(Osch, 13. June 2010) – Die kirgisische Regierung soll umgehend Maßnahmen ergreifen, um die Sicherheit der Menschen zu gewährleisten, die vor der unkontrollierten Gewalt im Süden Kirgisiens fliehen wollen, so Human Rights Watch. Human Rights Watch forderte erneut eine von der UN mandatierte Truppe, um die kirgisische Regierung dabei zu unterstützen, die Bevölkerung zu schützen und die ethnische Gewalt zu stoppen, die in Osch herrscht und auf andere Städte im Süden Kirgisiens übergreift.
„Die Menschen wollen verzweifelt vor der Gewalt fliehen, aber ohne internationale Hilfe gibt es keine Möglichkeit zur Flucht, und jede Verzögerung kostet Leben“, so Andrea Berg, Zentralasien-Expertin von Human Rights Watch, die Osch am 13. Juni 2010 verlassen hat. „Die kirgisischen Behörden müssen wirksame Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung treffen und einen sicheren Zugangsweg zu denjenigen aushandeln, die fliehen wollen.“
Brandstiftung und andere Angriffe fanden auch am 13. Juni weiter statt. Bewohner berichteten, dass eine Schule und Wohnhäuser brannten. Ein Mann, der in einem usbekischen Stadtviertel im Zentrum von Osch wohnt, berichtete gegenüber Human Rights Watch, wie bewaffnete Banden durch die Straßen fuhren, Häuser in Brand setzten und auf Personen schossen, die fliehen wollten. Die Gangs verließen das Stadtviertel, als das Militär ankam. Doch kehrten sie zurück, sobald das Militär wieder abgezogen war.
Augenzeugen in Cherеmyshki, ein Stadtviertel westlich des Zentrums, berichteten Human Rights Watch, dass Gangs usbekische Häuser anzündeten und auf fliehende Personen schossen. Bewaffnete Banden umstellten das Stadtviertel und verhinderten dadurch die Flucht vieler.
Ein Mitarbeiter von Human Rights Watch sah von Bränden zerstörte Stadtviertel, brennende Autos und verbarrikadierte Straßenzüge mit einzelnen Gebäuden und Autos, die unberührt blieben und mit „KG“, vermutlich dem Zeichen für “kirgisisch”, markiert waren.
Die kirgisische Regierung hat am 12. Juni Sicherheitskräfte nach Osch geschickt und ihnen die Erlaubnis gegeben, Schusswaffen einzusetzen, was nach Meinung von Human Rights Watch unvermeidlich dazu führen wird, dass das Recht auf Leben verletzt wird. Ein Mann aus Cheremyshki berichtete Human Rights Watch, dass Uniformierte und andere Personen, die eindeutig als staatliche Sicherheitskräfte identifiziert werden konnten, auch in die Schusswechsel in der Region verwickelt waren. Es ist jedoch nicht klar, ob auch Usbeken bewaffnet waren und eine Gefahr darstellten.
Unterdessen ist die ethnische Gewalt in Dschalalabad, 50 Kilometer von Osch entfernt, eskaliert. Die kirgisische Nachrichtenagentur Akipress berichtete von Schusswechseln, dem Inbrandsetzen von Häusern und der Flucht von Usbeken aus der Region.
Die humanitäre Situation in Osch und an der kirgisisch-usbekischen Grenze wird zunehmend schwieriger. Ein Mitarbeiter von Human Rights Watch in Osch erhielt zahlreiche Telefonanrufe von verzweifelten Menschen, die ihn um Hilfe bei der Evakuierung, um Lebensmittel und medizinische Unterstützung baten. Mehrere Anrufer berichteten Human Rights Watch, dass besonders Kinder und schwangere Frauen dringend Lebensmittel und medizinische Hilfe benötigen. Humanitäre Hilfsorganisationen, die bei Beginn der Angriffe vor Ort waren, konnten wegen der angespannten Sicherheitslage keine Hilfe leisten. Die schlechte Sicherheitslage hat auch dazu geführt, dass keine Hilfsgüter an die Tausenden ethnischen Usbeken geliefert werden konnten, die vor der Gewalt fliehen und sich an verschiedenen Stellen der Grenzen zu Usbekistan sammeln.
Human Rights Watch fordert die internationale Gemeinschaft auf, mit der kirgisischen Regierung zusammenzuarbeiten, um die fliehenden Usbeken zu schützen und um humanitäre Hilfe zu leisten.
Ein Informant berichtete Human Rights Watch von einem usbekischen Freund, der von bewaffneten Banden erzählte, die an der Grenze auf dort versammelte Menschen geschossen hätten. Es ist nicht bekannt, ob es dabei Verletzte gab.
„Die internationale Gemeinschaft muss umgehend mit der kirgisischen Regierung zusammenarbeiten, damit humanitäre Hilfsgüter an die Grenze gebracht werden können“, so Berg.
Human Rights Watch fordert auch die usbekische Regierung auf, ihre Grenzen geöffnet zu halten und all diejenigen ins Land zu lassen, die Schutz suchen. Obwohl Usbekistan die Flüchtlingskonvention von 1951 nicht ratifiziert hat, soll die Regierung wenigstens zeitweise allen kirgisischen Staatsbürgern Schutz gewähren, die die Grenze passieren wollen, und dem UN Hochkommissar für Flüchtlinge erlauben, Nothilfe für die Flüchtlinge zu leisten.
Human Rights Watch fordert auch die kirgisische Regierung auf, ihre Entscheidung zu widerrufen, wonach den Sicherheitskräften der Einsatz tödlicher Waffen erlaubt worden war. Zudem sollen alle Sicherheitskräfte die UN-Grundprinzipien für die Anwendung von Gewalt und den Gebrauch von Schusswaffen durch Beamte mit Polizeibefugnissen sowie den Verhaltenskodex für Beamte mit Polizeibefugnissen achten. Darin werden Sicherheitskräfte aufgefordert, menschliches Leben zu schützen und nur im Notfall tödliche Gewalt anzuwenden.