(Tokio) - Als Gastgeberland der Olympischen und Paralympischen Spiele 2020 in Tokio sollte Japan schwerwiegende Menschenrechtsprobleme im Land angehen, so Human Rights Watch heute in einem neuen Reporterleitfaden. Die Sommerspiele in Tokio 2020, die am 23. Juli 2021 beginnen, werden damit beworben, „Einheit in Vielfalt“ zu feiern und „ein Vermächtnis für die Zukunft“ weiterzugeben. Die japanische Regierung sollte sofort handeln, um ein Vermächtnis der Achtung der Menschenrechte in Japan und darüber hinaus zu schaffen.
Der 26-seitige Leitfaden „Reporters’ Guide for the 2020 Summer Olympic and Paralympic Games in Tokyo, Japan“ fasst menschenrechtliche Bedenken und Empfehlungen zusammen, die sowohl für die Spiele in Tokio als auch für allgemeinere Menschenrechtsbelange in Japan relevant sind. Der Leitfaden beschreibt zudem die Rolle des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und anderer olympischer Organisationen und ihre Bedeutung für die Förderung der Menschenrechte bei den Olympischen Spielen in Tokio.
„Journalist*innen und Medienorganisationen sollten nicht nur die lang erwarteten olympischen Sportereignisse im Blick haben. Sie sollten auch darüber berichten, was Japan und die globale olympische Bewegung tun, um das Versprechen zu erfüllen, die Menschenrechte der Athlet*innen zu berücksichtigen und die umfassenderen Menschenrechtsbelange im Gastgeberland anzusprechen“, sagte Kanae Doi, Japan-Direktorin bei Human Rights Watch. „Der Reporterleitfaden zeigt Journalist*innen Wege auf, wie sie Geschichten schreiben können, die die Menschenrechtsbelange im heutigen Japan hervorheben, während das Land die Olympischen Spiele für alle Welt eröffnet.“
Japan ist zwar eine etablierte Demokratie, die sich nachweislich der Rechtsstaatlichkeit verschrieben hat und in der es eine aktive, unabhängige Zivilgesellschaft gibt, aber das Land hat auch eine Reihe schwerwiegender Menschenrechtsprobleme zu bewältigen. Darunter sind die Misshandlung von Kindern im Sport, die Einschränkung der Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen (LGBT), die Verletzung der Rechte von Frauen und den nicht ansatzweise ausreichenden Schutz von Asylsuchenden und Geflüchteten.
Die Olympische Charta verbietet ausdrücklich „Diskriminierung jeglicher Art“ als ein „Grundprinzip des Olympismus“. Japan hat es jedoch kürzlich versäumt, ein nationales Gesetz zu verabschieden, um den rechtlichen Schutz für LGBT-Menschen zu erweitern, trotz des starken globalen Drucks und der weit verbreiteten Unterstützung in Japan selbst, ein solches Gesetz noch vor der Eröffnung der Spiele in Tokio 2020 zu verabschieden. Japanische LGBT-Gruppen drängen seit langem politische Parteien und gewählte Vertreter*innen, Gesetze zum Schutz von LGBT-Rechten zu verabschieden. Im Januar 2021 veröffentlichten 116 japanische und internationale Gruppen ein gemeinsames Schreiben, in dem diese Forderungen an Premierminister Yoshihide Suga wiederholt wurden.
Der japanische Sport hat eine lange Geschichte der körperlichen Züchtigung von Kindern, im Japanischen als taibatsu bekannt. In einer von Human Rights Watch im Jahr 2020 durchgeführten Umfrage unter 381 aktiven und ehemaligen jungen Athlet*innen, die 24 Jahre oder jünger waren, berichteten 46 Prozent von unmittelbaren Erfahrungen bezüglich körperlicher Misshandlungen während der Teilnahme am Sport. Dies veranlasste IOC-Präsident Thomas Bach dazu, ein Telefonat mit dem Präsidenten des Japanischen Olympischen Komitees (JOC), Yasuhiro Yamashita, zu organisieren, um Maßnahmen zur Beendigung von Schikanen und Menschenrechtsverletzungen im japanischen Sport zu besprechen.
Im Dezember 2020 veröffentlichte das Internationale Olympische Komitee (IOC) seinen Expertenbericht „Recommendations for an IOC Human Rights Strategy“, einen wichtigen Fahrplan für die Umsetzung von Menschenrechten in allen Bereichen des IOC. Das Komitee sollte diese Strategie sofort annehmen und die entsprechenden Empfehlungen in der gesamten Olympischen Bewegung umsetzen, so Human Rights Watch.
„Weltweit erkennen die Menschen, dass die Olympischen Spiele mehr als nur ein sportlicher Wettbewerb sind – dieses Ereignis soll auch ein entscheidender Moment für das internationale Image des Gastgeberlandes sein“, sagte Doi. „Die japanische Regierung sollte jetzt Maßnahmen ergreifen, die der Welt zeigen, dass sie es ernst damit meint, ein globales Vorbild in Sachen Menschenrechte zu sein, indem sie diese gut dokumentierten Probleme im eigenen Land anspricht.”