigur*innen in der Türkei blieben unbeantwortet.
Die Zuweisung von Restriktionscodes steht im Zusammenhang mit der Umsetzung des türkischen Gesetzes 6458 über Ausländer*innen und internationalen Schutz. Wie und warum diese Codes vergeben werden, ist unklar, und ihre Anwendung scheint in der Praxis weit über das hinauszugehen, was im Gesetz vorgesehen war. Sie werden oft ohne angemessene Begründung, konkrete Beweise oder einen klaren ursächlichen Zusammenhang mit Fehlverhalten verhängt.
Nach türkischem Recht können Einzelpersonen gegen Abschiebungsentscheidungen Berufung einlegen. Human Rights Watch hat fünf Gerichtsentscheidungen aus den Jahren 2024 und 2025 zu Berufungen gegen Abschiebungsanordnungen von Uigur*innen. In jedem dieser Fälle bestätigte das Gericht die Abschiebungsanordnung, ohne anzugeben, was die Betroffenen getan hatten, um die angebliche Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung darzustellen. Besorgniserregend ist, dass das jeweilige Gericht in allen Fällen entschied, dass das Refoulement-Verbot nicht gelte, da der oder die antragstellende Uigur*in nicht nachgewiesen habe, dass ihm oder ihr bei einer Rückkehr nach China Misshandlung und Folter drohten. Eine Anwältin, die viele solcher Berufungen eingelegt hat, sagte, dass Richter*innen oft „eine negative Entscheidung treffen [die Berufung abweisen], wenn sie Restriktionscodes sehen, einfach um auf Nummer sicher zu gehen.“
Die türkische Regierung ist verpflichtet, das völkerrechtliche Prinzip des Non-Refoulement zu achten. Dieses verbietet Staaten, Personen in ein Land zurückzuführen, in dem ihnen ein reales Risiko von Verfolgung, Folter oder anderer schwerer Misshandlung, eine Bedrohung des Lebens oder andere vergleichbare schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.
Eine einfache Beschwerde eines Nachbarn oder die Verwicklung in ein Strafverfahren kann selbst bei einem späteren Freispruch zur Verhängung von Restriktionscodes führen. Türkische Behörden stützen diese Codes auch auf Informationen anderer Regierungen. In einigen Fällen hat die chinesische Regierung Listen von Personen übermittelt, die sie als „Terroristen“ bezeichnet – ein Begriff, den sie mit friedlichem Aktivismus oder dem Ausdruck uigurischer Identität in Xinjiang gleichsetzt.
Seit 2017 begeht die chinesische Regierung schwere Menschenrechtsverletzungen an der uigurischen Bevölkerung, die Human Rights Watch und andere unabhängige Rechtsexpert*innen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einstufen. Wenn Uigur*innen nach China abgeschoben werden, insbesondere aus einem Land wie der Türkei, das die chinesische Regierung als „sensibel“ einstuft, drohen den Uigur*innen Haft, Verhöre, Folter und andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlungen.
„Die türkische Regierung sollte das völkerrechtliche Prinzip des Non-Refoulement respektieren, sofort alle Abschiebungen von Uiguren in Drittländer einstellen und Uiguren prima facie als Geflüchtete anerkennen“, sagte Pearson. „Andere Regierungen sollten die Überstellung von Uiguren in die Türkei stoppen, da sie nicht mehr als sicheres Drittland für Uiguren angesehen werden kann, und die Umsiedlung von Uiguren aus der Türkei in Erwägung ziehen.“
Ausgewählte Zitate:
„Ich wurde behandelt, als wäre ich schuldig. Ich verbrachte ein Jahr in Haft … Ich habe mehrmals versucht, meine Aufenthaltserlaubnis zu verlängern, aber es ist mir nicht gelungen. Die Migrationsbehörde sagte mir, ich hätte zehn Tage Zeit, das Land zu verlassen, nachdem sie mir mitgeteilt hatte, dass mein letzter Antrag auf Aufenthaltserlaubnis abgelehnt wurde. Dann beschloss ich, das Land zu verlassen. Ich hatte meinen chinesischen Pass, also buchte ich einen Flug in ein Drittland, das für mich ein Weg in die Sicherheit in Europa sein sollte. Türkische Behörden nahmen mich am Flughafen fest und verhängten ein zweijähriges Einreiseverbot.“
– Ein Uigure, der willkürlich von türkischen Behörden aufgrund eines Restriktionscodes festgehalten wurde und die Türkei anschließend verließ, Juni 2025
„Die Bedingungen waren sehr schlecht. In einem Fall stellte die Einrichtung neun Tage lang kein richtiges Essen bereit. In einem Abschiebezentrum schlief ich eine Woche lang auf dem Zementboden, wo ich mir eine einzige Decke mit zwei anderen Personen teilte. Es waren 20 Personen in einer kleinen Zelle, in der es keinerlei hygienische Einrichtung gab. Ich habe gesehen, wie Menschen von Läusen befallen wurden.“ – Ein Uigure, der mehrere Monate in verschiedenen Abschiebezentren verbrachte, Mai 2025.
„In einigen Fällen kann schon ein Telefonat mit einer verdächtigen Person dazu führen, dass jemand einen Code zugewiesen bekommt. Zum Beispiel gab es einen Uiguren, der wegen des Verdachts auf ‚Terrorismus‘ festgenommen, aber dann bedingungslos freigelassen wurde, da es an Beweisen mangelte. Während der Ermittlungen erhielten jedoch alle, die ein Telefonat mit dieser Person geführt hatten, einen G87-Code.“ – Ein Anwalt, der Uigur*innen vertritt, Juli 2025.
„Es gibt viele Fälle, in denen die Regierung die langfristigen Aufenthaltserlaubnisse von Uiguren aufgehoben und ihnen stattdessen eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis erteilt hat. Die Entscheidung ist willkürlich. Und einige der humanitären Aufenthaltserlaubnisse meiner Mandanten werden ebenfalls aufgehoben oder ihre Verlängerung wird verweigert. In solchen Situationen können Menschen bis zu einem Jahr in diesen Zentren festgehalten werden. Dann werden sie ohne legalen Status entlassen. Nach ein paar Tagen kann eine weitere Polizeikontrolle erneut zu einer Festnahme führen. Es ist … ein schrecklicher Teufelskreis für diejenigen, die keine gültigen Dokumente haben. Die Türkei ist zunehmend zu einem unbewohnbaren Ort für Uiguren geworden.“ – Ein Anwalt, der Uigur*innen vertritt, Juni 2025.